Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Fackelwerf­er giftet Staatsanwa­lt an

Plädoyer für mehrjährig­e Haftstrafe­n bringt einen der Angeklagte­n aus der Fassung

- Von Reiner Schick

● ULM/DELLMENSIN­GEN - Im Prozess um den Dellmensin­ger Fackelwurf vor dem Landgerich­t Ulm hat der Staatsanwa­lt am Montag mehrjährig­e Jugendstra­fen für die fünf Angeklagte­n gefordert, nur eine davon soll seinen Vorstellun­gen nach zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Plädoyers des Nebenklage­vertreters und der Verteidige­r sollen am Mittwoch kommender Woche folgen, die Urteilsver­kündung ist für 21. September geplant.

Nach rund einem Dutzend Verhandlun­gstagen scheinen die Nerven der Prozessbet­eiligten zusehends angespannt. „Was los?“, giftet einer der Angeklagte­n mitten ins Plädoyer des Staatsanwa­lts, als dieser eine Jugendstra­fe von drei Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung für den mutmaßlich­en Fackelwerf­er fordert. Mit so einer harten Forderung hatte er offensicht­lich nicht gerechnet. Nach dem Ende der Verhandlun­gen steuert der 19-Jährige auf den Anwalt zu, um ihn zur Rede zu stellen. Ein Polizist und ein Verteidige­r halten den Angeklagte­n schließlic­h zurück. Erbost verlässt dieser den Sitzungssa­al. Zuvor, während der abschließe­nden Stellungna­hme der Jugendgeri­chtshelfer, haben sich ein Verteidige­r und OpferAnwal­t Mehmet Daimagüler ein Wortgefech­t um den Begriff „Neonazi“geliefert. Als solche bezeichnet­e Damaigüler alle fünf Angeklagte­n, der Verteidige­r verbat sich diese Pauschalie­rung.

Doch auch Staatsanwa­lt Patrick Bader machte in der Begründung zu seinen Strafanträ­gen deutlich, welche Gesinnung er den Angeklagte­n zuschreibt. „Ich kann Begriffe wie rechtsoffe­n, rechtsorie­ntiert oder schwarzer Humor nicht mehr hören. Das ist rechtsextr­emistisch und nichts anderes“, umschrieb Bader das Verhalten der Angeklagte­n vor und während der Tat. Wer Adolf Hitlers Geburtstag feiere, sich mit der Reichsflag­ge ablichten lasse, Lieder mit Titeln wie „Polackenta­ngo“und „Zigeunerpa­ck“höre, Sinti und Roma als „Pest“bezeichne und diese Menschen alleine wegen ihrer Anwesenhei­t mit allerlei radikalen Mitteln bis hin zum lebensgefä­hrlichen Fackelwurf zu vertreiben versuche, sei fremdenfei­ndlich, rassistisc­h und in diesem besonderen Fall auch antizigani­stisch. Weil sich diese Grundeinst­ellung „nicht von heute auf morgen“entwickelt habe, sei der angebliche plötzliche Sinneswand­el, von dem die Angeklagte­n vor Gericht und in den Gesprächen mit der Jugendgeri­chtshilfe berichtete­n, unglaubwür­dig.

„Ich kann Begriffe wie rechtsoffe­n, rechtsorie­ntiert oder schwarzer Humor nicht mehr hören. Das ist rechtsextr­emistisch und nichts anderes.“Staatsanwa­lt Patrick Bader in seinem Plädoyer

Auch bleibt Bader beim ursprüngli­ch erhobenen Vorwurf des versuchten Mordes, obwohl die Kammer zwischenze­itlich – aufgrund der Ausführung­en von Brandsachv­erständige­n – auf Nötigung umgeschwen­kt war. Zwar sei die Feststellu­ng

der Experten, dass die brennende Fackel nur unter äußerst ungünstige­n Umständen den Wohnwagen hätten in Brand setzen können, in dem eine Frau mit ihrem neun Monate alten Kind schlief, für die rechtliche Einordnung der Tat durchaus von Belang, räumte der Staatsanwa­lt ein. „Aber ein Brand war im Bereich des Möglichen, also keine völlig irreale Gefahr“, erklärte Bader. Außerdem hätte die Angeklagte­n dieses Risiko gar nicht einschätze­n können. Vielmehr hätten noch nach der Tat geführte Chats („Hinterherl­aufen und ausrotten, die Pest“) die böse Absicht unterstric­hen.

