Mit Kunst gegen Antisemitismus
Im christlichen Krippenmuseum: Neue Ausstellung startet am Sonntag in Oberstadion
● OBERSTADION - Antisemitismus? Damit habe ich nichts zu tun. So zumindest lautet wahrscheinlich die Antwort der meisten Menschen, die auf Judenfeindlichkeit angesprochen werden. Dass dies jedoch in Deutschland immer noch – oder sogar allmählich wieder verstärkt – auftritt, das scheint vielen erst einmal kaum vorstellbar zu sein. Dass dies aber genau so ist, soll eine nun startende Sonderausstellung in Oberstadion deutlich machen.
Dies jedoch soll nicht mit erhobenem Finger, sondern vielmehr subtil geschehen. Und was könnte als Anstoß für eine Diskussion über Antisemitismus besser funktionieren, als ein sonst von christlicher Kultur geprägter Ort wie das Krippenmuseum in Oberstadion, ist Bürgermeister Kevin Wiest überzeugt. Mit Marlis Glaser hat er eine regionale Künstlerin für die Ausstellung ins Boot geholt, die Feindseligkeit gegen Juden selbst des öfteren am eigenen Leib zu spüren bekommen hat – und mit ihren Werken die Vielfältigkeit ihrer Religion darstellen möchte.
Anstoß zu solch einer Ausstellung gab dem Bürgermeister eine Dokumentation im Fernsehen, in der es um Antisemitismus ging. „In der Dokumentation wurde die Geschichte eines jüdisches Mädchens erzählt. Das berichtete unter anderem darüber, dass es an einer Bushaltestelle angepöbelt wurde, nur weil es ein hebräisches Buch las“, berichtet Kevin Wiest von der Szene, die ihn danach lange nicht mehr losgelassen hat. „Das hat mich beschäftigt und ich habe mir dann gedacht, da muss man doch etwas machen und darauf aufmerksam machen“, so Wiest. Relativ schnell kam dann die Idee einer Ausstellung auf. Diese jedoch solle nicht offensichtlich ermahnen, sondern über eine Brücke die Diskussion zum Antisemitismus schlagen: nämlich die der Kunst. Daraufhin weist auch der Titel „Kunst verbindet“. Und wo passt diese Auseinandersetzung mit jüdischer Kultur besser hinein, stellt Bürgermeister Wiest die rhetorische Frage, als in das urkatholische Krippenmuseum.
Ausstellungseröffnung ist am Sonntag, 25. Oktober. Zur Vernissage an diesem Tag sind aufgrund der aktuellen Corona-Situation nur wenige Gäste eingeladen. Unter anderem sind das der Landrat Heiner Scheffold, CDU-Landtagsabgeordneter Manuel Hagel und der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik. „Bis März werden die Werke von Marlis Glaser ausgestellt sein, eventuell verlängern wir die Ausstellung dann auch noch“, kündigt Bürgermeister Wiest an.
Der Künstlerin Marlis Glaser, aber auch Bürgermeister Kevin Wiest ist das nun mit der Ausstellung angebrachte Thema eine Herzensangelegenheit.
„Uns geht es doch allen so. Man nimmt die Berichte über Fremdenfeindlichkeit wahr, überliest es dann aber doch schnell. Inzwischen wird mir aber klar: Es vergeht keine Woche, in der nichts passiert, was mit Fremdenfeindlichkeit im Zusammenhang steht“, betont der Bürgermeister. Wenn man nur genauer hinschaue, werde einem bewusst, wie viel Antisemitismus es im Alltag gibt.
Künstlerin Marlis Glaser kann das aus eigener Erfahrung nur bestätigen und erinnert sich an ein paar Begebenheiten: „Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit Projekten, die mit Israel zu tun haben. Das Konzept meiner Arbeit ist die Inspiration des Gegenübers. Darum geht es auch in einem Werk, das zwei Zypressen darstellt. Als ich dieses Bild 2003 einmal ausstellen wollte, lehnten es zwei Galerien ab mit der Begründung, dass das Wort Jerusalem im Titel steckt. Damit sind diese Leute antisemitisch, ohne es zu wollen.“
Ein anderes Beispiel sei ihr Abraham-Projekt, in dem sie deutschsprachige Migranten in Israel porträtiert hat. Auch diese Werke wurden teilweise abgelehnt, weil die Menschen darin als Opfer dargestellt werden. „Ihrer Meinung nach durften Juden keine Opfer sein und sie haben gefragt, warum man die andere Seite nicht auch vorstellt“, erzählt Marlis Glaser und erläutert, dass die andere Seite die Täter gewesen wären. Die Künstlerin findet es deshalb ausgesprochen mutig von Bürgermeister Wiest, solch eine Ausstellung überhaupt erst zu initiieren – und das auch noch in einem Krippenmuseum.
Mit ihren Werken, die sie in der Sonderausstellung präsentiert, will sie vor allem mit den gängigen Klischees über das Judentum aufräumen, die Kultur dieser Religion darstellen und Offenheit dafür schaffen. „Das war mir ein Anliegen, ein breites Spektrum des Judentums zu zeigen – die Ethik, die Feiertage, die Psychologie und Symbole dieser Religion“, so Marlis Glaser. Viele Portraits finden sich unter den ausgestellt Werken, wie etwa das Portrait von Friedlise Stern, deren Eltern und Schwester in Auschwitz ermordet wurden. Auf einem anderen Bild ist ein Stein abgebildet, der den in das Haus der Familie Rosenbaum geworfenen Stein in Memmingen 1933 symbolisiert. Doch nicht nur um den Holocaust drehen sich die Geschichten der Werke von Marlis Glaser. Auch geht es um Szenen aus der Tora, starke Frauen, jüdische Werte.
Die Künstlerin hat den Wunsch, dass durch die Sonderausstellung mehr Offenheit für das Thema entsteht, dass dies zu mehr Respekt mit Gegenüber führt und die Menschen für Antisemitismus sensibilisiert werden.