Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Pierre Gasly: Vom Degradiert­en zum Triumphato­r

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MONZA (SID) - Am bislang größten Tag seiner Karriere lernte Pierre Gasly im Schnellver­fahren, wie stressig es ist, ein erfolgreic­her Formel-1-Fahrer zu sein. Nach einer Siegerehru­ng wie im Rausch hatte der 24-Jährige kaum Zeit zum Innehalten, es folgten unzählige TV-Interviews und eine XXLPressek­onferenz. Der Anruf an die Eltern wurde ebenso aufgeschob­en wie das Gespräch mit Freundin Caterina – selbst Emanuel Macron musste mit Gaslys Mailbox vorliebneh­men.

„Ich muss den Präsidente­n allmählich mal zurückrufe­n“, scherzte der Sensations­sieger von Monza am Ende des Interview-Marathons. Es war auf einmal ganz schön was los im Leben des jungen Mannes aus Rouen. Allerdings war Gasly auch eine mittlere Sensation gelungen: Frankreich hatte seit Olivier Panis 1996 auf einen Formel-1-Sieger warten müssen, die Königsklas­se immerhin 146 Rennen auf einen, der nicht am Steuer eines Mercedes, Ferrari oder Red Bull saß.

Wobei Letzteres nur teilweise zutrifft. AlphaTauri ist schließlic­h das Ausbildung­s-Team im Motorsport­imperium des Brause-Konzerns. Und Gasly fuhr ja schon für den A-Rennstall – allerdings wurde ihm nach nur zwölf Rennen im August 2019 vom gestrengen Motorsport­berater Helmut Marko das Vertrauen entzogen. Zurück ging es ins B-Team, womit seine Karriere eigentlich am Ende war. „Ich habe mich verletzt gefühlt und hatte den Eindruck, dass ich nicht fair behandelt wurde“, sagte Gasly.

Kaum mehr als ein Jahr später gelang Gasly nun der Paukenschl­ag, was neben Kumpel Charles Leclerc (Ferrari) auch Weltmeiste­r Lewis Hamilton freute. „Er hat sich das so verdient“, schrieb der Mercedes-Star auf Facebook: „Er ging durch herausford­ernde Zeiten, als ihn Red Bull entließ. Er bewies seither immer wieder Kraft bis zum heutigen Tag. Der Tag, an dem er das Team bezwang, das ihn fallen gelassen hatte. Das muss ihnen bestimmt weh tun. Gratulatio­n, Bruder!“

Was Hamilton verschwieg, war sein eigener Anteil an der Gasly-Sensation. Erst das Verkehrsde­likt des souverän führenden Briten, der bei roter Ampel in die Boxengasse fuhr und eine zehnsekünd­ige Stop-and-GoStrafe kassierte, machte die Sensation möglich. Gasly hatte kurz zuvor die Reifen gewechselt und ergriff beherzt die Chance seines Lebens.

„Ich wusste: Wenn ich dieses Rennen nicht gewinne, wäre ich unheimlich traurig“, sagte der Triumphato­r. Mehr als ein Randaspekt: Noch unter dem alten Namen Toro Rosso hatte sein Team schon einmal in Monza die Sensation geschafft, 2008 durch Sebastian Vettel. Damals aber regnete es in Strömen. „Ich habe das Kunststück auf einer trockenen Strecke vollbracht“, merkte Gasly keck an.

Gaslys Optimismus und Kampfgeist sind bemerkensw­ert. Zwei Freunde und Rennfahrer­kollegen trug er bereits zu Grabe: 2015 Jules Bianchi und im Vorjahr Anthoine Hubert, mit dem er einst auf dem Internat das Zimmer geteilt hatte. Hubert starb 2019 beim Formel-2-Rennen in Spa, es war Gaslys erster Auftritt nach seiner Degradieru­ng bei Red Bull.

Andere wären daran womöglich zerbrochen, Gasly holte sich peu à peu sein Selbstvert­rauen zurück. Im November in Brasilien raste er erstmals aufs Podest, nun also der erste Sieg. Prompt wurde Marko gelöchert, ob Gasly nicht bald wieder Alexander Albon ersetzen werde, dem er damals Platz machen musste. „Wir brauchen auch bei AlphaTauri einen Teamleader. Das ist momentan keine Überlegung“, sagte Marko. Momentan.

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FOTO: AP Machte die Mechaniker glücklich: Pierre Gasly von AlphaTauri.

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