„Zusammenarbeit ist mangelhaft“
RAVENSBURG - Deutschland lockert schrittweise die Grenzkontrollen zu den Nachbarländern. Wie gut die Staaten beim Infektionsschutz kooperieren, erklärt Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Daniel Hadrys.
Kontrollen an der deutschen Grenze sollen bis zum 15. Juni wegfallen. Wie arbeiten die jeweiligen nationalen Institute zur Infektionsbekämpfung zusammen, um Infektionsherde und -ketten nachverfolgen zu können? Ich freue mich persönlich über die Aussicht, wieder innereuropäisch reisen zu können. Die Zusammenarbeit ist mangelhaft. Ich sehe als Virologe/Epidemiologe und als Vorsitzender der STIKO ein erhebliches Defizit darin, dass es in Europa kaum verbindliche Absprachen über die Vorgehensweisen zur Vorbeugung, zum Beispiel Impfungen, und Bekämpfung von Infektionen und Infektionskrankheiten gibt. Ich erinnere daran, dass die Schweiz nicht zur EU gehört. Es existieren aber auf der Ebene der EU-Regierungen, des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, und vieler persönlicher Kontakte durchaus Ansätze zur Verbesserung, und man kann hoffen, dass diese Ansätze zu einer koordinierten Zusammenarbeit nach der Sars-CoV-2 Erfahrung rasch weiterentwickelt werden. Die Organisation der medizinischen Versorgung und des öffentlichen Gesundheitswesens hat sich in allen EULändern historisch völlig unterschiedlich entwickelt. Die „nationalen Institute zur Infektionsbekämpfung“sind sehr unterschiedlich organisiert und gesetzlich eingebettet, was eine spontane Zusammenarbeit schwer macht. Ich erinnere daran, dass auch in Deutschland „Gesundheit“Sache der Bundesländer ist, was aus meiner Sicht ein Fehler ist und was wesentliche Nachteile für die innerdeutsche Abstimmung hat.
Sind die Corona-Testungen in Deutschland und seinen Nachbarstaaten bezüglich Anzahl und Qualität einigermaßen auf einem ähnlichen Stand?
Bezüglich der Anzahl kann ich diese Frage nicht beantworten. In der Schweiz gilt zum Beispiel die Empfehlung zur Testung (auf Virus) aller Personen mit Symptomen. Kantonsärztinnen und Kantonsärzte können beschließen, asymptomatische Personen in Spitälern sowie Alters- und Pflegeheimen zu testen, wenn das gerechtfertigt ist, um die Ausbreitung des Virus (Krankheitsausbrüche) innerhalb der Einrichtung zu verhindern und zu kontrollieren. Die Testpraxis in den Nachbarländern ist sicher nicht einheitlich – in Deutschland wahrscheinlich auch nicht. Die Qualität der Testungen ist überall ähnlich, und es werden auch vielfach die gleichen kommerziellen Tests zum Virusnachweis (RNA) verwendet.
Auch die Gastronomie öffnet bald wieder. Halten Sie die Hygienekonzepte für ausreichend?
Die Konzepte halte ich für angemessen, allerdings kommt es wie überall im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 nicht nur auf „Konzepte“, sondern vor allem darauf an, wie die verantwortlichen Gastronomen und die Gäste sich verhalten werden. Mir fallen hierzu sofort drei Begriffe ein: Verantwortung, Klugheit und Dummheit. Ich hoffe, dass die beiden ersten unsere Situation bestimmen werden, aber ganz sicher bin ich angesichts mancher Vorkommnisse nicht.