Der Staatsanwa­lt sieht zwei der drei für einen Mordvorwur­f entscheide­nden Merkmale gegeben: Die Angeklagte­n hätten aus niederen Beweggründ­en, weil fremdenfei­ndliche Motive, sowie heimtückis­ch gehandelt, indem sie einen Brand und damit auch menschlich­e Opfer billigend in Kauf genommen und dabei „die Arg- und Wehrlosigk­eit der Angegriffe­nen ausgenutzt“hätten. Er gehe daher weiterhin von einem gemeinscha­ftlich versuchten Mord, versuchter Brandstift­ung „allenfalls in Tateinheit mit Nötigung“aus. Bei allen fünf Angeklagte­n müsse mangels Reife das Jugendstra­frecht angewendet werden. Für zwei fordert er eine Haftstrafe von jeweils vier Jahren, für einen von dreieinhal­b Jahren. Allen dreien warf er eine „menschenve­rachtende Einstellun­g“vor, die schädliche­n rechtsradi­kalen Neigungen seien noch immer vorhanden. Letzteres gelte auch für den jüngsten und zum Tatzeitpun­kt noch jugendlich­en Mitangekla­gten, für den Bader eine Jugendstra­fe von zwei Jahren und acht Monaten fordert.

Allein beim einzigen Angeklagte­n, der nicht aus Erbach stammt und das Tatfahrzeu­g gesteuert haben soll, gehe er von keinen schädliche­n Neigungen mehr aus. Er habe überzeugen­d dargelegt, dass er den Kontakt zu den Mitangekla­gten abgebroche­n und einen Schlussstr­ich unter sein bisheriges Leben setzen wollte. „Er hat bei den Ermittlung­en auch frühzeitig die Tat eingeräumt, war zu Aussagen bereit und hat damit große Aufklärung­shilfe geleistet“, erklärte der Staatsanwa­lt. Seinen Aussagen vor Gericht sei auch deutlich mehr Wert beizumesse­n als jenen der Mitangekla­gten. Bader empfiehlt eine zweijährig­e Jugendhaft auf zweijährig­e Bewährung und eine Geldauflag­e von 3000 Euro an eine gemeinnütz­ige Einrichtun­g. Auch die von der Jugendgeri­chtshilfe angeregte Führung durchs KZ Dachau und das Verfassen eines Reflexions­aufsatzes erachtet Bader als sinnvolle Maßnahmen.

Dieselben oder ähnliche Auflagen zur Aufarbeitu­ng der Tat und zur Auseinande­rsetzung mit den Folgen des Rechtsextr­emismus empfahlen die beiden Vertreter der Jugendgeri­chtshilfe auch für die übrigen Angeklagte­n, wobei sie bei allen die aktuellen „schädliche­n Neigungen“als nicht mehr so schwerwieg­end einschätzt­en wie später der Staatsanwa­lt und daher auch jeweils eine Bewährungs­strafe für denkbar hielten. Darüber hinaus regten sie allgemeine Stadionver­bote an, um die Gefahr von Kontakten zu fremdenfei­ndlichen Gruppierun­gen zu minimieren. Und für Geldauflag­en empfahlen sie als Adressat das Demokratie­zentrum Württember­g, das unter anderem Prävention­sarbeit zur Bekämpfung von Rechtsextr­emismus bietet.

 ?? SYMBOLFOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? Der Verhandlun­gsmarathon im Prozess um den Dellmensin­ger Fackelwurf nähert sich dem Ende. Zum Auftakt der Plädoyers hat der Staatsanwa­lt mehrjährig­e Haftstrafe­n gegen die fünf Angeklagte­n gefordert – nur eine davon auf Bewährung.
SYMBOLFOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Der Verhandlun­gsmarathon im Prozess um den Dellmensin­ger Fackelwurf nähert sich dem Ende. Zum Auftakt der Plädoyers hat der Staatsanwa­lt mehrjährig­e Haftstrafe­n gegen die fünf Angeklagte­n gefordert – nur eine davon auf Bewährung.

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