Die Nibelungen – Leute wie du und ich
Spannende Uraufführung am Jungen Theater Konstanz: Kristo Šagor holt das Nationalepos in die Gegenwart
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KONSTANZ - Sechs Personen stehen an der Wand, blicken ins Publikum. Dumpfe Musik legt einen Schleier des Unheimlichen, Düsteren über die Szene. Holzlatten liegen zu beiden Seiten, die während des Spiels wie nebenbei mit Akkuschraubern bald zu einem bizarren Gerüst verbunden werden. Mit dem wird später Siegfried erschlagen.
„Nibelungenleader“heißt das von Kristo Šagor, dem neuen Leiter des Jungen Theaters Konstanz, geschriebene Auftragswerk. Der Autor führt zugleich Regie in dem Stück für Jugendliche ab 13, das in der Spiegelhalle beim Bahnhof uraufgeführt wird.
Für wen ist diese Aufführung? Längst sind die Zeiten vorbei, als das Nibelungenlied in der elften Klasse der Gymnasien ausführlich behandelt wurde. Jugendliche wie auch die erwachsenen Besucher der Abendvorstellung werden sanft, aber bestimmt dazu geführt, nicht eine nostalgische Renaissance zu erleben, sondern sich mit grundsätzlichen Fragen auseinanderzusetzen, die
Komplexität der Figuren auszuloten. Ist Siegfried wirklich ein Held, ein „Leader“? Was ist Liebe? „Eine besondere Art von Angst – die Angst, den anderen zu verlieren“, sagt Gunther. Was ist Freundschaft? Was ist Verrat? Immer wieder treten die
Spieler heraus aus ihren Rollen, aus der Ebene des Spiels, stellen existenzielle Fragen. Was ist ein König, eine Königin? Was ist ein Drache, was ein Held? Das auf sechs wichtige Personen reduzierte Personal erzählt, reflektiert und spielt. Mit sehr sinnlichem, körperbetontem Spiel zeigen sie, dass echte Literatur immer wesentliche Fragen anspricht.
Šagor hat einiges verändert gegenüber dem deutschen Nationalepos. Bemerkenswert ist die Rolle Siegfrieds bei der endgültigen Bezwingung Brunhilds, eine durchaus denkbare Lösung, offen bleibt, ob Siegfried und/oder Gunther sie vergewaltigt haben. Überzeugend ist auch der Schluss: kein nicht enden wollendes Gemetzel an Etzels Hof, sondern eine Kriemhild, die den Tod Hagens fordert und den der Brüder im brennenden Turm in Kauf nimmt, dann aber wirren Sinnes in den Wald entflieht.
Gelungen ist die Balance von Witz, Poesie und Nachdenklichkeit. Eine Inszenierung, die viele Altersschichten anspricht, ein gelungenes Familienstück, ein prächtiger Einstand für Kristo Šagor als Leiter des Jungen Theaters, Autor und Regisseur in Personalunion.
Weitere Aufführungen am 14., 15., 18., 22. und 30. Oktober. Karten: www.theaterkonstanz.de