Verträge sind einzuhalten
B● oris Johnsons Slogan aus dem vergangenen Jahr ist in Großbritannien noch immer in aller Munde: „Lasst uns den Brexit durchziehen. Dem Wahlvolk versprach der Premierminister, er habe eine „ofenfertige“Vereinbarung mit Brüssel, alles werde gut. Neun Monate nach seinem klaren Wahlsieg entpuppen sich die schönen Worte als ebenso verlogen wie einst die Artikel des hochbezahlten Journalisten oder die Behauptung des zunehmend der Inkompetenz verdächtigten Regierungschefs, sein Land sei bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie „weltweit führend“.
In Wirklichkeit weist Großbritannien bezogen auf die Bevölkerungsgröße mindestens die dritthöchste Mortalität während der Corona-Pandemie in Europa auf. In Wirklichkeit steuert die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt am Jahresende auf einen kompletten Bruch mit dem grössten Binnenmarkt der Welt zu, dem die meisten wichtigen Partner und Freunde der Insel angehören.
Das sogenannte „No Deal“-Szenario sei „eine gute Lösung“, redet Premier Johnson den Briten jetzt ein. Das mag glauben, wer will. Am Montag aber kam zusätzlich ans Licht: Die Regierung der einstigen BrexitVorkämpfer will nicht nur ohne Handelsvertrag mit der Europäischen Union ins neue Jahr gehen. Ein neues Gesetz soll auch den erst vor Jahresfrist mit Brüssel abgeschlossenen und im Winter vom Parlament ratifizierten Austrittsvertrag untergraben. Dieser sieht eine Speziallösung für Nordirland vor, um die offene Grenze zur Republik Irland offenzuhalten und damit den Frieden in der einstigen Bürgerkriegsregion zu wahren.
Der Lateiner Johnson sollte eigentlich den altrömischen Grundsatz „Pacta sunt servanda“kennen: Verträge sind einzuhalten. Er liegt dem Völkerrecht zugrunde, für dessen Verbreitung das Vereinigte Königreich früher viel beitrug. Wenn London jetzt Zweifel an seiner Vertragstreue aufkommen lässt und in Irland mit dem Feuer spielt, zerstört es die Grundlage künftiger Zusammenarbeit und macht sich international zum Schurkenstaat.