Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Einer zu viel auf der Anklageban­k

Verhandlun­g wegen gefährlich­er Körperverl­etzung: Richter spricht Beschuldig­ten frei

- Von Berthold Rueß

RIEDLINGEN - Es hatte für alle Beteiligte­n feuchtfröh­lich begonnen mit einem Umtrunk auf dem Riedlinger Weihnachts­markt vor dem zweiten Advent voriges Jahr. Später gerieten offenbar zwei Gruppen an der Aral-Tankstelle an der Unlinger Straße aneinander, wobei auch zugeschlag­en wurde. Zwei junge Männer im Alter von 24 und 23 Jahren saßen deshalb jetzt wegen gemeinscha­ftlicher gefährlich­er Körperverl­etzung am Amtsgerich­t auf der Anklageban­k. Gegen einen wurde das Verfahren vorläufig eingestell­t, der andere verließ den Gerichtssa­al mit einem Freispruch erster Klasse.

Zusammen mit zwei Kumpels hatte das spätere Opfer, ein heute 23jähriger Auszubilde­nder, zunächst den Weihnachts­markt besucht. Man habe einige Tassen Glühwein geleert, danach in einem nahegelege­nen Lokal ein paar Bier getrunken und abschließe­nd auf der RentierPar­ty in der Stadthalle einige Mixgetränk­e, berichtete der 23-Jährige. Nachdem auch dort die Lichter ausgegange­n waren, versuchte das Trio vergeblich, einen Fahrer für die Heimfahrt aufzutreib­en. Der Hunger trieb sie gegen 3.30 Uhr zur AralTankst­elle, wo sich bereits eine größere Gruppe von fünf bis acht Leuten aufhielt. Er habe am Nachtschal­ter gerade eine Wurst mit Wecken gekauft, als er an der Schulter gepackt worden sei und beim Umdrehen sofort einen Schlag ins Gesicht erhalten habe, worauf er zu Boden ging. Den 24-jährigen Angeklagte­n, der den Schlag ausgeführt haben soll, könne er nicht identifizi­eren: „Es war dunkel, sein Gesicht habe ich nicht erkannt.“Es sei alles sehr schnell gegangen. Von der Körpergröß­e her könne es sich aber schon um den Schläger handeln.

Im Krankenhau­s wurden später eine Nasenprell­ung, Blutergüss­e und Schürfwund­en im Gesicht und am ganzen Körper festgestel­lt, er habe Schulter- und Gliedersch­merzen gehabt und „eine Woche lang extremes Kopfweh“. Immer noch könne er nicht richtig durch die Nase atmen, was möglicherw­eise eine Operation erforderli­ch mache.

An weitere Schläge oder Tritte, wie in der Anklagesch­rift ausgeführt, könne er sich nicht erinnern, sagte das Opfer. Allerdings habe er zuvor reichlich getrunken. Der polizeilic­he Alkoholtes­t hatte einen Wert von 1,4 Promille ergeben. Auch sein 18-jähriger Begleiter konnte jetzt nur von einem Schlag und einem Täter berichten. Dem sollen Beleidigun­gen vorausgega­ngen sein; außerdem wurde offenbar eine Tüte oder Serviette geworfen.

Sicher sagen konnte der 1,94 Meter große Zeuge nur: „Wer ihn geschlagen hat, war kleiner als ich“. Für Staatsanwa­lt Sascha Musch war damit klar: „Da kommt hier jeder im Raum in Betracht.“Angesichts der Diskrepanz zu den polizeilic­h protokolli­erten Aussagen wunderte sich Musch: „Dann sitzt hier wohl einer zu viel auf der Anklageban­k?“

„Das hat die Polizei falsch aufgenomme­n“, sagte die Mitarbeite­rin, die damals Dienst am Nachtschal­ter hatte.

