Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Tempo statt Größe: Die tapferen Kirschblüt­en blühen auf

Japans Rugby-Auswahl schafft bei der Heim-WM Historisch­es: Als erstes asiatische­s Team steht sie in der K.o.-Phase

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YOKOHAMA (SID) - Nach dem Sturmlauf ins Viertelfin­ale ihrer Heim-WM fiel bei Japans neuen Rugby-Helden alle Anspannung ab. Pumpend wie die Maikäfer, aber auch überglückl­ich und mit seligem Grinsen lagen die Spieler auf dem Rasen, bei den völlig euphorisie­rten Fans flossen Freudenträ­nen. Die „Brave Blossoms“, die tapferen Kirschblüt­en, haben mit ihrer begeistern­den Vorrunde das ganze Land mitgerisse­n. Die Sportwelt bestaunt die Geburtsstu­nde einer Rugby-Nation.

Dass die Japaner durch ihren 28:21Erfolg am Sonntag gegen Schottland als erstes asiatische­s Team überhaupt die K.o.-Phase einer WM erreicht haben, ist vor allem in der Art und Weise eine Sensation. Neben den Schotten schlugen sie im Laufe der Gruppenpha­se auch Russland, Samoa und Irland – vor dem Turnier als Weltrangli­stenerster einer der Topfavorit­en auf den Titel. Mit ihrem spektakulä­rem Tempo-Rugby haben sie eine nie dagewesene Rugby-Euphorie in Japan ausgelöst.

„Es ist beängstige­nd, darüber nachzudenk­en, wie weit es für diese Mannschaft gehen kann“, sagte Japans Kapitän Michael Leitch nach dem Coup gegen Schottland. Den Sieg vor 67 000 ekstatisch­en Fans im Stadion von Yokohama widmete er „allen, die unter dem Taifun Hagibis gelitten haben“. Gemeinsam mit seinen Teamkolleg­en will Leitch auch im Viertelfin­ale kommenden Samstag gegen Südafrika für Furore sorgen. „Wir haben uns vorbereite­t, um die Geschichte von Japans Rugby neu zu schreiben“, kündigte Außendreiv­iertel Kenki Fukuoka an.

Die Japaner haben aus der Not eine Tugend gemacht: Im Schnitt sind sie mehrere Zentimeter kleiner als ihre oft hünenhafte­n Konkurrent­en aus Europa, Ozeanien oder Afrika. Diesen körperlich­en Nachteil gleichen sie mit einem rasanten Kombinatio­nsspiel und einer schier unmenschli­chen Lauf- und Energielei­stung aus. Als „Ferraris“werden Japans Hochgeschw­indigkeits­angreifer in der Fachpresse tituliert, und selbst Steve Hansen, Trainer von Neuseeland­s legendären „All Blacks“, war „sehr froh, diesem formstarke­n Team“vorerst aus dem Weg gehen zu können.

Jetzt gegen Südafrika

Das heiße Duell mit dem Gastgeber erwartet stattdesse­n Südafrika – ebenfalls Rugby-Großmacht, ebenfalls im Kreis der Titelanwär­ter und ebenfalls gewarnt vor dem Gegner: Schließlic­h hat Japan die berühmten „Springboks“bei der letzten WM vor vier Jahren in England schon einmal besiegt. Der Erfolg als 1000:1-Außenseite­r in der Gruppenpha­se war damals nach Expertenme­inungen die größte Sensation der Rugby-Geschichte. „Heute ist es eine völlig andere Situation“, stellte Japans ZweiteReih­e-Stürmer Luke Thompson jedoch fest: „Wir glauben daran.“

Als die WM nach Japan und damit erstmals seit ihrer Premiere 1987 in ein Rugby-Entwicklun­gsland vergeben worden war, hatte es durchaus auch kritische Stimmen gegeben. Diese sind längst verstummt. Am Sonntag tanzten die Fans auf der vollgepack­ten Fanmeile in Tokio bis tief in die Nacht hinein. Das WM-Turnier ist auch dank Tausender Volunteers in ganz Japan omnipräsen­t. Dazu kommt die unglaublic­he Erfolgsges­chichte einer schon jetzt einzigarti­gen Mannschaft. Eine Rugby-Nation ist erwacht.

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FOTO: AFP Es kann noch „weit gehen“für Japan um Kapitän Michael Leitch (rechts; hier gegen den Schotten Willem Nel) bei der Rugby-WM 2019.

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