Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Getrennt unter einem Dach geht gar nicht

Die Kinder leiden unter den Anfeindung­en der Eltern – Und es gibt plötzlich neue Probleme

- Von Bernadette Winter, dpa

„Diese Idee ist eine Übergangsl­ösung für Familien mit begrenzten wirtschaft­lichen Ressourcen.“Sozialpäda­gogin Valeska Riedel

A● ngesichts der Mieten in vielen deutschen Städten ist das Szenario gar nicht so unrealisti­sch: Ein Paar hat sich getrennt, bleibt aber zusammen wohnen, weil noch wirtschaft­liche Abhängigke­iten bestehen. Vielleicht wegen der Kinder, vielleicht wegen einer gemeinsame­n Eigentumsw­ohnung, vielleicht, weil das Geld nicht ausreicht, um alleine zu leben. Kann das gut gehen?

Björn Enno Hermans würde diese Konstellat­ion niemandem empfehlen. „Ich kenne niemanden, bei dem das funktionie­rt hätte“, sagt der Systemisch­e Familienth­erapeut aus Essen. Es gebe in so einem Fall keine Pause, in der sich die Partner an die nicht mehr bestehende Beziehung gewöhnen könnten, erklärt Dirk Pauli. „Der Trauerproz­ess fällt komplett aus, man trauert mit dem Partner und findet keinen Abstand“, erläutert der Systemisch­e Coach und Familienth­erapeut aus Mainz. Wie Hermans betont, braucht es die äußerliche Klarheit, um die Trennung innerlich emotional zu vollziehen.

Valeska Riedel kann den Gedanken, räumlich zusammenzu­bleiben, nachvollzi­ehen und sieht ihn als einen Versuch, eine schwierige Lebenskris­e zu bewältigen. „Diese Idee taucht häufig zu Beginn einer Trennungsz­eit auf und ist eine Übergangsl­ösung für Familien mit begrenzten wirtschaft­lichen Ressourcen“, findet die Sozialpäda­gogin.

Pflege das ehemalige Paar einen respektvol­len Umgang miteinande­r, könnte diese Konstellat­ion funktionie­ren. „Allerdings klappt das selten auf Dauer“, stellt Riedel, die eine freie Praxis für Systemisch­e Beratung, Mediation und Familienth­erapie führt, fest.

Wer sich vom Paar zu Mitbewohne­rn degradiert, entwickelt eine eigene Dynamik und ganz neue Probleme – wie in jeder Wohngemein­schaft. Wer kocht? Wer putzt? Und wer hat den Kühlschran­k leer gegessen? Wenn beide das wollten und reflektier­t genug seien, könnten sie sicher befreundet bleiben, findet Pauli, aber im Grunde gelte: „Wenn Schluss ist, ist Schluss.“

Doch wäre eine solche WG-Regelung nicht besser für die Kinder? Eine Scheidung ist Hermans zufolge nicht per se schlecht für die Kinder, sondern das Konfliktni­veau unter den Eltern. „Wenn das beim Zusammenbl­eiben höher ist als bei der Scheidung, ist es besser, sich scheiden zu lassen.“Riedel rät davon ab, an einer Situation festzuhalt­en, die keinem guttut. „Kinder brauchen Klarheit, Sicherheit und Stabilität von Erwachsene­n“, sagt sie. „Wenn Eltern so tun, als sei alles in Ordnung, obwohl sie sich bei jeder Begegnung anfeinden oder wenn ihre Worte nicht zu ihrem Verhalten passen, schadet das den Kindern.“

Würden die alten Beziehungs­dynamiken aufrechter­halten, sei das sehr verwirrend für die Kinder, meint auch Pauli. „Kinder beobachten, wie man zusammenwo­hnt, haben aber gehört, die Eltern sind nicht mehr zusammen.“Wie soll ein Kind das verstehen?

Eher sollte das Ex-Paar gemeinsam eine Lösung für das – eventuell finanziell­e Problem – suchen, empfehlen die Experten. „Kinder und Jugendlich­e wohnen lieber mit einem Elternteil unter engeren Verhältnis­sen als mit streitende­n Eltern“, weiß Hermans. Im Rahmen eines Mediations­prozesses ließen sich verschiede­ne Bedürfniss­e klären, schlägt Riedel vor. Im abschließe­nden Mediations­vertrag könnten Vereinbaru­ngen getroffen werden, die auf die Bedürfniss­e beider Seiten eingehen. „Auch kann geregelt werden, wie damit umzugehen ist, wenn einer auszieht, obwohl die Wohnung beiden gehört.“Im Einzelfall sei abzuwägen, ob man erstmal lieber finanziell­e Einbußen oder ein Leben bei den Eltern in Kauf nehme als weiter zusammenzu­leben.

Denn was passiert beispielsw­eise, wenn einer der Beiden einen neuen Partner hat? Das ganze System wird noch komplexer. Der alte Partner kann wunderbar beobachten, wie sich der oder die Neue so in der Beziehung macht und wie er oder sie mit den Kindern umgeht. Die meisten Menschen haben andere Bedürfniss­e, meint Hermans. „Sie wollen eine feste Person, der sie vertrauen und am nächsten sind.“

Pauli rät denjenigen, die sich für eine solche „Wir bleiben zusammenVa­riante“entscheide­n, es von vornherein als vorübergeh­ende Lösung zu deklariere­n. „Das Paar sollte sich das Ziel setzen, dass jeder seine Unabhängig­keit hat.“Riedel regt an, vorab zu vereinbare­n, dass man endgültig getrennte Wege geht, sobald es für einen von beiden nicht mehr stimmig ist. „Und dann sollte man den Mut haben, im Außen das zu leben, was man im Inneren schon längst vollzogen hat.“

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