Verschleppt und verschwunden
Die belarussische Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa wurde entführt
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MOSKAU - Sie waren maskiert, trugen Zivilkleidung und zerrten Maria Kolesnikowa in einen Kleinbus. Am Montagvormittag wurde Maria Kolesnikowa, eine der prominentesten Führerinnen der belarussischen Opposition, im Zentrum von Minsk verschleppt. Noch wenige Minuten vorher erzählte sie einem Journalisten am Telefon, sie hole ein Paket von der Post, das ihr der Staatssicherheitsdienst KGB geschickt habe.
Die frühere Flötistin und Kulturmanagerin Kolesnikowa war im belarussischen Präsidentschaftswahlkampf eine der engsten Mitstreiterinnen von Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja. Die 38-Jährige, die auch in Stuttgart gelebt hat, gehört zum Koordinationsrat der Protestbewegung gegen den umstrittenen Wahlsieg von Staatschef Alexander Lukaschenko. „Die Staatsmacht veranstaltet Terror“, kommentierte Tichanowskaja am Montag die Ereignisse aus ihrem Exil in Litauen.
Außer Kolesnikowa wurden Iwan Krawzow, Sekretär des Koordinationsrates, und dessen Pressesprecher Anton Rodnenkow verschleppt. Tichanowskaja sagte, die Entführungen seien ein Versuch, die Arbeit des Koordinationsrates zu stoppen und die Mitglieder einzuschüchtern. „Aber die Behörden irren sich, wenn sie meinen, sie könnten uns aufhalten.“
Am Vortag hatten in Minsk und anderen Städten erneut Hunderttausende Belarussen gegen Lukaschenko protestiert, Sicherheitskräfte und Schläger in Zivil waren brutal gegen sie vorgegangen. Nach Polizeiangaben gab es 633 Festnahmen.
Alexander Urban, ein weiterer Minsker Oppositionssprecher, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, die Sicherheitsorgane verschärften ihr Vorgehen, wollten vor allem die Koordinatoren der Proteste ausschalten. „Wir hoffen aber, dass die Verschleppten schnell wieder auftauchen und dass Maria ins Ausland abgeschoben wird wie Olga Kowalkowa.“Olga Kowalkowa, ebenfalls Mitglied des Kooperationsrates, war im
August festgenommen worden und gelangte nach ihrer Freilassung nach Polen. Sie erklärte am Montag, Repressalien gegen den Koordinationsrat seien sinnlos, die Bürger gingen von selbst auf die Straße.
Im Telegram-Kanal HaraKiri, der als Sprachrohr des Staatssicherheitsdienstes KGB gilt, hängt seit Wochen eine schwarze Liste von Oppositionellen, auf der sich Maria Kolesnikowa und ihre am Montag verschwundenen Kameraden wiederfinden. „Man wird euch nicht vergessen“, droht HaraKiri. „Und wenn Blut fließt, dann wird man euch abholen.“
Kolesnikowas Handy war am Montag eingeschaltet, antwortete aber nicht.