Fastenzeit im Schatten der Pandemie
Der Ramadan steht an – Durch die Corona-Krise wird im heiligen Monat für Muslime vieles anders sein
GISTANBUL - Nach einem langen Tag des Fastens bei Sonnenuntergang mit der Großfamilie und Freunden gemeinsam beim Abendessen sitzen – das ist für viele Muslime das Wichtigste am heiligen Monat Ramadan. Doch in diesem Jahr wird der islamische Fastenmonat, der an diesem Freitag beginnt, ganz anders sein als sonst. Die traditionellen Festmähler wird es in vielen Ländern wegen der Corona-Pandemie nicht geben, Moscheen an den heiligsten Stätten des Islam sind geschlossen. Mancherorts dürfen die Gläubigen das Fasten in diesem Jahr sogar ganz ausfallen lassen. Die knapp zwei Milliarden Muslime – rund ein Viertel der Weltbevölkerung – stehen vor einem ungewöhnlichen Fastenmonat.
Das Fasten im Ramadan ist neben dem Glaubensbekenntnis, der Wallfahrt nach Mekka, den fünf täglichen Gebeten und der Almosengabe eine der fünf Säulen des Islam. Schon in normalen Zeiten bringen der Verzicht auf Nahrung und Wasser von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und das allabendliche Schlemmen gesundheitliche Risiken mit sich. In diesem Jahr wird der Ramadan von der Furcht vor einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus beherrscht.
Das tägliche Fastenbrechen – ob als Zusammenkunft im Familienkreis, als politisches oder gesellschaftliches Ereignis beim Luxusmenü im Fünfsternehotel oder als Massenspeisung auf Plastiktellern – ist im Ramadan eigentlich unverzichtbar. Doch wie beim christlichen Osterfest erzwingt die Pandemie auch bei den Muslimen ein Umdenken. Der Rat der Hohen Gelehrten, die höchste religiöse Instanz in Saudi-Arabien, schärfte den Gläubigen in aller Welt am Sonntag ein, wegen der Gefahr einer weiteren Ausbreitung
des Virus sei das Abstandhalten wichtiger als das Zusammensein. Das Leben anderer Menschen zu schützen, sei ein gottgefälliger Akt, betonten die Gelehrten in der Heimat der heiligsten islamischen Städte, Mekka und Medina.
Das öffentliche Fastenbrechen wird nicht nur in Saudi-Arabien ausfallen. Ägypten und Jordanien haben öffentliche Veranstaltungen im Ramadan ebenfalls verboten. Bereits in den vergangenen Wochen hatten die saudischen Behörden zudem zehntausende Mekka-Besucher nach Hause geschickt. Sie prüfen auch eine Absage der Pilgerfahrt Hadsch im Juli. Wegen der Einstellung der internationalen Flugverbindungen können ausländische Besucher ohnehin nicht in den Moscheen von Mekka und Medina beten. Auch die Al-Aksa-Moschee
in Jerusalem, nach Mekka und Medina die drittheiligste Stätte des Islam, wird im Ramadan geschlossen bleiben.
In der Islamischen Republik Iran könnte das Fasten ganz ausfallen. Der schiitische Gottesstaat, das am schlimmsten betroffene Land des Nahen Ostens, verzeichnet nach offiziellen Angaben zwar eine leichte Entspannung der Lage. Doch ein Bericht des Parlaments in Teheran kam vor wenigen Tagen zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Todesopfer bei fast 10 000 liegen könnte – und damit doppelt so hoch wie in der regierungsamtlichen Bilanz ausgewiesen. Die Zahl der Infektionen könnte bis zu 800 000 betragen, zehnmal so viele wie offiziell zugegeben.
Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei, in politischen wie religiösen Fragen der mächtigste Mann im Iran, verkündete angesichts der Gefahr in einer Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten, das Fasten im Ramadan sei unter bestimmten Voraussetzungen verzichtbar. Es könne ausfallen, wenn der Ausbruch oder die Verschlimmerung einer Krankheit drohe, erklärte Khameini. Auch Ajatollah Ali Sistani, religiöses Oberhaupt der Schiiten im Irak, erteilte den Gläubigen die Erlaubnis, in diesem Jahr das Fasten auszulassen.
Nicht überall beugen sich Behörden und Geistliche den Zwängen der Pandemie. Indonesien und Pakistan, die bevölkerungsreichsten Länder der islamischen Welt, wollen trotz der Corona-Gefahr im Ramadan nicht auf Traditionen verzichten. Der indonesische Präsident Joko Widodo weigert sich bisher, den Bürgern die zum Ramadan üblichen Besuche in ihren Heimatdörfern zu verbieten. Rund 20 Millionen Indonesier sind normalerweise im Fastenmonat auf Reisen – diesmal könnte dies zu einer Explosion der Corona-Fälle in dem südostasiatischen Land mit seinen knapp 270 Millionen Einwohnern führen, befürchten Experten.
In Pakistan sollen die vor wenigen Wochen eingeführten Versammlungsverbote in den Moscheen zum Ramadan aufgehoben werden. Derzeit dürfen nur drei bis vier Gläubige gleichzeitig in einem Gotteshaus beten, damit die Abstandsregeln eingehalten werden können. Im Fastenmonat wird diese Beschränkung abgeschafft – nicht zuletzt, weil es wegen der Zugangsbeschränkungen heftige Schlägereien zwischen Gläubigen und der Polizei gab. Zwar sollen die Betenden auch im Ramadan einen Abstand von zwei Meter voneinander einhalten. Doch es ist unklar, wie das durchgesetzt werden kann, wenn die Moscheen grundsätzlich für alle geöffnet sind.