Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Seit 70 Jahren hoch zu Ross

Laupheimer Blutreiter haben langjährig­e Tradition – Mitglieder erinnern sich an die Anfänge

- Von Helen Belz

LAUPHEIM - Auf dem Pferd sitzend reiten sie an jubelnden Menschen vorbei, tragen einheitlic­he Schärpen und Fahnen – Blutreiter sind in der Region so bekannt wie der sprichwört­liche bunte Hund. Die Laupheimer Ortsgruppe reitet schon seit 70 Jahren unter anderem beim großen Blutritt in Weingarten mit. In dieser langen Zeit hat sich einiges verändert.

„Zu Anfang war das eine richtig große Reise“, erzählt Gebhard Locherer, der – wie andere Mitglieder auch – in den 1950er Jahren bereits als kleiner Junge in Weingarten mitgeritte­n ist. Vier Tage waren die Reiter mit ihren Pferden und Kutschen unterwegs, um bei dem berühmten Blutritt dabei zu sein. „Das war ein richtiges Abenteuer“, erinnert sich der 81-Jährige. Für die Blutreiter­gruppe, die bei ihrer Gründung 1950 hauptsächl­ich aus Landwirten bestand, sei das wie eine Art Urlaub gewesen – denn an sonstige Reisen war zu dieser Zeit nicht zu denken. „Das war das einzige Mal im Jahr, dass wir woanders gewesen sind.“

Über die Gründung selbst erzählt man sich in der Blutreiter­gruppe eine Geschichte: Demnach sei Gründer Karl Braig nach dem Zweiten Weltkrieg in russische Kriegsgefa­ngenschaft geraten. „Während der Gefangensc­haft hat er ein Gelübde an sich selbst abgelegt – er hat sich gesagt, wenn er das überlebt, reitet er jedes Jahr beim großen Blutritt in Weingarten mit“, sagt Hubert Rapp, Geschäftsf­ührer der Gruppe. Nachdem er dann einige Jahre mit den Blutreiter­n aus Bühl mitgeritte­n war, habe er eine eigene Blutreiter­gruppe in Laupheim gegründet.

Die Gruppe ist kein eingetrage­ner Verein und finanziert sich aus Spenden, nicht aus Mitglieder­beiträgen, hat aber dennoch ein Vorstandst­eam. Um die 60 Mitglieder zählen immer noch zu den Laupheimer Blutreiter­n. Und auch heute noch hält der Glaube sie zusammen: „Wir beten immer noch drei Rosenkränz­e pro Ritt“, sagt Peter-Paul Bochtler, der die Gruppe seit 1975 anführt.

Das gemeinsame Beten habe große Tradition bei den Blutreiter­n, beispielsw­eise feiern die Reiter auch jedes Jahr eine gemeinsame Maiandacht am Wannenmach­ers Käppele. Und auch bei dem jährlichen Blutritt in Weingarten wird zum Abschluss ein großer Gottesdien­st in ihrer Unterkunft in Baienfurt gefeiert. „Darin spiegelt sich unsere Überzeugun­g wider“, sagt Rapp.

Während der Glaube über die Jahre ein konstanter Begleiter geblieben ist, hat sich einiges andere verändert. Allein die Logistik habe in dieser Zeit große Fortschrit­te gemacht, schildert Rapp. Schon nach einigen Jahren stiegen die Blutreiter auf die Bahn um – und fuhren mit ihren Pferden kurzerhand im Güterzug nach Weingarten.

„Das hat nicht jedes Pferd problemlos mitgemacht“, erinnert sich Bochtler. Bei einigen sei dafür Überzeugun­g nötig gewesen. „Aber letztlich hat es jeder nach Weingarten geschafft.“Nachdem der Zug zu teuer wurde – 1964 kostete der Transport eines Pferdes 54 D-Mark – stiegen die Reiter auf Lastwagen um. „Heutzutage fährt jeder mit seinem Anhänger zu den Blutritten“, sagt Bochtler. „Da ist das gar kein Thema mehr.“

Schon kurz nach der Gründung war den Reitern klar, dass sie auch an weiteren Ritten in der Region teilnehmen wollten. Auch am Wendelinus­ritt in Gutenzell sind die Reiter vertreten, 1977 kam der Georgsritt in Ochsenhaus­en dazu und seit 1983 reitet die Gruppe auch am Blutritt in Bad Wurzach mit. Neben ihrer Maiandacht kümmern sich die Reiter ebenfalls um die Bewirtung am Kaltblutma­rkt und feiern im Dezember ihren Jahresabsc­hluss mit einer Adventsfei­er.

Neben den offizielle­n Ritten ist den Reitern aber auch eines wichtig: der Zusammenha­lt innerhalb der Gruppe. „Wir haben schon einige Ausflüge zusammen gemacht“, erzählt Rapp. So entdecken sie immer wieder die Regionen, in denen sie auch an Ritten teilnehmen. Ab und zu organisier­en sie auch größere Reisen: „Wir waren schon zusammen in Berlin und in Rom, da war auch Pfarrer Hermann dabei“, erinnert sich Rapp. Dieses Jahr, im Jubiläumsj­ahr, hätte eigentlich eine ganz besondere Reise angestande­n. „Wir wollten nach Mantua in Italien reisen, weil dort die Blutreliqu­ie her ist“, sagt Rapp. Diese Reliquie mit dem Blut von Jesus Christus begründet die Geschichte der Blutritte und wird in Weingarten jedes Jahr bei der Prozession durch den Ort getragen.

Diese für die Reiter bedeutungs­volle Reise, die im März geplant war, musste wegen der Corona-Pandemie ausfallen. Auch alle anderen Feierlichk­eiten können nicht stattfinde­n. „Das ist natürlich sehr traurig für uns“, sagt Bochtler. Dennoch gehe natürlich die Sicherheit der Gruppenmit­glieder vor – besonders, da viele von ihnen der Risikogrup­pe angehören.

Trotzdem ist es für die Reiter ein besonderes Gefühl, seit 70 Jahren ihre Traditione­n fortzuführ­en. „Es ist ganz verwunderl­ich, wie schnell die Zeit vergangen ist“, sagt Bochtler nachdenkli­ch. Diese Traditione­n wollen sie an die junge Generation weitergebe­n – das ist allerdings nicht so einfach. „Den Rosenkranz beten und kirchliche Lieder zu singen ist meistens nichts für junge Leute“, bedauert Locherer. Und das, obwohl die Reitergrup­pe schon immer offen gegenüber neuen Mitglieder­n war – ob weiblich oder männlich.

Dennoch sind sie guter Dinge: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Reiter bei uns bleiben, wenn sie einmal einen Blutritt miterlebt haben“, sagt Rapp.

Denn ein solcher Ritt sei vielmehr ein Event, bei dem es um viel mehr als den Glauben ginge. „So ein Erlebnis ist etwas ganz besonderes. Das Gefühl kann man nicht beschreibe­n“, sagt Locherer, der mit seinen 81 Jahren bisher jedes Jahr mitgeritte­n ist. Ob er irgendwann in „Blutreiter­Rente“geht? „Auf keinen Fall“, sagt er und lacht. „So lange ich auf einem Pferd sitzen kann, reite ich da mit!“

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FOTO: RAY, ROLAND Peter-Paul Bochtler führt die Blutreiter­gruppe aus Laupheim an und tritt damit in die Fußstapfen seines Vaters, der nach der Gründung 1950 Gruppenfüh­rer war.

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