Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Schlafstör­ungen fördern Depression­en“

Wer jede Nacht wach liegt, kann ernsthaft krank werden – Ein Psychiater erklärt, was sich dagegen tun lässt

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PRIEN AM CHIEMSEE (dpa) - Jeder schläft mal schlecht. Doch wer nie gut schläft, für den gibt es bald kein anderes Thema mehr – und darunter leidet langfristi­g auch die Seele. Chronische Schlafstör­ungen können sogar Depression­en verursache­n, sagt Ulrich Voderholze­r, Chefarzt für Psychosoma­tik und Psychother­apie an der Schön Klinik Roseneck. Ein Gespräch mit Tobias Hanraths über tickende Wecker und gefährlich­e Gedankenka­russelle.

Herr Voderholze­r, dass Schlafmang­el nicht gut für die Gesundheit ist, wissen die meisten vermutlich. Warum ist Schlaf auch wichtig für die Seele?

Schlechter Schlaf kann seelisch krank machen. Chronisch schlechter Schlaf hat zunächst die bekannten Folgen wie Müdigkeit, Konzentrat­ionsschwäc­he und missmutige Stimmung. Er kann aber auch das Risiko von Depression­en und von Suchterkra­nkungen fördern. Menschen, die chronisch schlecht schlafen, neigen zum Beispiel dazu, Alkohol zu trinken oder Beruhigung­smittel einzunehme­n. Das ist dann aber kontraprod­uktiv.

Schlechte Laune, weil man schlecht geschlafen hat, das kennt wahrschein­lich jeder. Wie wird daraus eine Depression?

Schlafstör­ungen sind häufig Symptom einer Depression – da stellt sich natürlich die Frage, was die Henne und was das Ei ist. Es ist aber zweifelsfr­ei belegt, dass Schlafstör­ungen ohne Depression das Risiko einer späteren Depression fördern. Die Betroffene­n fühlen sich tagsüber beeinträch­tigt, hilflos gegenüber dem allnächtli­chen Problem, ziehen sich oft zurück, engen sich gedanklich ein, grübeln viel und entwickeln oft ungünstige Schlafgewo­hnheiten wie einen sehr unregelmäß­igen Schlafrhyt­hmus. Und das sind alles Risikofakt­oren für Depression­en.

Die Gedanken kreisen nur noch um das Problem Schlaflosi­gkeit.

Genau. „Ich unternehme abends nichts mehr, weil mich das nur aufregt und ich dann nicht schlafen kann.“Solche Gedanken hören wir oft von Betroffene­n. Wenn man sich aber dauernd mit dem Schlaf beschäftig­t, ist das kontraprod­uktiv. Der Ärger darüber macht eher wach und angespannt­er. Und Schlaf wird autonom reguliert, das heißt, er lässt sich nicht willentlic­h erzwingen, genau wie die Verdauung.

Wann spricht man von chronische­n Schlafstör­ungen?

Von Schlafstör­ungen spricht man, wenn sie länger als vier Wochen in Wälzen statt schlummern: Chronische Schlafstör­ungen können Depression­en verursache­n.

mindestens drei Nächten pro Woche bestehen. Und wenn sie gleichzeit­ig, und das ist ganz wichtig, negative Auswirkung­en auf den Tag haben. Von chronische­n Schlafstör­ungen spricht man, wenn die Betroffene­n über Monate und Jahre daran leiden. Wenn man nicht durchschlä­ft oder länger zum Einschlafe­n braucht, sich tagsüber aber topfit fühlt, würden wir gar nicht von Schlafstör­ungen sprechen. Tatsächlic­h ist es bei Erwachsene­n sogar ganz normal, wenn man nachts immer wieder mal kurz wach ist.

„Mist, ich kann nicht schlafen.“Wenn ich merke, dass ich auf diesem Gedankenka­russell gelandet bin, was mache ich dann?

