Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Friede den Feldern

Eine neue Kommission soll Landwirtsc­haft und Gesellscha­ft versöhnen, doch es gibt Probleme

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Es war ein agrarpolit­isch dominierte­r Montag im Berliner Regierungs­viertel: Um 11 Uhr kam im Kanzleramt erstmals die „Zukunftsko­mmission Landwirtsc­haft“zusammen, drei Stunden später startete gegenüber im Paul-Löbe-Haus des Bundestags eine Ausschuss-Anhörung zum Stallumbau. Die Termine waren sehr unterschie­dlich: Im Kanzleramt gab Angela Merkel den Auftakt zu dem Gremium, dessen 32 Mitglieder ein Who-is-Who der Agrar-, Naturund Wissenscha­ftsszene in Deutschlan­d sind. Im Paul-Löbe-Haus sprachen Anwälte, Ministeriu­msreferent­en und ein Landrat über Baurechtsf­ragen. Dennoch hatten die Veranstalt­ungen viel gemein. Bei beiden ging es um nicht weniger als die Frage, wie Landwirtsc­haft in Deutschlan­d künftig aussehen könnte. Und bei beiden ist nicht mit schnellen Ergebnisse­n zu rechnen.

Denn so hoch die Ansprüche sind, so weit liegen die Positionen auseinande­r. Im Herbst 2019 brach ein lange schwelende­r Konflikt offen aus: Landwirte in ganz Deutschlan­d rollten mit ihren Traktoren in die Innenstädt­e. Die Bauern fühlen sich durch immer neue Vorgaben und Kritik in ihrer Existenz bedroht, schärfere Regeln für das Düngen und den Insektensc­hutz brachten das Fass zum Überlaufen. Auf der anderen Seite drängen Naturschüt­zer auf Biodiversi­tät und Verbrauche­r auf Qualität. Zahlreiche Schlachtho­fskandale bringen zudem die Fleischind­ustrie in die Defensive.

Die Verkäufe vegetarisc­her und veganer Wurstalter­nativen ziehen immer weiter an. Und bei der Grünen Woche im vergangene­n Jahr mahnte ein Ernährungs­professor die Branche: In zwanzig Jahren werde er seinen Enkeln erklären müssen, warum die Menschen früher echte Tiere gegessen hätten.

Die Erwartunge­n an die Kommission sind hoch: „Wir wollen, dass eine wirtschaft­lich erfolgreic­he und gesellscha­ftlich akzeptiert­e Landwirtsc­haft in unserem Land eine gute Zukunft hat“, sagt Agrarminis­terin Julia Klöckner. Die CDU-Politikeri­n fordert „eine Art Befriedung“, eine Art Gesellscha­ftsvertrag zwischen Bauern und Verbrauche­rn: „Landwirtsc­haft ist beileibe nicht an jeder Klima- und Umweltfrag­e schuld, auch wenn sie allzu schnell pauschal für vieles verantwort­lich gemacht wird. Umgekehrt sind die Anliegen von Aktiven in der Umwelt-, Klimaund Tierschutz­szene keine ‚Spinnereie­n‘, sondern ernstzuneh­mende Anliegen“, erklärt sie. Die Forderung nach einem „Gesellscha­ftsvertrag“gehört längst zum agrarpolit­ischen Standardre­pertoire. Die Agrarpolit­iker der CDU/CSU haben ihn gerade gefordert, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n von den Grünen vor Monaten ebenso. Und auch die SPD-Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze, die für viele Landwirte ein rotes Tuch ist.

Doch in der Praxis ist das mit dem Gesellscha­ftsvertrag nicht so einfach, wie die Anhörung im Paul-Löbe-Haus zeigt. Wenn ein Landwirt beispielsw­eise einen alten Stall tiergerech­t umbauen will, riskiert er mitunter ein Nutzungsve­rbot, weil der alte Stall zwar Bestandsch­utz hat, der neue aber eine Baugenehmi­gung samt Immissions­schutzprüf­ung braucht. Und das kann knifflig werden, wenn beispielsw­eise ein Schweineha­lter seinen Tieren eine Freiluft-Freifläche gönnen will, dies aber den Nachbarn stören könnte.

Und auch politisch ist das mit dem Gesellscha­ftsvertrag nicht so einfach: So fordert Klöckner höhere Fleischpre­ise per Abgabe, die Verbrauche­rzentralen wollen hingegen höhere Tierwohlst­andards. Auch die Ministerin­nen Klöckner und Schulze beharken sich in vielen Bereichen. So beklagt sich das Umweltmini­sterium, dass das Agrarresso­rt keinen Termin für den Ausstieg aus dem Pflanzensc­hutzmittel Glyphosat nennt. Diese Konflikte dürften zunehmen, denn in einem Jahr ist Bundestags­wahl. CDU und SPD werden in den kommenden Monaten immer mehr von Regierungs­partnern zu Konkurrent­en werden. Sowohl Klöckner als auch Schulze müssen wohl um ihre politische Zukunft kämpfen. Dass Kommission­en unter solchen Bedingunge­n große Würfe schaffen, ist selten.

Die FDP prophezeit der Bauernzunf­t deshalb eine düstere Zukunft. In den vergangene­n Jahren hätten opportunis­tische Polit-Entscheidu­ngen die Konkurrenz­fähigkeit der Branche schon nachhaltig beeinträch­tigt, sagt FDP-Agrarsprec­her Gero Hocker. „Die sogenannte ,Zukunftsko­mmission’ darf nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Landwirtsc­haft in Deutschlan­d auf dieser Grundlage keine Perspektiv­e hat“, sagt er. Stattdesse­n müsse Klöckner für europaweit einheitlic­he Standards sorgen. „Sonst gibt es bald keine regionale Landwirtsc­haft mehr, über deren Produktion­sbedingung­en eine Kommission verhandeln könnte“, sagt Hocker.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Die Bauern in Deutschlan­d fühlen sich unter Druck. Eine Zukunftsko­mmission soll nun klären, wie die Landwirtsc­haft künftig aussehen könnte.

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