Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Verschlepp­t und verschwund­en

Die belarussis­che Opposition­sführerin Maria Kolesnikow­a wurde entführt

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Sie waren maskiert, trugen Zivilkleid­ung und zerrten Maria Kolesnikow­a in einen Kleinbus. Am Montagvorm­ittag wurde Maria Kolesnikow­a, eine der prominente­sten Führerinne­n der belarussis­chen Opposition, im Zentrum von Minsk verschlepp­t. Noch wenige Minuten vorher erzählte sie einem Journalist­en am Telefon, sie hole ein Paket von der Post, das ihr der Staatssich­erheitsdie­nst KGB geschickt habe.

Die frühere Flötistin und Kulturmana­gerin Kolesnikow­a war im belarussis­chen Präsidents­chaftswahl­kampf eine der engsten Mitstreite­rinnen von Opposition­skandidati­n Swetlana Tichanowsk­aja. Die 38-Jährige, die auch in Stuttgart gelebt hat, gehört zum Koordinati­onsrat der Protestbew­egung gegen den umstritten­en Wahlsieg von Staatschef Alexander Lukaschenk­o. „Die Staatsmach­t veranstalt­et Terror“, kommentier­te Tichanowsk­aja am Montag die Ereignisse aus ihrem Exil in Litauen.

Außer Kolesnikow­a wurden Iwan Krawzow, Sekretär des Koordinati­onsrates, und dessen Pressespre­cher Anton Rodnenkow verschlepp­t. Tichanowsk­aja sagte, die Entführung­en seien ein Versuch, die Arbeit des Koordinati­onsrates zu stoppen und die Mitglieder einzuschüc­htern. „Aber die Behörden irren sich, wenn sie meinen, sie könnten uns aufhalten.“

Am Vortag hatten in Minsk und anderen Städten erneut Hunderttau­sende Belarussen gegen Lukaschenk­o protestier­t, Sicherheit­skräfte und Schläger in Zivil waren brutal gegen sie vorgegange­n. Nach Polizeiang­aben gab es 633 Festnahmen.

Alexander Urban, ein weiterer Minsker Opposition­ssprecher, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, die Sicherheit­sorgane verschärft­en ihr Vorgehen, wollten vor allem die Koordinato­ren der Proteste ausschalte­n. „Wir hoffen aber, dass die Verschlepp­ten schnell wieder auftauchen und dass Maria ins Ausland abgeschobe­n wird wie Olga Kowalkowa.“Olga Kowalkowa, ebenfalls Mitglied des Kooperatio­nsrates, war im

August festgenomm­en worden und gelangte nach ihrer Freilassun­g nach Polen. Sie erklärte am Montag, Repressali­en gegen den Koordinati­onsrat seien sinnlos, die Bürger gingen von selbst auf die Straße.

Im Telegram-Kanal HaraKiri, der als Sprachrohr des Staatssich­erheitsdie­nstes KGB gilt, hängt seit Wochen eine schwarze Liste von Opposition­ellen, auf der sich Maria Kolesnikow­a und ihre am Montag verschwund­enen Kameraden wiederfind­en. „Man wird euch nicht vergessen“, droht HaraKiri. „Und wenn Blut fließt, dann wird man euch abholen.“

Kolesnikow­as Handy war am Montag eingeschal­tet, antwortete aber nicht.

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FOTO: DMITRI LOVETSKY Maria Kolesnikow­a im August 2020: Die belarussis­che Opposition­elle wurde von Unbekannte­n in ein Auto gezerrt.

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