Als die DDR-Übersiedler nach Ehingen kamen
30 Jahre nach dem Mauerfall berichten Helfer über ihre Erlebnisse – Franziskanerkloster war Unterkunft
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EHINGEN - 30 Jahre ist es nun her, als in Ehingen nach der Grenzöffnung der damaligen DDR rund 145 sogenannte DDR-Übersiedler mit Bussen angekommen sind. Untergebracht wurden die Menschen damals im Alten Spital, dem heutigen Franziskanerkloster. Eine der Übersiedlerinnen war die heute 76-jährige Erika Menger, die sich noch gut an die ersten Tage in Ehingen erinnert. Mittendrin statt nur dabei als Helfer vom DRK waren Karl Kramer und der damalige Vorsitzende Heinz Seiffert. Ein Rückblick.
Heinz Seiffert sitzt in seinem Wintergarten in Ehingen. Vor ihm liegen zahlreiche Zeitungsausschnitte vom Herbst 1989 – eine Zeit, die Seiffert, damals Finanzbürgermeister und DRK-Vorsitzender in Ehingen, nie vergessen wird. „Es ging im September mit den ersten DDR-Übersiedlern bei uns in Ehingen los. Alle sind mit Bussen zu uns gekommen“, erinnert sich Seiffert und sagt: „Es war ein Glück, dass wir als Stadt 1985/86 das Alte Spital gekauft hatten. Zwar standen die Zimmer ein paar Jahre leer, doch im Herbst 1989 kurz vor und nach dem Mauerfall waren wir froh über jedes Zimmer.“Insgesamt 145 DDR-Übersiedler sind in dieser Zeit nach Ehingen gekommen und wurden im Alten Spital untergebracht und von den DRK-Mitgliedern versorgt.
Obst auf die Nachttische
Einer, der den ersten Bus der Übersiedler in Empfang genommen hat, war Karl Kramer, der sich heute noch gut an die damalige Zeit erinnert. „Uns wurde gesagt, dass da ein Bus aus dem Osten kommt. Wir haben dann rund 15 DRKler organisiert und uns gefragt, wie wir den Menschen überhaupt helfen können“, erklärt Kramer, der sich daran erinnert, wie Sozialhelferin Hannelore Staudacher den Übersiedlern Obst auf die Nachttische im Alten Spital gelegt hat. „Die Menschen waren für alles, was wir für sie getan haben, sehr dankbar. Am wichtigsten war für sie aber, dass sie schnell Arbeit bekommen“, betont Kramer, der sich gut daran erinnert, dass viele der DDR-Übersiedler relativ schnell Jobs bei Liebherr, Schlecker oder dem damaligen Bauunternehmen Freudigmann bekommen haben.
„Die Not der Menschen war schon groß. Wir alle hatten eine Stimmung der großen Verbrüderung in uns. Wir alle waren euphorisch und am Ende auch froh, dass wir die Menschen bei uns im Alten Spital unterbringen konnten“, sagt Heinz Seiffert, der damals die Fäden im Hintergrund gezogen hat und beispielsweise mit dem Regierungspräsidium die Entschädigung für die vielen Helfer ausgehandelt hat.
„Eine große Hilfe für uns alle war auch das Ehinger Krankenhaus. Hier konnten die DDR-Übersiedler zum
Mittagessen hin. Vom Krankenhaus und dem damaligen Chef Wolfgang Neumeister haben wir auch eine große Kaffeemaschine bekommen, um den Menschen zum Frühstück Kaffee zu machen“, so Seiffert, der sich noch ganz genau an den Moment erinnern kann, als er vom Mauerfall am 9. November 1989 erfahren hat. „Ich war gerade dabei, meinen Dachsims zu streichen, als im Fernseher über die Ereignisse berichtet wurde. Es war ein sehr bewegendes Erlebnis für mich. Ich habe dann zu meiner Frau gesagt, dass wir gerade dabei sind, einen enormen Teil der Zeitgeschichte zu erleben“, sagt Seiffert, der dann schon 1994 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. „Die Begegnung damals mit den vielen Abgeordneten aus dem Osten werde ich nie vergessen“, sagt Seiffert.
„Spontan gesagt: Wir hauen ab“
Die Wende nie vergessen wird auch Erika Menger, die vor 30 Jahren zu den DDR-Übersiedlern gehörte und heute noch in Ehingen lebt, ursprünglich aber aus Wolfen-Nord in Sachsen-Anhalt kommt. „Ich habe damals per Zufall erfahren, dass die Grenzen irgendwie offen sind. Eine Bekannte hat das erzählt. Wir haben dann spontan gesagt: Wir hauen ab“, erinnert sich die heute 76-Jährige an die Zeit der Wende. Mit dem Zug ging es dann zuerst bis Schwandorf, von dort aus nach Biberach, wo Erika Menger und ihre Familie in einer Schulturnhalle untergebracht wurden. „Danach haben wir einen Platz bei der Bereitschaftspolizei bekommen und irgendwann wurde mein Mann aufgerufen. Ihm wurde angeboten, entweder nach Ehingen oder Kressbronn zu gehen“, so Menger, die sagt: „Uns wurde erzählt, dass die Unterkunft in Kressbronn schöner sei, es in Ehingen aber Arbeit gebe. Wir haben uns dann für Ehingen und Arbeit entschieden.“
Im Alten Spital in Ehingen habe die Familie zuerst ein „nicht so gutes Zimmer“bekommen, dann aber „ein schönes“. Erika Menger hat dann schnell Arbeit bei Schlecker, später als Reinigungskraft in der Lindenhalle gefunden. „In all der Zeit habe ich nie den Gedanken gehabt, zurück in den Osten zu gehen. Ehingen ist meine Heimat geworden“, sagt Erika Menger, die damals mit 100 D-Mark Begrüßungsgeld und einem Koffer voller Klamotten mit ihrer Familie in ein neues Leben startete.