Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ferdinand von Schirach – Jurist und Schriftste­ller

-

Soweit die Konstellat­ion im Theaterstü­ck „Gott“des Strafverte­idigers und Schriftste­llers Ferdinand von Schirach. Regisseur Lars Kraume hat es nun dank einer brillanten Schauspiel­erriege in ein aufwühlend­es TV-Drama umgearbeit­et und damit einen durchaus diskussion­swürdigen Programmpu­nkt für den November mit seinen Totengeden­ken geschaffen.

Besonders heikel bei der Beurteilun­g der Situation ist die gesundheit­liche keineswegs kritische Verfassung des Klienten. Er hat keinerlei Schmerzen, ist nicht depressiv, will aber nicht mehr ohne seine langjährig­e Ehefrau leben. „Ich bin mir selbst abhandenge­kommen, sagt er. Sein einziger Wunsch: in Ruhe sterben.

Eine kompetente Sachverstä­ndigenrund­e ist geladen, um dieses Ansinnen aus verschiede­nen Blickwinke­ln zu beleuchten: die Verfassung­srechtleri­n Professor Litten (Christiane Paul), der Theologe Bischof Thiel (Ulrich Matthes) und Professor Sperling (Götz Schubert) von der Bundesärzt­ekammer. Das große Verdienst dieses intensiven, dialogstar­ken Kammerspie­ls: Ein komplexer juristisch­er Sachverhal­t wird zum einen verständli­ch dargestell­t, zum anderen kommen die vielen Argumente, sowohl pro als auch contra, zur Sprache.

Wehret den Anfängen! – so kann man die Bedenken von Ethikrat-Mitglied Dr. Keller (Ina Weisse) interpreti­eren, die an die Taktik der Nationalso­zialisten erinnert, sich mit kleinen, aber folgenschw­eren Änderungen in entspreche­nden Gesetzeste­xten die Handhabe zur systematis­chen Vernichtun­g angeblich „unwerten“Lebens zu schaffen.

„Gott“ist bereits das zweite Theaterstü­ck des Juristen und Bestseller­autors von Schirach (Foto: dpa), das von Lars Kraume verfilmt wurde. Vorläufer war im Oktober 2016

Darin ging es im Zusammenha­ng mit einem Terrorangr­iff um die Frage, ob 164 Menschen in einem Flugzeug geopfert werden dürfen, um 70 000 in einem Fußballsta­dion zu retten. Auch damals konnten die Zuschauer über diese Frage abstimmen. Ihr Urteil: Eine

„Das allgemeine Persönlich­keitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillig­e Hilfe Dritter zurückzugr­eifen.“Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts vom 26.2.2020

„Terror. Ihr Urteil“.

Auch das Präsidiums­mitglied der Bundesärzt­ekammer, Professor Sperling, unterstütz­t die Hausärztin. Er fürchtet um das Vertrauens­verhältnis zwischen Arzt und Patient, wenn dieser auch tödliche Medizin im Schrank bereithalt­e, und plädiert stattdesse­n für den Ausbau der Palliativm­edizin für Todkranke. Gleichwohl muss er eingestehe­n, dass nur ein verschwind­end geringer Prozentsat­z der Medizinstu­denten in Palliativm­edizin ausgebilde­t wird. Anwalt Biegler punktet und wirft dem Ärztevertr­eter schließlic­h vor: „Warum glauben Sie, Sie dürften sich für Gott halten?“

Der Stuhl der Anhörung kann für die Experten sehr unbequem werden. Das erfährt auch Bischof Thiel (Ulrich Matthes) als Vertreter der katholisch­en Kirche. Er sieht das Leben vor allem als „Geschenk Gottes“. Der Gott der Christenhe­it verlange allerdings von seinen Gläubigen, das Leben mit all seinem Leid bis zum Ende zu ertragen und daraus seinen Sinn zu schöpfen. Eine Steilvorla­ge für Rechtsanwa­lt Biegler, der den Kirchenman­n mit bohrenden Fragen in die Enge treibt und an die vielen Verfehlung­en der Kirche erinnert – etwa an die einstige Verweigeru­ng des Begräbniss­es von Suizidopfe­rn. Auch die Bedenken des Bischofs, mit der Streichung von Paragraph 217 wachse der Druck auf alte, kranke Menschen, aus dem Leben zu scheiden, weil sie der Gesellscha­ft keinen Nutzen mehr bringen, greifen bei Biegler nicht. Fast 30 Minuten dauert dieser Disput. Dabei drängt sich der Verdacht einer persönlich­en Abrechnung des Autors Schirach mit der Kirche auf. Schließlic­h war er einst Schüler eines katholisch­en Internats.

Die Selbstbest­immung steht in der heutigen Gesellscha­ft zweifellos hoch im Kurs. Dies wird auch per Gesetz zugesicher­t, wie Verfassung­srechtleri­n Litten in dem Film bestätigt. Rein rechtlich gesehen habe Gärtner also Anspruch auf ein tödliches Medikament. Und sie fügt hinzu: „Es gibt keine Rechtspfli­cht zu leben“. Aber klar wird auch: Die Richter, die den Paragraphe­n 217 aus verfassung­srechtlich­en Gründen strichen, sahen sehr wohl die Probleme einer Freigabe der Suizidhilf­e. Es sei ein legitimes Anliegen des Staates zu verhindern, dass sich die assistiert­e Selbsttötu­ng in der Gesellscha­ft als normale Form der Beendigung eines Lebens durchsetzt. Auf das Urteil der Zuschauer nach diesem TVDisput darf man gespannt sein.

 ??  ?? überwältig­ende Mehrheit plädierte auf Freispruch für den Major, der die Maschine abschießt. (bawa)
überwältig­ende Mehrheit plädierte auf Freispruch für den Major, der die Maschine abschießt. (bawa)

Newspapers in German

Newspapers from Germany