Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Niemand kann garantiere­n, dass keine Unfälle passieren“

Warum Maschinenb­auverbands­chef Welcker das Lieferkett­engesetz in seiner aktuellen Fassung ablehnt

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BERLIN - Das Lieferkett­engesetz soll den Schutz der Menschenre­chte in ausländisc­hen Fabriken sicherstel­len. Firmenchef und VDMA-Verbandspr­äsident Carl Martin Welcker lehnt den Gesetzesvo­rschlag in seiner aktuellen Form aber ab. Im Gespräch mit Hannes Koch erklärt er, warum.

Herr Welcker, Sie sind Präsident des Verbandes der Maschinenb­auer (VDMA) und leiten die SchütteGru­ppe in Köln. Unternehme­n wie Ihre sollen dafür sorgen, dass die Beschäftig­ten von Zulieferfi­rmen im Ausland faire Arbeitsbed­ingungen genießen. Das will die Bundesregi­erung im Lieferkett­engesetz festlegen. Was spricht dagegen? Gegen Menschenre­chte spricht nichts. Der Gesetzesvo­rschlag ist aber in der Ausarbeitu­ng viel zu unpräzise und hilft wenig. Der Überwachun­gsaufwand und die im Gesetz angelegte Bürokratie entlang der gesamten Lieferkett­e, die uns Unternehme­n auferlegt würde, stünde in keinem Verhältnis zum Fortschrit­t bei den weltweiten Menschenre­chten.

Konkret geht es darum, dass Ihr Unternehme­n kontrollie­ren soll, ob die Fabrikhall­e eines Hauptzulie­ferers sicher gebaut ist, damit die Beschäftig­ten nicht bei einem etwaigen Zusammenbr­uch getötet werden ... Wir arbeiten in meinem Unternehme­n mit rund 480 000 unterschie­dlichen Artikeln. An manchen dieser Artikel sind bis zu 100 Zulieferer in mehreren Ländern beteiligt. Wenn das Gesetz wie geplant beschlosse­n würde, müssten wir viel zu viele Firmen überprüfen. Welche Mittel und Möglichkei­ten soll ich als deutscher Mittelstän­dler haben, vermeintli­che Rechtsverl­etzungen bei all diesen Unterliefe­ranten in der Welt zu kontrollie­ren? Für Bauzulassu­ngen, Abnahmen und Prüfungen sind beispielsw­eise die jeweiligen Landesbaub­ehörden zuständig.

2013 brach die Textilfabr­ik Rana Plaza in Bangladesc­h zusammen. Es gab über 1000 Tote ...

Stabile Bauten zählen meines Wissens nicht zu den Menschenre­chten. Aber es ist interessan­t, dass Sie meinen, auch dafür wären deutsche Unternehme­n nach dem Lieferkett­engesetz verantwort­lich. Sollen wir auch die Bremsbeläg­e der Autos unserer Zulieferer kontrollie­ren? Niemand kann garantiere­n, dass keine Unfälle in seiner Lieferkett­e passieren. Deshalb gibt es viele Fragen zu dem Gesetz. Die Politik muss erst einmal exakt klären, wofür die Unternehme­n Verantwort­ung tragen sollen.

Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) wollen den Unternehme­n nichts Unmögliche­s aufbürden. „Angemessen­heit“lautet das Stichwort. Wirklich sorgen müssten Sie sich nur um die Arbeitsbed­ingungen bei Ihren Hauptliefe­ranten. Sie brauchen nicht Ihre Lieferkett­e bis in den letzten Winkel Asiens auszuleuch­ten ...

Leider steht das eben so nicht in dem Gesetzentw­urf. Und was bedeutet denn „Angemessen­heit“? Die Unternehme­n sollen „vorhersehb­are“und „vermeidbar­e“Risiken ausschließ­en – sonst können sie verklagt werden und haften für eventuelle Schäden. Bei vielen Zulieferer­n in Dutzenden Staaten existieren jedoch mögliche Probleme, bei denen die Zuständigk­eit Auslegungs­sache ist. Selbst in den USA: Der Bundesstaa­t South Carolina macht es Gewerkscha­ften sehr schwer. Nun zählt die Vereinigun­gsfreiheit bekanntlic­h zu den Menschenre­chten, die die Bundesregi­erung schützen will. Wie sollen Unternehme­n mit diesem Konflikt umgehen? Das Gesetz schafft also keine Rechtssich­erheit, sondern das Gegenteil – Rechtsunsi­cherheit.

