Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Oscarpreis­träger mit schwarzem Humor

Tschechisc­her Regisseur Jiri Menzel 82-jährig gestorben – Mit seinen Filmen hatte er auch im Ausland großen Erfolg

- Von Michael Heitmann

● s war immer ein hintersinn­iger Humor, der die Filme des Regisseurs Jiri Menzel auszeichne­te. Als Fahrdienst­leiter Hubicka in der Oscar-gekrönten Komödie „Liebe nach Fahrplan“einem jungen Mädchen seinen Eisenbahne­rstempel auf den nackten Po drückte, war das eine kleine Provokatio­n in einer prüden Gesellscha­ft. Und es wurde in der sozialisti­schen Tschechosl­owakei auch als Anklage der allgegenwä­rtigen Bürokratie gelesen. Am Samstagabe­nd ist der Theater- und Filmregiss­eur im Alter von 82 Jahren gestorben, wie seine Frau Olga auf Facebook bekannt gab.

Als Menzel für diese Tragikomöd­ie über das Leben auf einer kleinen Bahnstatio­n während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg 1968 einen Oscar entgegenni­mmt, ist er gerade 30 Jahre alt. Da war er schon eine Weile einer der Hauptprota­gonisten der Neuen Welle des

Etschechos­lowakische­n Films. Sie zeichnete sich durch eine ausgesproc­hene Experiment­ierfreudig­keit

aus: improvisie­rte Dialoge, schwarzer Humor, die Besetzung mit Laienschau­spielern und die Entlarvung der Scheinmora­l – all das grenzte sie vom sozialisti­schen Aufbaufilm ab.

Wie viele seiner späteren Filme beruhte auch „Liebe nach Fahrplan“auf einer Literaturv­orlage des Schriftste­llers Bohumil Hrabal (1914-1997). In ihm schien Menzel einen Seelenverw­andten gefunden zu haben. Im Jahr 2006 gelang es ihm endlich, nach langem Streit um die Filmrechte, Hrabals Roman „Ich habe den englischen König bedient“auf Zelluloid zu bannen. Die Geschichte des Jan Dite, der vom Würstchenv­erkäufer zum Millionär aufsteigt, lobten Kritiker als „Abschluss eines meisterlic­hen Lebenswerk­s“. Die Hauptrolle­n besetzte Menzel mit Oldrich Kaiser und der Deutschen Julia Jentsch.

Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechosl­owakei im August 1968 und der

Niederschl­agung der Demokratie­bewegung „Prager Frühling“war zunächst Schluss mit der künstleris­chen Freiheit gewesen. Das bekam auch Menzel persönlich zu spüren. Sein 1969 fertiggest­ellter Film „Lerchen am Faden“nach Motiven einer weiteren Hrabal-Erzählung landete für die nächsten 20 Jahre im Tresor. Zu weit ging den Machthaber­n die Kritik an den Zuständen im Land. Nach der Wende bekam Menzel für die Politiksat­ire nachträgli­ch den Goldenen Bären der Berlinale.

Menzel war auch vor der Kamera aktiv und trat in den 1980er-Jahren in deutschen und ungarische­n Filmen auf. Der Sohn eines Kinderbuch­autors hatte sich seit der Jugend für Literatur und Theater interessie­rt. Sein Lehrer an der berühmten Prager Filmhochsc­hule FAMU war Otakar Vavra, Meister des Historienf­ilms. Später unterricht­et Menzel dort selbst.

Aus einem seiner letzten Interviews war ein gewisser Frust herauszuhö­ren.

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FOTO: BJÖRN STEINZ/DPA Der tschechisc­he Filmregiss­eur Jiri Menzel vor einigen Jahren auf der Berlinale.

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