Europa verurteilt Erdogans Offensive
Gemeinsame Erklärung der EU-Außenminister, aber kein generelles Waffenembargo
Diese Argumentation ist völkerrechtlich nicht gedeckt. Denn dafür müsste eine Selbstverteidigungslage gegen einen gegenwärtigen Angriff vorliegen, den es allerdings vor der Militäroperation nicht gab. Die Beschüsse aus dem nordsyrischen Gebiet auf die Türkei und kleinere Grenzzwischenfälle, die von der Türkei angeführt werden, reichen hierfür nicht aus. Das Völkerrecht setzt da für Selbstverteidigung eine gewisse Intensität voraus, die hier nicht gegeben ist.
Deutschland und Frankreich haben auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats den IS im Irak und Syrien bekämpft. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?
Da muss unterschieden werden. Im Irak war die Bundeswehr mit Zustimmung der irakischen Regierung, und hat insofern das kollektive Selbstverteidigungsrecht Iraks mit
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BRÜSSEL - Als „sehr klar“beschrieb Außenminister Heiko Maas am Montag die Haltung der EU bei einem Treffen der europäischen Ministerkollegen in Luxemburg. „Wir wollen, dass der türkische Militäreinsatz in Nordostsyrien beendet wird – und zwar umgehend.“In einer gemeinsamen Erklärung benennen die 28 EU-Staaten die Folgen der türkischen Offensive deutlich: Eine neue Flüchtlingswelle und ein mögliches Wiedererstarken des IS, was die Sicherheit Europas ebenso bedrohe wie die der Türkei.
Damit aber endet die Einigkeit. Gelobt wird die Entscheidung „einiger Mitgliedsstaaten“, darunter Deutschlands, keine Waffen mehr in die Türkei zu exportieren. Italien schloss sich der Entscheidung am Montag an, auch Spanien signalisierte, seine Exporte stoppen zu wollen. Vor einem von der gesamten EU verhängten Waffenembargo schreckten aber einige EU-Staaten zurück. In militärisches Handeln in der Region will die EU keinesfalls eingreifen. Stattdessen appelliert sie an den UNSicherheitsrat, die Türkei zu stoppen. Die internationale Koalition gegen den IS müsse dringend auf Ministerebene zusammenkommen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.
Zur Rolle der kurdischen YPG schweigt sich die Erklärung aus, obwohl deren Kämpfer bislang von der EU als Garant dafür gesehen wurden, dass der IS seinen Einfluss in der Region nicht wieder ausbauen kann. Die vorsichtigen Formulierungen sollen wohl verhindern, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Drohung wahr macht und den Fluchtweg über die Ägäis weiter öffnet. Schon jetzt kommen deutlich mehr Menschen auf den griechischen Inseln an als im Vorjahr. Der türkische Präsident weiß, dass er damit einen Hebel in der Hand hat, um die Stimmung in der EU zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
Kein anderes Thema birgt so viel Sprengstoff für die Einigkeit der Union wie die Flüchtlingspolitik. Kommen wieder mehr Schutzsuchende an, bricht die Diskussion über deren Verteilung erneut auf. Hinzu kommt, dass sich Europa im Umbruch befindet: Die deutsch-französische Zusammenarbeit holpert. Die JunckerKommission packt gerade ihre Koffer. Und Ursula von der Leyens Team wird erst handlungsfähig sein, wenn der Streit über einige Kommissarsposten vom Tisch ist. Das denke ich nicht, denn der Bündnisfall der Nato kann nur dann eintreten, wenn ein Staat angegriffen wird. Die Türkei wurde nicht von Syrien angegriffen und es ist auch nicht wahrscheinlich, dass die syrische Armee die Grenze zur Türkei überschreitet und die Türkei angreift. Die Nato ist ein Defensivbündnis und der Bündnisfall trat bisher nur einmal in Kraft: nach den Angriffen auf die USA am 11. September 2001.
Haben die Kurden ein Recht auf Verteidigung?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Dann müsste man schauen, ob die Kurden als partielles Völkerrechtssubjekt anzusehen sind, die eine lokale De-Facto-Regierung in Nordsyrien darstellen. Dann würden sie durch das Gewaltverbot geschützt werden. Indirekt werden sie aber bereits durch das Gewaltverbot geschützt, auf das sich Syrien berufen kann. Einen direkten Rechtsanspruch auf Verteidigung haben sie sicherlich nicht. Auch wenn sie das natürlich nicht davon abhält, sich zu verteidigen.