Nabu verbucht in Pestizidstreit Erfolge
Gerichte geben Klagen von Naturschützern und Wasserversorgern recht – Land wehrt sich
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STUTTGART - Wie viel Pflanzenschutzmittel landen in Schutzgebieten. Und welche? Diese Frage lässt das Land unbeantwortet. Der Naturschutzbund (Nabu) und die Landeswasserversorgung haben daraufhin geklagt und erste Erfolge erzielt. Was das für Verbraucher und Bauern bedeutet und warum der Landesbeauftragte für Informationsfreiheit die Urteile sehr begrüßt – ein Überblick.
Worum geht es bei den Gerichtsprozessen? ●
Der Nabu Baden-Württemberg fordert lange schon Daten zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Land. Für ihn steht fest: Pestizide fördern Insektensterben. Das schade der Artenvielfalt. Nabu-Landeschef Johannes Enssle verweist auf die sogenannte Krefelder Studie. Sie beschreibt einen Rückgang an Insekten innerhalb von 27 Jahren um 75 Prozent. Die Wissenschaftler der Studie hätten die Daten gerne mit denen zum Pestizideinsatz verglichen, so Enssle. Die hat sein Verband beim Land eingefordert. „Aber wir sind auf eine Mauer aus Granit gestoßen“, so Enssle am Montag in Stuttgart. Auf Basis einer EU-Verordnung hat der Nabu bei den vier Regierungspräsidien Daten für alle Naturschutzgebiete eingeklagt. Diese machen laut Statistikamt 2,4 Prozent der Landesfläche aus, 14 Prozent davon werden landwirtschaftlich genutzt.
Die Landeswasserversorgung will ihr Trinkwasser vor Verunreinigung schützen. Sie versorgt drei Millionen Menschen – unter anderem in Ellwangen und Aalen. „Wir haben mehrfach Glyphosat in der Donau gefunden“, sagte Geschäftsführer Frieder Haakh am Montag. Es gebe in Deutschland 285 zugelassene Pflanzenschutzwirkstoffe. „Da kann man nicht alles untersuchen.“Sein Verband will Daten zu Pestizideinträgen nutzen, um gezielter nach Wirkstoffen im Wasser suchen zu können.
Wie urteilten die Gerichte?
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Drei der sechs Verfahren sind entschieden. Die Verwaltungsgerichte in Karlsruhe, Stuttgart und Freiburg haben den Klägern recht gegeben und fordern von den Regierungspräsidien, die Daten herauszugeben.
Wer hat diese Daten?
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Welche Pestizide Landwirte ausbringen und wie viel davon, zeichnen sie auf. Die Behörden kontrollieren die Aufzeichnungen stichprobenhaft.
Wie geht es nun weiter?
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Gegen alle Urteile hat das Land Berufung eingelegt. Ein Grund sei die Tatsache, dass das Land diese Daten nicht habe, betonte ein Sprecher von Agrarminister Peter Hauk (CDU) am Montag. Die Behörden sammelein ten die Daten nicht. Wasserversorger Haakh lässt das nicht gelten. Er verweist auf die Urteile: „Die Behörden verfügen darüber, die Daten müssen also auch herausgegeben werden.“Ein wohl gewichtigerer Grund ist aber ein Rechtsstreit zwischen Bund und EU. Das Land beruft sich auf das Pflanzenschutzgesetz des Bundes. Demnach benötigt es ein „berechtigtes Interesse“, um an solche Informationen zu gelangen. In der EU-Verordnung steht dieses Informationsrecht indes jedem zu. Eigentlich steht EU-Recht über Ländergesetzen. Das Land will diesen Widerspruch höchstrichterlich klären lassen. „Vor diesem Hintergrund und weil das Land die Einschätzung der Gerichte nicht teilt, wurde gegen die genannten Urteile der Verwaltungsgerichte Berufung eingelegt“, so Hauks Sprecher. Experten sehen im Vorgang einen Musterprozess mit Signalwirkung. Ihm sei europaweit kein vergleichbarer Vorgang bekannt, sagt Nabu-Chef Enssle. „Alle schauen gespannt nach BadenWürttemberg.“
Reinhold Pix, Vorsitzender des Arbeitskreises Ländlicher Raum und Verbraucherschutz bei den Landtagsgrünen, kritisiert Hauks Vorgehen. „Minister Hauk sollte nicht vergessen, dass er nicht nur Landwirtschafts-, sondern auch Verbraucherschutzminister ist: Die Bürgerinnen und Bürger von Baden-Württemberg wollen wissen, welche Mittel auf dem Acker landen. Und sie haben Recht auf die Herausgabe von Umweltdaten.“
Was hat das mit den neuen Landesgesetzen ● zur Stärkung der Artenvielfalt zu tun?
Das Land hat sich kurz vor der Sommerpause ambitionierte Ziele gesteckt. Von 2022 an gilt ein Verbot von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten – aber nicht etwa in Wasserschutzgebieten. Laut neuem Artenschutzgesetz soll bis 2030 zudem nur noch die Hälfte der Pestizidmengen auf Äckern und Feldern landen. Das Gesetz ist eine Antwort auf das Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Dieses wurde dadurch abgeräumt, dass das Land sich mit Bienenfreunden, Naturschützern und Bauern auf Kompromisse geeinigt und diese in Gesetze gegossen hat.
Zur Messung der Pestizidmengen baut das Land auf die Hilfe der Bauern. Betriebe sollen freiwillig melden, wie viele Stoffe sie jährlich ausbringen. So sollen repräsentative Daten vorliegen. Diesem Vorgehen habe auch der Nabu zugestimmt, betont Hauks Sprecher. Nabu, Landeswasserversorgung und Stefan Brink, Landesbeauftragter für Informationsfreiheit, fordern aber einen anderen Weg: Landwirte sollen ihre Pestizidmengen in ein Online-Formular des Landes eintragen. „Eine Datenbanklösung muss möglich sein“, sagt Wasserversorger Haakh. „In anderen Ländern wird Nitrat so erfasst.“
Was sagen die Bauern?
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Daten allein hätten keine Aussagekraft, sagt Marco Eberle, Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes. „Die Einsatzmenge schwankt von Jahr zu Jahr und sagt nichts über den verantwortungsvollen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln aus.“Schädlinge, Wetter und Krankheiten hätten einen massiven Einfluss auf die Mengen. „In der Vergangenheit haben die Umweltverbände dieses komplexe Thema leider sehr einseitig und unsachlich kommuniziert“, kritisiert Eberle. Pflanzenschutz sichere die Qualität und den Ertrag von Lebensmitteln und diene dem Klimaschutz. Bauen hätten Sorge, an den Pranger gestellt zu werden. Deshalb, entgegnet Enssle, wolle der Nabu alle Daten nur anonymisiert.
Was fordert der Landesbeauftragte ● für Informationsfreiheit?
Stefan Brink wünscht sich Transparenzgesetze im Südwesten, wie es sie bereits in anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz gibt. Er fordert einen Lernprozess: „Der Transparenzgedanke ist in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland nicht sehr stark ausgeprägt“, kritisiert er. „Die öffentliche Verwaltung muss lernen, dass sie sich als Dienstleister versteht“– allgemein sowie konkret in Bezug auf Umweltdaten. Mehr Transparenz helfe, die Verwaltung zu kontrollieren und den Bürger als Teil der Demokratie mündiger zu machen.