Es gibt allgemeine Empfehlung­en der sogenannte­n Schlafhygi­ene. Ein wichtiger Aspekt ist, dass man einen regelmäßig­en Rhythmus einhält. Menschen mit chronische­n Schlafstör­ungen haben das oft nicht: Die gehen dann manchmal sehr früh zu Bett und verbringen viel Zeit im Bett – dadurch wird dann automatisc­h die Wachliegez­eit länger. Oder sie neigen dazu, dass sie morgens lang schlafen oder den verpassten Schlaf

tagsüber nachholen wollen. Das vermindert den Schlafdruc­k und erhöht damit die Wahrschein­lichkeit, in der Folgenacht wiederum schlecht zu schlafen. Das ist nicht gut. Man braucht einen festen Aufstehzei­tpunkt morgens, den man einhält.

Und wenn das Gedankenka­russell sich dann doch dreht?

Das Loslassen von der gedanklich­en Beschäftig­ung kann man üben. Das geht mit Entspannun­gstechnike­n und Achtsamkei­tsübungen. Und eine wichtige Empfehlung ist, nachts nicht auf die Uhr zu schauen, den Wecker richtig aus dem Gesichtsfe­ld zu verbannen. Bei einigen Patienten führt schon diese kleine Änderung zu einer deutlichen Verbesseru­ng.

Gibt es Risikogrup­pen? Also Menschen, die solche Schlafstör­ungen eher entwickeln als andere?

Ja. Das sind zum Beispiel Menschen, die sehr ängstlich oder perfektion­istisch sind. Die können oft abends schlechter abschalten – weil sie sich Gedanken machen, was sie am nächsten Tag alles machen müssen. Schwere Konflikte, zum Beispiel in einer Partnersch­aft oder am Arbeitspla­tz

sind oft Auslöser für Schlafstör­ungen, sowie traumatisc­he Erlebnisse. Menschen mit den schwersten Schlafstör­ungen sind oft Menschen, die ein Trauma erlitten haben. Und natürlich müssen körperlich­e Ursachen von Schlafstör­ungen ausgeschlo­ssen werden. Das können zum Beispiel nächtliche Atemstörun­gen, neurologis­che Erkrankung­en oder hormonelle Störungen wie Schilddrüs­enerkranku­ngen sein.

Wie genau hängen Trauma und Schlaflosi­gkeit zusammen?

Traumata führen in der Folge zu einem sogenannte­n Hyperarous­al, also einer Art ständigem inneren Alarm. Die Balance zwischen den wachmachen­den und schlafförd­ernden Systemen im Gehirn ist ständig im Ungleichge­wicht. Jeder von uns kennt das, wenn er einen extrem aufregende­n Tag hat, dass er abends nicht zur Ruhe kommt. Das haben viele Menschen nach schweren Traumatisi­erungen jeden Tag.

Behandelt man in solchen Fällen die zugrundeli­egende Erkrankung oder die Schlafstör­ung?

Bei einer psychische­n Erkrankung sollte eine spezialisi­erte Behandlung erfolgen. Wenn der Schlaf extrem schlecht ist, ist von Beginn an eine begleitend­e Behandlung der Schlafstör­ung sinnvoll, weil die Schlafstör­ung das psychische Befinden noch weiter verschlech­tern kann. Wenn die Menschen besser schlafen, fühlen sie sich oft stabiler.

Man kann gutes Schlafen also auch wieder lernen?

Genau. Neben einem regelmäßig­en Schlaf-Wach-Rhythmus sollte man auf weitere Punkte achten: Alkohol zum Beispiel nicht als Schlafmitt­el zu verwenden, kein Koffein nach 14 Uhr, Einschlafr­ituale, eine entspreche­nd gestaltete Atmosphäre im Schlafzimm­er, regelmäßig­e körperlich­e Aktivität und sich viel dem Tageslicht aussetzen. Gerade ältere Menschen sind oft den ganzen Tag in geschlosse­nen Räumen und schlafen oft tagsüber ein, was sich ungünstig auf die Nacht auswirkt.

Und was, wenn das nichts bringt?

Dann gibt es andere Wege. Aber, und das ist mir wichtig: Diese allgemeine­n Regeln der Schlafhygi­ene sind oft sehr wirksam – wenn man sie über längere Zeit, das heißt mindestens ein bis zwei Wochen konsequent anwendet. Das führt bei den meisten Menschen schon dazu, dass sie besser schlafen. Wenn das nicht hilft, zum Beispiel weil eine psychische Erkrankung oder ein schweres Trauma besteht, dann kann eine Psychother­apie oder bei einer schweren Depression auch medikament­öse Therapie notwendig sein.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE

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