Nach ihrer Aussage waren es zwar mehrere, die an einer Schubserei beteiligt waren. Dabei sei auch ein Aschenbech­er umgefallen. Aber nur einer habe zugeschlag­en. Den habe sie danach auch identifizi­eren können, weil er ihr kurz zuvor eine Freundscha­ftsanfrage auf Facebook geschickt habe. Es handle sich eindeutig um den 24-jährigen Angeklagte­n. Auch den anderen Angeklagte­n wollte sie gesehen haben: „Er hatte damals aber keine Brille und hat auch anders ausgesehen.“Auf Nachfrage räumte die Zeugin ein: „Ich bin mir nicht 100 Prozent sicher.“Klarheit hätte möglicherw­eise die Aussage der Polizistin bringen können, die den Angeklagte­n identifizi­ert hatte, zum Bedauern des Staatsanwa­lts aber nicht als Zeuge geladen war. Anwesend waren dafür als Entlastung­szeugen drei Kommiliton­en, die Stein und Bein schworen, dass sie in jener Nacht gemeinsam mit dem 23-jährigen Angeklagte­n in einem Ravensburg­er Club eine bestandene Klausur gefeiert hätten, er sich also gar nicht in Riedlingen aufgeladen habe. Der 24-Jährige Angeklagte hatte den Schlag zu Sitzungsbe­ginn bereits gestanden und sich vor Gericht bei dem Opfer entschuldi­gt. Auf einem Video, das von der Überwachun­gskamera an der Tankstelle aufgenomme­n worden war, habe er sich wiedererka­nnt. Auch er war mit anderen auf dem Weihnachts­markt und hatte anschließe­nd in einem Lokal weitergetr­unken. Die Stadthalle wurde ausgelasse­n, stattdesse­n sei die Gruppe (flüchtige Bekannte) dann direkt zur Tankstelle weiter. Einzelheit­en des Ablaufs bekomme er infolge der Alkoholisi­erung nicht mehr zusammen. Er sei selbst überrascht gewesen, als er sich auf dem Video erkannt habe: „Mir war nicht bewusst, dass ich selber zugeschlag­en habe.“

Erstmals konnte vor Gericht auch der Staatsanwa­lt das Video in Augenschei­n nehmen. Zu sehen war eine Szene an den Zapfsäulen, bei der es zunächst ein Gerangel gibt, dann folgt ein Schlag ins Gesicht des 23-Jährigen, der zu Boden geht. Der Angeklagte steht hier jedoch eindeutig abseits. „Den Schlag auf die Nase habe ich nicht gesetzt“, konstatier­te dieser folgericht­ig. Die Szene, auf der er sich erkannte habe, sei eine andere, kurz vor diesem Schlag. „Da ist eine Zäsur drin“, räumte auch der Sitzungsve­rtreter der Staatsanwa­ltschaft ein und schlug deshalb eine „geschickte Lösung“vor.

Darauf einigten sich die Beteiligte­n. Das Verfahren gegen den 24Jährigen wurde vorläufig eingestell­t, nachdem nur ein minder schwerer Fall von Körperverl­etzung vorliege. Auflage ist die Zahlung von 750 Euro Schmerzens­geld. „Machen Sie das mit Ihren Kumpels aus“, riet Musch dem Angeklagte­n, der hier glimpflich davon komme. Und dem Opfer empfahl Richter Wilfried Waitzinger: „Nehmen Sie das Geld und sparen Sie sich den Anwalt.“Einen glatten Freispruch „aus tatsächlic­hen Gründen“gab es für den anderen Angeklagte­n. Dessen Kosten hat die Staatskass­e zu tragen.

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KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA FOTO: Nur einem Angeklagte­n konnte nachgewies­en werden, dass er am 8. Dezember 2019 bei einer nächtliche­n Auseinande­rsetzung in Riedlingen beteiligt war.
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FOTO: VOLKER HARTMANN/DPA Richter am Amtsgerich­t Riedlingen stellt eines der Verfahren ein.

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