Krakeelern muss niemand zuhören
Die Trennlinie zwischen Meinungsstreit und Krakeelen, sie ist in einem Video deutlich zu sehen. Es ist vor Kurzem im thüringischen Gera aufgenommen worden, bei einer der vielen CoronaDemos gegen die Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Darauf ist erst der 84-jährige Alfons Blum zu sehen, der wegen der Einschränkungen seit Wochen seine Frau im Pflegeheim nicht sehen kann. Einem ARD-Fernsehreporter erzählt Blum unter Tränen von der „seelischen Folter“, die das bedeute. Dann brüllt von der Seite ein anderer Mann, Blum dürfe nicht mit den öffentlich-rechtlichen Medien reden – und redet die Krankheit Covid-19 klein. Blum entgegnet: „Man muss auch vernünftig bleiben.“
Mit Menschen wie Alfons Blum, denen die Corona-Einschränkungen das Leben durcheinandergewirbelt haben, die in seelischer oder wirtschaftlicher Not sind, müssen Politiker und Medien weiter sprechen, so intensiv wie möglich. Jede Einschränkung der Freiheitsgrundrechte müssen die Regierungen in Bund und Ländern abwägen gegen das Leid, das sie bei vielen Menschen verursacht oder zumindest befördert. Die Einschränkungen zu lockern, sobald vernünftiger Gesundheitsschutz das erlaubt, das ist die Pflicht der Regierenden.
Das Recht der Bürgerinnen und Bürger ist es wiederum, auf die Straße zu gehen, um auf ihre Rechte zu pochen: auf die Freizügigkeit, die Freiheit, den eigenen Betrieb zu öffnen, auf die Versammlungsfreiheit. Mit diesem Recht ist aber auch Verantwortung verbunden: Wer duldet, dass der Nebenmann oder die Nebenfrau auf der Corona-Demo die Einschränkungen gegen die Pandemie ernsthaft mit dem Völkermord an Europas Juden vergleicht, wer neben Menschen protestiert, die Angela Merkel oder Markus Söder als schlimmeres Übel als Adolf Hitler darstellen, wer antisemitische oder rassistische Verschwörungsmärchen verbreitet – der muss auch aushalten, dass seine Mitmenschen ihn nicht mehr als ernsthaften Gesprächspartner sehen. Sondern als verblendeten Krakeeler. Und mit solchen Menschen zu reden, dazu ist niemand verpflichtet.