Die Katastrophe zwischen den Zuschauer-Schuhen
Premiere: Die Inszenierung von „Kabale und Liebe“der Theater-Werkstatt kommt dem Publikum sehr nahe
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Ulm - Friedrich Schillers Drama „Kabale und Liebe“zählt auch 235 Jahre nach seiner Entstehung zu den meistgespielten Werken auf deutschen Bühnen. Der Ausgang des Trauerspiels ist Gemeingut. Dass es dennoch bei der Premiere des Stückes in der Theater-Werkstatt in der Oberen Donaubastion gelingt, das Geschehen den Zuschauern derart unter die Haut gehen zu lassen, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, liegt an einer Idee der Inszenierung von Thomas Laengerer: Die 16-jährige Luise stirbt direkt zwischen den Schuhen der Zuschauer. Die Katastrophe geschieht so nah, dass man eingreifen möchte, um das Unrecht zu verhindern, und es doch nicht kann.
Schiller war sich der zu seinen Lebzeiten unüberbrückbaren Kluft zwischen Adel und Bürgertum auch aus persönlicher, bitterer Erfahrung bewusst. „Kabale und Liebe“, das Trauerspiel um die tiefe Liebe zwischen dem adligen Major Ferdinand von Walter und der Musikertochter Luise, die angesichts verschlagener Ränkespiele keine Chance hat, prangert auch Intrigen am württembergischen Hof zu Schillers Lebzeiten an. Es kritisiert das Wegsperren von Menschen ohne gerichtliches Urteil und das Mätressenwesen, das die Herrschenden pflegten.
In Schillers Originalsprache
Thomas Laengerer macht in der räumlichen Enge der Oberen Donaubastion in seiner Inszenierung vieles anders als größere Theater im Umgang mit Schiller: Er lässt die Schauspieler gezielt in Schillers Originalsprache sprechen, was ausgesprochen gut gelingt. Die Schauspieler tragen historisierende Kleidung, bis auf Luise (Julia Knaut), die zwar im jungfräulich-zierlichen Weiß mit Spitzen frei von jeder Bosheit wirkt, der Lagenlook ihrer Kleidung jedoch gibt Luise auch ein Stück Teenagerhaftigkeit und nimmt sie aus der Zeit des 18. Jahrhunderts heraus. Die Bühne ist ein eindrucksvolles Oben und Unten. Oben prangt sadistisch Präsident von Walter in Gestalt Jörg Neugebauers, zu seinen beiden Seiten etwas unter ihm der papageienbunte Hofmarschall von Kalb (Bettina Maigler) und der Ränkeschmiedende und berechnende Kriecher Wurm (Udo Ulrich) – eine Dreifaltigkeit des Machtmissbrauchs. Von Walter ist das Wohl seines Sohnes so gleichgültig wie das Wohl seiner Untertanen. Ihm geht es einzig darum, seine durch den Mord an seinem Vorgänger errungene Stellung zu halten und auszubauen. Unten lebt die bürgerliche Familie Miller – und am Rand die privilegierte und übersättigte Mätresse Lady Milford (Karin Kerschbaum). Nicht umsonst weckt dieses Bühnenbild religiöse Assoziationen, denn am Ende steht bei Schiller Gott als letzte richtende Instanz.
Laengerers eigentlicher und großer Kunstgriff jedoch ist ein Umbau des Bühnenraums in der Pause: Ein Teil des Zuschauerraums ist dann von Sitzplätzen freigeräumt. Dort, wo vorher Zuschauer saßen, hängt ein Spinnennetz aus zerschnittenen Fahrradschläuchen, unter dem Ferdinand sich und Luise direkt zwischen den Menschen vergiftet. Auf diese Weise kommt die intensive und glaubwürdige Darstellung zwischen dem stürmischen Ferdinand (Patrick Steiner-Hirth) und Luise und die Verstrickung der Lady Milford dem Publikum extrem nahe.
Jörg Neugebauer gelingt der zynische, herablassende von Walter ausgesprochen gut, Patrick SteinerHirth mimt den jungen Ferdinand, der allein seinem Herzen folgen will, so überzeugend wie Julia Knaut die Luise. Jürgen Witschen gibt den ehrbaren und mutigen Musiker Miller, Andrea Johnson dessen schwatzhafte Frau.