Weingartener „Blutrittle“– Die Menschen diesmal nur im Gebet
Blutfreitag trotz Corona begangen – Livestream im Internet – Die Ösch-Andacht feiern, mit gebührendem Abstand, zahlreiche Gläubige mit
GWEINGARTEN - Auf gänzlich unbekannte Art und Weise ist am Freitag der traditionelle Blutfreitag in Weingarten begangen worden. Wegen der Corona-Pandemie fand zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg kein richtiger Blutritt statt. Mehr als 2000 Reiter und ebenso viele Musikanten mussten zu Hause bleiben und die geistlichen Feierlichkeiten im Livestream im Internet mitverfolgen, der am Freitagnachmittag schon mehr als 13 000 Abrufe hatte. Derweil war das „Blutrittle“, wie Dekan und Blutreiter Ekkehard Schmid die im kleinen Rahmen stattfindende Prozession nannte, für alle Beteiligten hochemotional.
„Für uns, die hier sein können, ist es hier oben ein wunderbarer, geradezu paradiesischer Moment“, sagte der Dekan am Ösch in Köpfingen, wo eine Andacht gehalten wurde. „Und doch wissen wir, dass viele heute hier sein wollten. Wir denken in diesem Augenblick besonders an die vielen Tausend Blutreiter, die heute liebend gerne hier gewesen wären, an die vielen Musiker und vor allem an die vielen
Tausend Wallfahrer von nah und fern. Sie sind nicht vergessen.“
Eine Stunde zuvor hatte der Dekan auf dem wegen Corona abgesperrten und menschenleeren Basilikavorplatz die Heilig-Blut-Reliquie aus den Händen von Pfarrer Nicki Schaepen aus Bad Schussenried entgegengenommen. Kaum hatte er auf seinem Schimmel die Prozession angetreten, bildete sich ein kleines Begleitgrüppchen, welches in den folgenden Stunden immer größer wurde. Immer wieder hatten sich Blutreiter am Wegesrand mit Frack, Zylinder und Standarten aufgestellt, um doch irgendwie mit dabei zu sein. Immer wieder kamen auch Anwohner aus ihren Häusern, fotografierten oder beteten mit. So auch der 83-jährige Werner Haußmann, der mit seiner Frau Margret am Wegesrand stand. „Da ist viel Wehmut mit dabei“, sagte er, der selbst 43-mal mitgeritten ist. Aber man müsse es eben so nehmen, wie es komme.
Das lebte auch Weingartens Gruppenführer Markus Göttner vor, der gemeinsam mit Felix Habisreutinger, dem Sprecher der Festordner, den Dekan hoch zu Ross begleitete. Er wurde zeitweise vom Blutreiter zum Blutläufer. Schon auf dem Basilikavorplatz war sein Pferd unruhig gewesen. Daher stieg er für Teile der Strecke immer wieder ab und ging zu Fuß an der Seite der Reliquie.
Als diese zum Ösch kam, hatten sich dort schon zahlreiche Gläubige zur Andacht eingefunden, obwohl der neue Prozessionsweg bis zuletzt geheimgehalten wurde. Rund 100 Menschen, die sich an die Abstandsregeln hielten, waren nun mit dabei. „Es ist ein gutes Zeichen, wenn trotzdem so viele gekommen sind – gegen die Anordnungen. Denn das war immer schon der Blutritt. Er kam nie von oben, er kam immer von unten“, sagte Dekan Schmid spürbar erfreut. „Sonst gäbe es ihn nicht, wenn Menschen ihn nicht immer trotzdem gefeiert hätten. Auch gegen manche Vorgaben.“
Etwas diplomatischer drückte es Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald aus, der ebenfalls vor Ort war: Es sei sehr schön, dass man den Blutfreitag zumindest in dieser eingeschränkten Form begehen könne. Und vielleicht habe man nun die Möglichkeit, noch mehr über den Kern der Prozession nachzudenken.
Für Ewald ganz persönlich war es die erste Teilnahme am Blutfreitag nach seinem schweren Verkehrsunfall mit lebensbedrohlichen Verletzungen im Dezember 2018, deretwegen er nun im Rollstuhl sitzt: „Ich bin froh, dass ich wieder mitfeiern kann.“
Freude empfand auch Filmemacher Florian Bodenmüller, der eine Dokumentation über den Blutritt macht und die gesamte Strecke mitgelaufen war: „Die Menschen nur im Gebet. Das hatte schon etwas. Das Feeling war einmalig. Ich hatte zwei Stunden lang Gänsehaut.“