Das ferne Grauen ist doch ganz nah
Clausewitz reloaded berührt die Zuschauer im Donauschwäbischen Zentralmuseum
ULM (flx) - „Silvester 1918 – noch ist kein Frieden. Der Frieden wird wohl sehr schlecht werden. Aber es gibt keinen Krieg mehr. Dafür haben wir den Bürgerkrieg.“In Decken gehüllte Gestalten nähern sich durch einen langen dunklen Korridor: Was üblicherweise der Sonderausstellungsbereich im Donauschwäbischen Zentralmuseum ist, wird beim Theaterabend des Wiener „Teatro Caprile“zu einem Bunker – oder einem Graben, in dem sich die Soldaten des Ersten Weltkriegs verschanzen und das eigene Leben schon aufgegeben haben. Eine beeindruckende szenische Collage ist „Clausewitz reloaded – Nach dem Krieg ist vor dem Krieg“, den das Wiener Off-Theater den Räumen des DZM angepasst hat.
An mehreren Stationen im Museum wird man durch die „Ursünde Erster Weltkrieg“geführt anhand von Originaltexten wie auch literarischen Bearbeitungen, etwa von Karl Kraus und Käthe Kollwitz. Das Grauen, das den Zuschauer auch über 100 Jahre später fasst, entsteht aus der Unmittelbarkeit der von Andreas Kosek und Katharina Grabher aus Zitaten, Quellen und Tagebuchauszügen zusammengestellten Inszenierung.
Katharina Grabher, Heide Maria Hager, Andreas Kosek und Martin Schranz zeigen etwa, wie Kindern der Krieg in der Schule förmlich in die Köpfe getrieben wurde mit einer martialischen Rhetorik, wie wir sie heute noch hören bei Populisten und Demagogen. Der Erste Weltkrieg war auch die Phase, in der das junge Medium der Fotografie eine wichtige Rolle spielte, und so stellen Grabher und Hager zwei Kriegsreporterinnen dar, die mit nicht weniger tönendem Patriotismus als ihre männlichen Kollegen auf den Schlachtfeldern unterwegs waren für die jeweils neueste Sensation: „Eben beginnt ein Schauspiel, das keines Künstlers Kunst spannender, leidenschaftlicher gestalten könnte.“Für die Kriegstreiber war der Europa und bald auch die restliche Welt umspannende Krieg ein Schauspiel, das man aus sicherer Entfernung in Gang hielt, für Soldaten und Zivilisten war er ein täglicher Überlebenskampf.
Aus Kirchenglocken... Kanonen
Das Teatro Caprile schafft mit seinem ebenso berührenden wie fordernden Stück eine ganz direkte Begegnung mit dem Ersten Weltkrieg.
Fremdartig wirken die zynischen Äußerungen und Anweisungen der Politik und der Justiz jener Zeit – und sind doch nicht so fern. Solcherlei Menschenverachtungen dienen als Blaupause heutiger Kriegstreiber. Oft muss man schlucken: Etwa wenn Heide Maria Hager in die Rolle einer Mutter schlüpft, die ihren Sohn vor dem garantiert tödlichen Frontdienst als Novizen im Kloster anbietet. Die Kirche aber bietet keine (Er-) Lösung. Zwei Gottesmänner räsonieren: „Man macht aus Schrapnellkugeln Rosenkränze und dafür aus Kirchenglocken Kanonen. Mehr Stahl ins Blut“, forderte ein evangelikaler Funktionär im Krieg. Und fand: „Kriegsdienst ist Gottesdienst“. Das dokumentarische, dicht gefügte Theaterstück ist ein Erlebnis und wahrlich harte Kost. Das Publikum im DZM zeigte sich sehr begeistert.