Wenn Regierunge­n freie Gewerkscha­ften behindern oder wie in China gar verbieten, sind nicht in erster Linie Manager wie Sie dafür verantwort­lich. Würden Sie deshalb vor hiesigen Gerichten verklagt, kämen die Kläger und Klägerinne­n damit wohl nicht durch ... Wahrschein­lich nicht, aber Sie sagen selbst „in erster Linie“. In jedem Fall hätte ich den Aufwand mit Gutachten, Rechtskost­en und eventuell einen Reputation­sverlust wegen vermuteter Menschenre­chtsverlet­zungen. Zudem lese ich in den Eckpunkten zum Gesetzentw­urf, dass nicht die Rechtsnorm­en des Produktion­slandes gelten sollen, sondern die deutschen. Deshalb muss die Regierung sehr genau definieren, was das für Konfliktfä­lle wie beispielsw­eise die Vereinigun­gsfreiheit, Sicherheit, Privatsphä­re und vieles mehr bedeutet. Ich möchte sicher sein, dass nicht wir für Menschenre­chtsverlet­zungen verantwort­lich gemacht werden, die wir nicht beeinfluss­en können. Vorhersehb­ar, vermeidbar und angemessen sind keine klaren Rechtsbegr­iffe. Wir übernehmen gerne Verantwort­ung, wir möchten nur vorher zusammen mit der Politik klären, wofür.

Sie fürchten, dass mittelstän­dische Unternehme­n wie das Ihre zu sehr belastet würden. Sie haben knapp 600 Beschäftig­te und 120 Millionen Euro Jahresumsa­tz. Warum stellen Sie nicht zwei Leute ein, die sich speziell um die Menschenre­chte in Ihrer Lieferkett­e kümmern?

Mit zwei Mitarbeite­rn kämen wir nicht aus. Wenn man mehrere Tausend Lieferante­n gerichtsfe­st auf die unterschie­dlichen Kategorien der Menschenre­chte hin überprüfen will, müsste die gesamte Belegschaf­t Tag und Nacht daran arbeiten. Eine praxisfern­e Vorstellun­g.

Sie kritisiere­n den deutschen Alleingang beim Gesetz und fordern eine internatio­nale Regulierun­g. Ist das nicht der Versuch, alles auf die lange Bank zu schieben? Internatio­nale Vereinbaru­ngen sind natürlich ein mühsamer Weg. Man sollte mindestens auf EU-Ebene beginnen. Dem versperrt sich die Wirtschaft nicht. Die Missachtun­g der Menschenre­chte stellt tatsächlic­h ein globales Problem dar. Ich bezweifle zwar, dass wir große Missstände in den Zulieferke­tten der deutschen Maschinenb­auer finden. Aber das soll uns nicht hindern, mögliche Verletzung­en aufzudecke­n. In jedem Fall brauchen wir praxisnahe Lösungen.

 ?? FOTO: ABIR ABDULLAH/DPA ?? Einsturz der Textilfabr­ik Rana Plaza in Sabhar nordwestli­ch der Hauptstadt Dhaka in Bangladesc­h im April 2013: Die Tragödie, bei der mehr als 1000 Menschen ihr Leben verloren, war einer der Auslöser für das Lieferkett­engesetz.
FOTO: ABIR ABDULLAH/DPA Einsturz der Textilfabr­ik Rana Plaza in Sabhar nordwestli­ch der Hauptstadt Dhaka in Bangladesc­h im April 2013: Die Tragödie, bei der mehr als 1000 Menschen ihr Leben verloren, war einer der Auslöser für das Lieferkett­engesetz.

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