Fachwissen aus Biberach für Tansania
Zwei Mediziner aus dem ostafrikanischen Land hospitierten in der Nova Clinic
GBIBERACH - Eine völlig andere Welt – nicht nur in medizinischer Hinsicht – haben Dr. Ali Aziz und Daud Pius Chulla in den vergangenen fünf Wochen in Biberach erlebt. Die beiden jungen Männer arbeiten normalerweise in der Klinik in Wasso im Norden von Tansania (Ostafrika). Auf Einladung von Dr. Thomas Kühn, Mitbegründer der Biberacher Nova Clinic, erweiterten sie ihre Kenntnisse in Hygienestandards im Operationssaal. Kühn unterstützt die Klinik in Wasso durch seine Stiftung „Kühn Foundation“mit Spenden, Ausrüstung, aber auch der Vermittlung von Fachwissen.
Ali Aziz (27), Allgemeinarzt, und Daud Pius Chulla (34), OP-Pfleger, wirken ein wenig erschöpft am Ende des fünfwöchigen Deutschlandaufenthalts. Für beide war es die erste Reise ins Ausland und die vielen Eindrücke müssen erst verarbeitet werden. Im Vorjahr war Thomas Kühn zehn Wochen in Tansania, um medizinische Hilfsgüter an zwei Kliniken zu bringen, darunter die in Wasso, aber auch, um dort selbst medizinisch als Unfallchirurg und Orthopäde tätig zu sein. Nachdem er bereits von 1981 bis 1983 als Entwicklungshelfer in Tansania tätig war, hat er die Arbeit in Afrika im Ruhestand wieder zu seinem Steckenpferd gemacht.
Das Wasso-Hospital, ein Missionskrankenhaus, liegt mitten im Busch, am Rand des Serengeti-Nationalparks. Wildtiere sind dort nicht die Ausnahme, sondern die Regel, ebenso Menschen, die zum Beispiel von Löwen angefallen und verletzt werden. Auch Verkehrsunfälle, vor allem mit Mopeds, sind an der Tagesordnung. Wenige Allgemein- und Hilfsärzte kümmern sich um bis zu 150 Patienten. Die nächste, besser ausgestattete Klinik ist rund 300 Kilometer entfernt. „Allerdings sind die Straßen nicht befestigt und in der Regenzeit morastig, da kann man niemanden mit einem komplizierten Bruch transportieren“, so Kühn. Die Menschen einfach in die nächste Klinik zu überweisen wie in Deutschland, gehe in Tansania nicht.
Deshalb tun Ärzte wie Ali Aziz ihr Bestes, um die Menschen mit beschränkten Mitteln im Wasso-Hospital zu versorgen. Gerade aber im Bereich der Chirurgie hapert es besonders, weiß Kühn. „Die Chirurgie ist inzwischen das Stiefkind des Gesundheitswesens in der Dritten Welt“, sagt er. In ganz Tansania gebe es es nur rund 350 Chirurgen für rund 56 Millionen Menschen. „Da gibt es allein in Stuttgart mehr.“Deshalb erledigen auch Allgemeinmediziner wie Aziz chirurgische Eingriffe zum Teil selbst. Knackpunkt hierbei ist die Hygiene.
„Die ist in der Chirurgie wichtiger als in vielen anderen medizinischen Bereichen“, so Kühn. Immer wieder kommt es dadurch zu schlimmen Infektionen, die auch zum Tod führen können.
So kam der Biberacher Arzt auf die Idee, die beiden Kollegen aus Tansania einzuladen, damit sie in der Nova Clinic mit Hygieneabläufen im OP, dem Reinigen und Verpacken von OP-Instrumenten vertraut gemacht werden. „Die Standards sind in Deutschland sehr hoch, bei uns leider noch nicht“, sagt Aziz. Er und seine Kollegen könnten sich zwar durch Literatur fortbilden, „aber wenn man es direkt sieht und erlebt, ist es nochmal etwas anderes“. Ihr angeeignetes Wissen wollen sie an ihre Kollegen in Wasso weitergeben. Für ihren Deutschlandaufenthalt wurden sie extra vom Dienst freigestellt. „Die Kollegen warten darauf, uns wieder zu sehen und zu erfahren, wie es hier war“, sagt Aziz. Nicht nur das medizinische Personal, auch die Klinikverwaltung, erhoffe sich neue Erkenntnisse aus Deutschland.
Neben der Weiterbildung in der Nova Clinic waren die beiden afrikanischen Mediziner auch zu Gast in der Biberacher Sana-Klinik und erhielten dort Einblicke in OP-Abläufe. Besonders beeindruckt waren sie dort von der erst vor wenigen Jahren modernisierten Geburtshilfeabteilung. „Dass diese demnächst aufgegeben und das gesamte Krankenhaus abgerissen wird, konnten die beiden überhaupt nicht verstehen“, so Kühn. Im Vergleich dazu gebe es in ganz Tansania keine bessere Klinik.
Aber auch das Leben in Deutschland außerhalb der Klinik haben die Tansanier kennengelernt. Gewohnt haben sie bei Thomas Kühn und seiner Frau Jutta. Ausflüge führten nach Ulm, München und in den Schnee nach Ruhpolding und Lenggries. Auch das süddeutsche Essen haben beide probiert, vor allem Käsespezialitäten. „Käse gibt es in Tansania selten“, sagt Kühn. Die Grundnahrung bestehe hauptsächlich aus Maisbrei und Bohnen. „Man isst dort, um satt zu werden, nicht wegen des Genusses.“
Prägende Erlebnisse waren auch der Besuch von Fasnetsveranstaltungen in Schemmerhofen und Ummendorf. „Ich hätte nie gedacht, dass die Weißen so verrückt sind, zum Beispiel mit all den Masken“, schildert Aziz seine Eindrücke. Durch zwei Medizinstudenten in der Nova Clinic fanden die beiden auch Anschluss an den Fußballverein in Ummendorf, waren dort beim Kicken und schauten gemeinsam das Champions-LeagueSpiel
des FC Bayern im Fernsehen an. „Wir sind dort wirklich super aufgenommen worden“, sagt Aziz. Er habe sich in Deutschland sicherer gefühlt, als er vor der Reise erwartet habe. Die Menschen in Biberach hätten sie herzlich aufgenommen. Er habe befürchtet, ständig kontrolliert oder schlecht behandelt zu werden, sagt Aziz. „Das Bild der Fremdenfeindlichkeit hierzulande ist offenbar bis nach Ostafrika durchgedrungen“, so Kühn.
Am Mittwoch fliegen Aziz und Chulla zurück nach Tansania. Inzwischen haben beide Heimweh nach ihren Familien. Ali Aziz will eines Tages wiederkommen, um seinen Facharzt als Chirurg zu machen. Thomas Kühn will ihn dabei unterstützen. „Die behördlichen Hürden dafür sind aber sehr hoch“, sagt er. Einen Wunsch hat der junge Mediziner aus Afrika noch: „Die sollen uns bitte die Einrichtung der Geburtshilfeabteilung nach Wasso schicken, bevor sie in Biberach die Klinik abreißen“, meint er lächelnd.