Narren haben Angst vor Verlust ihrer Bräuche
Immer weniger Schüler können mit der Fasnet etwas anfangen – Verankerung im Unterricht ist der Wunsch
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STETTEN AM KALTEN MARKT Fastnacht soll einen festen Platz im Schulunterricht bekommen – von der Grundschule bis ins Gymnasium. Damit fastnachtliche Bildung nicht nur Sache der Zünfte ist, strebt die Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte (VSAN) eine Verankerung in den Bildungsplänen an. „Wenn wir das nicht tun, werden unsere Bräuche irgendwann verloren gehen“, sagte Präsident Roland Wehrle. Bei der Herbstarbeitstagung der Narrenvereinigung am Wochenende in Stetten am kalten Markt, zu der sich rund 500 Vertreter der Mitgliedszünfte,darunter auch Ehinger und Munderkinger trafen, war dies das wichtigste Thema.
Matthias Wider vom kulturellen Beirat der Vereinigung schlägt Alarm. „Die Selbstverständlichkeit, mit der Kinder und Jugendliche Fastnacht feiern, löst sich mehr und mehr auf.“Immer häufiger blicken die Vertreter von Narrenzünften am Glombigen Donnerstag in fragende Gesicht, wenn sie in die Schulen kommen, um Schüler und Lehrer für die Fasnet zu befreien.
Oder wie es Fastnachts-Professor Werner Mezger beschreibt: Im Bodensee-Raum sei der Vereinigung aufgefallen, dass immer mehr Lehrer mit gepackten Koffern auf den Augenblick warteten, direkt im Anschluss an die Befreiung in den Skiurlaub abfahren zu können. Dabei komme es den Narren darauf an, dass Schüler und Lehrer die Fastnacht lebten und sich nach der Befreiung zum Narrenbaumstellen oder Kinderumzug träfen.
Die Verwurzelung nimmt ab
Die Vertreter der 68 Mitgliedszünfte der Narrenvereinigung sind sich einig über die Ursachen: „Urbane Lebensstile breiten sich mehr und mehr aufs Land aus“, sagt der Vertreter des kulturellen Beirats. Eine zunehmende Binnenmigration führe dazu, dass auch vermeintlich Einheimische mit lokalen Bräuchen immer weniger anfangen könnten.
Der Präsident der Narrenvereinigung, Roland Wehrle, machte in einem Pressegespräch deutlich, dass die Aufnahme der Fastnacht auf die Liste der immateriellen Kulturgüter der Unesco auch mit Pflichten verbunden sei: „Es ist vielen nicht bewusst, dass wir die Verpflichtung haben, unser immaterielles Kulturerbe an die Jugend weiterzugeben.“
Um ein Beispiel zu geben: Es stehe nirgendwo geschrieben, wie die Polonaise der Schömberger Narrenzunft (Zollernalbkreis) vonstatten gehe. Umso wichtiger sei die Weitergabe dieser Informationen. Professor Werner Mezger sagte: „Die Phase der Selbstverständlichkeit ist vorbei.“
Narren geben Unterricht
Eine Erhebung der Vereinigung im Vorfeld der Tagung ergab, dass bereits 95 Prozent der Zünfte die Fastnacht in die heimischen Schulen tragen. Ziel der Narrenvereinigung ist jedoch eine Verankerung im Bildungsplan. „Im Bildungsplan für weiterführende Schulen aus dem Jahr 2016 ist nicht ausdrücklich von Fastnacht die Rede“, sagte Matthias Wider. Doch eine Leitperspektive des Bildungsplans könnte als Schnittstelle zur Fastnacht dienen. Der Staatssekretär im Kultusministerium Volker Schebesta (CDU) habe in seiner Rede vor den Narren seine Bereitschaft zugesagt, Lehrerfortbildungen zum Thema Fastnacht anzustoßen. „Das immaterielle Kulturerbe ist unser Hebel, den wir nutzen müssen“, sagte Präsident Wehrle. Da es in Deutschland nicht wie beispielsweise in Polen das Fach Kulturologie gebe, müsse der Unterricht auf verschiedene Fächer verteilt werden.
Narrenschopf als weitere Chance
Der Narrenschopf – das Museum der Vereinigung in Bad Dürrheim – soll die kulturelle Bildung von Schülern und Lehrern unterstützen. Das Museum wird in den kommenden Jahren unter dem Stichwort „Museum 4.0“ins digitale Zeitalter gebeamt. Über 360-Grad-Aufnahmen können Besucher die Fastnacht künftig erleben, indem sie über VR-Brillen in das Geschehen eintauchen. So werden neben der Schömberger Polonaise auch das Sigmaringer Bräuteln und der Munderkinger Brunnensprung zu sehen sein. Werner Mezger hat sich auf der heimischen Couch das Schienbein angeschlagen, als er beim Brunnensprung das Bein zurückzog, weil er dachte, er werde nass.
Zusätzlich ist die Vereinigung am Aufbau einer Homepage, die die Fastnacht erlebbar machen soll. Auf der Seite findet man Animationen, die es im Internet „üblicherweise noch nicht gibt“, sagte der Professor.