Friede den Feldern
Eine neue Kommission soll Landwirtschaft und Gesellschaft versöhnen, doch es gibt Probleme
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BERLIN - Es war ein agrarpolitisch dominierter Montag im Berliner Regierungsviertel: Um 11 Uhr kam im Kanzleramt erstmals die „Zukunftskommission Landwirtschaft“zusammen, drei Stunden später startete gegenüber im Paul-Löbe-Haus des Bundestags eine Ausschuss-Anhörung zum Stallumbau. Die Termine waren sehr unterschiedlich: Im Kanzleramt gab Angela Merkel den Auftakt zu dem Gremium, dessen 32 Mitglieder ein Who-is-Who der Agrar-, Naturund Wissenschaftsszene in Deutschland sind. Im Paul-Löbe-Haus sprachen Anwälte, Ministeriumsreferenten und ein Landrat über Baurechtsfragen. Dennoch hatten die Veranstaltungen viel gemein. Bei beiden ging es um nicht weniger als die Frage, wie Landwirtschaft in Deutschland künftig aussehen könnte. Und bei beiden ist nicht mit schnellen Ergebnissen zu rechnen.
Denn so hoch die Ansprüche sind, so weit liegen die Positionen auseinander. Im Herbst 2019 brach ein lange schwelender Konflikt offen aus: Landwirte in ganz Deutschland rollten mit ihren Traktoren in die Innenstädte. Die Bauern fühlen sich durch immer neue Vorgaben und Kritik in ihrer Existenz bedroht, schärfere Regeln für das Düngen und den Insektenschutz brachten das Fass zum Überlaufen. Auf der anderen Seite drängen Naturschützer auf Biodiversität und Verbraucher auf Qualität. Zahlreiche Schlachthofskandale bringen zudem die Fleischindustrie in die Defensive.
Die Verkäufe vegetarischer und veganer Wurstalternativen ziehen immer weiter an. Und bei der Grünen Woche im vergangenen Jahr mahnte ein Ernährungsprofessor die Branche: In zwanzig Jahren werde er seinen Enkeln erklären müssen, warum die Menschen früher echte Tiere gegessen hätten.
Die Erwartungen an die Kommission sind hoch: „Wir wollen, dass eine wirtschaftlich erfolgreiche und gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft in unserem Land eine gute Zukunft hat“, sagt Agrarministerin Julia Klöckner. Die CDU-Politikerin fordert „eine Art Befriedung“, eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen Bauern und Verbrauchern: „Landwirtschaft ist beileibe nicht an jeder Klima- und Umweltfrage schuld, auch wenn sie allzu schnell pauschal für vieles verantwortlich gemacht wird. Umgekehrt sind die Anliegen von Aktiven in der Umwelt-, Klimaund Tierschutzszene keine ‚Spinnereien‘, sondern ernstzunehmende Anliegen“, erklärt sie. Die Forderung nach einem „Gesellschaftsvertrag“gehört längst zum agrarpolitischen Standardrepertoire. Die Agrarpolitiker der CDU/CSU haben ihn gerade gefordert, Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen vor Monaten ebenso. Und auch die SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die für viele Landwirte ein rotes Tuch ist.
Doch in der Praxis ist das mit dem Gesellschaftsvertrag nicht so einfach, wie die Anhörung im Paul-Löbe-Haus zeigt. Wenn ein Landwirt beispielsweise einen alten Stall tiergerecht umbauen will, riskiert er mitunter ein Nutzungsverbot, weil der alte Stall zwar Bestandschutz hat, der neue aber eine Baugenehmigung samt Immissionsschutzprüfung braucht. Und das kann knifflig werden, wenn beispielsweise ein Schweinehalter seinen Tieren eine Freiluft-Freifläche gönnen will, dies aber den Nachbarn stören könnte.
Und auch politisch ist das mit dem Gesellschaftsvertrag nicht so einfach: So fordert Klöckner höhere Fleischpreise per Abgabe, die Verbraucherzentralen wollen hingegen höhere Tierwohlstandards. Auch die Ministerinnen Klöckner und Schulze beharken sich in vielen Bereichen. So beklagt sich das Umweltministerium, dass das Agrarressort keinen Termin für den Ausstieg aus dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat nennt. Diese Konflikte dürften zunehmen, denn in einem Jahr ist Bundestagswahl. CDU und SPD werden in den kommenden Monaten immer mehr von Regierungspartnern zu Konkurrenten werden. Sowohl Klöckner als auch Schulze müssen wohl um ihre politische Zukunft kämpfen. Dass Kommissionen unter solchen Bedingungen große Würfe schaffen, ist selten.
Die FDP prophezeit der Bauernzunft deshalb eine düstere Zukunft. In den vergangenen Jahren hätten opportunistische Polit-Entscheidungen die Konkurrenzfähigkeit der Branche schon nachhaltig beeinträchtigt, sagt FDP-Agrarsprecher Gero Hocker. „Die sogenannte ,Zukunftskommission’ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Landwirtschaft in Deutschland auf dieser Grundlage keine Perspektive hat“, sagt er. Stattdessen müsse Klöckner für europaweit einheitliche Standards sorgen. „Sonst gibt es bald keine regionale Landwirtschaft mehr, über deren Produktionsbedingungen eine Kommission verhandeln könnte“, sagt Hocker.