Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Von Schlaghose­n bis Waldsterbe­n

In den 70er- und 80er-Jahren hielten neue Wörter in den Duden Einzug

- Von Gregor Tholl

(dpa) - Retroreise mit Wörtern: Plattenbau, Ölkrise, Ostpolitik, RAF, Schlaghose, Disco und Bürgerinit­iative – typische Begriffe der 70er-Jahre; Aerobic, Gruftis, NDW, Butterberg, Privatfern­sehen, Schulterpo­lster und Mauerfall – ganz klar: die 80er. Jede Zeit hat ihre AusdrüTypi­sche cke, die ins Wörterbuch aufgenomme­n werden. Der Autor Hans Hütt (66) hat zwei neue Bücher über Wörter verfasst, die in diesen beiden Jahrzehnte­n den Weg in den Duden fanden: „Die 70er – Ein Jahrzehnt in Wörtern“und „Die 80er – Ein Jahrzehnt in Wörtern“sind im Dudenverla­g erschienen. Schon im Frühling ging es um die beiden Dekaden davor. Mit jeweils hundert Wörtern stellte der Autor die 50er- und 60erJahre vor.

Für Herbst 2020 plant Hütt, der als freier Journalist arbeitet, einen weiteren Band. „Ob die 1990er nächstes Jahr in Angriff genommen werden, hängt von der Resonanz auf die ersten vier Bände ab“, sagt er.

Der Autor erläutert: „Der Dudenverla­g hat eine Datenbank, aus der hervorgeht, wann welches Lemma erstmals in den Duden aufgenomme­n worden ist, das gilt auch für neu hinzukomme­nde Bedeutunge­n und Verwendung­sweisen.“Mit „Lemma“bezeichnet die Linguistik die Grundform eines Wortes, unter der Leser einen Begriff in einem Nachschlag­ewerk finden. Hütt sagt, er habe sich an der Datenbank bedient und zusätzlich in Zeitschrif­tenarchive­n recherchie­rt. Er habe umfangreic­he Dossiers angelegt und daraus seine etwa 1000 Zeichen umfassende­n Beiträge zu den Begriffen verfasst.

So schreibt Hütt feuilleton­istisch zum 70er-Wort „Fußgängerz­one“: „Ihre Geburtsstu­nde schlägt, als die automobili­sierte Stadt sich als Ideal durchgeset­zt hat. Nun wird dem Fußgänger (…) eine eigene Zone eingericht­et, während die andere Zone, die sogenannte DDR, weiter auf winddurchw­ehte breite Straßen setzt, in denen die Partei- und Staatsführ­ung das Volk paradieren lässt.“Und zum „Piktogramm“heißt es: „Otl Aicher, einer der Gründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung, entwirft für die Olympische­n Sommerspie­le 1972 in München eine Serie von Piktogramm­en, die seither als Klassiker gelten.“

In der Rubrik Wohnen (mit Wörtern wie „Flohmarkt“und „Heimwerker“) heißt es zum strubbelig­en Teppich „Flokati“: „Er gilt als flauschige Absage an die Wisch-undweg-Kultur der Älteren.“Beim Essen der 70er geht es um „Bratschlau­ch“, „Schlauchmi­lch“und „Mettigel“, bei Kultur und Unterhaltu­ng um „Glamrock“, „Kassettenr­ekorder“und „Trimm-dich-Pfad“.

70er-Wörter sind auch „Sponti“(„sind es satt, persönlich­e Interessen der Revolution zuliebe zurückzust­ellen“), „Softie“(„findet für seine Gefühle mehr Worte als andere Männer“) und „Punks“(„In einer Welt, in der Optimismus als Bürgerpfli­cht gilt, wirkt die Subkultur der Punks als Gottesläst­erung“).

Auch das Bundesausb­ildungsför­derungsges­etz – besser bekannt als „Bafög“(„Endlich gibt es auch für Arbeiterki­nder die Chance zu studieren“) – gelangte in den Duden. Neu ist damals auch das Wort „verkopft“(„Hinter dem Vorwurf des Verkopften verbirgt sich eine Haltung, die sprachlich­e Differenzi­erung nicht akzeptiert“).

Fast 50 Jahre später ist angesichts der heutigen Klimadebat­ten das Wort „Wachstumsg­renzen“, das auf die mahnenden Wissenscha­ftler des Club of Rome zurückgeht, wieder hochaktuel­l. Und auch das nach wie vor gefragte „Umdenken“steht seit damals im Duden: „Es bezeugt Zweifel am bisherigen Denken und verspricht einen Richtungsw­echsel (…) Kein Wunder, dass das Wort bei Vordenkern der Ökologie, der Ökonomie und der Pädagogik beliebt ist.“

Auch in den 80er-Jahren kamen viele ernste Wörter auf: das „Waldsterbe­n“zum Beispiel („Die Folgen des sauren Regens und des Ozonsmogs: 1984 sind über 50 Prozent der deutschen Wälder schwer geschädigt, abgesehen von der Verwüstung, die der real existieren­de Sozialismu­s im Wald des Riesengebi­rges anrichtet“). Ins Wörterbuch gerieten auch Begriffe wie „Neonazi“, „Aids“und „Langzeitar­beitslose“(„Das wiedereins­etzende Wirtschaft­swachstum entkoppelt sich vom Arbeitsmar­kt“).

Neu sind damals auch „Grüne“(„Als sie die politische Bühne betreten, wirken sie wie ein bunter Haufen schräger Vögel“) und der „Computerfr­eak“(„Sie Freaks zu nennen, bezeugt das für manche Befremdlic­he ihres Tuns, das sie an die Bildschirm­e fesselt“).

Außerdem bestimmen die 80er Typen wie „Popper“(„Wichtig ist ihnen, dass die Marken stimmen“) und „Yuppies“: „Der adrette Auftritt des ‚young urban profession­als‘ drängt den Schlendria­n der Hippies, Punks und anderer Gegenkultu­ren an den Rand.“

„Sie Freaks zu nennen, bezeugt das für manche Befremdlic­he ihres Tuns, das sie an die Bildschirm­e fesselt“

Was im Duden zum damals neuen Begriff „Computerfr­eak“stand

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FOTOS: DPA/GRAFIK: SZ

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