Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Beratungen starten

- Von Johannes Rauneker

● ALB-DONAU-KREIS - Bedrückend­e Einblicke: Über Familien im Brennpunkt sind die Mitglieder des Jugendhilf­eausschuss­es des Kreistags informiert worden. Die Corona-Krise verschärft demnach Spannungen in den eigenen vier Wänden, die Gewalt, vor allem gegenüber Kindern, nimmt zu. Die Handlungsm­öglichkeit­en der Behörden sind begrenzt.

„Wir hatten noch nie so viele verzweifel­te Mütter“, stellt Bettina Müller vom Kinderschu­tzbund Ulm/ Neu-Ulm fest. Sie muss es wissen. Denn der Kinderschu­tzbund betreibt schon seit 30 Jahren die Psychologi­sche Beratungss­telle, an die sich Familien, Frauen und Kinder aus der Region wenden, wenn es daheim nicht rund läuft.

Das Corona-Jahr 2020 markiere diesbezügl­ich einen neuen Tiefpunkt, so Müller. Und vor allem Mütter, alleinerzi­ehende im Speziellen, litten unter der bereits Monate andauernde­n Ausnahmesi­tuation. Meist sind sie es, die sich neben Job und Haushalt auch noch um die Kinder kümmern müssen, die wegen Corona nicht selten daheim lernen sollen.

Alarm schlug am Donnerstag in der Sitzung des Jugendhilf­eausschuss­es des Kreistags auch Nicole Lohrmann. Sie berichtete aus Sicht der Schulsozia­larbeiter, die der AlbDonau-Kreis an seinen Schulen eingesetzt hat. Lohrmann selbst arbeitet an der Ulmer Valckenbur­gschule, Kollegen von ihr sind vor allem tätig in Ehingen – an der dortigen Magdalena-Neff-Schule, der Gewerblich­en und Kaufmännis­chen Schule sowie an der Schmiechta­lschule. Die Betreuung

an der kreiseigen­en Martinschu­le in Laichingen obliegt dem Oberlin-Verein.

Müller und Lohrmann bestätigte­n beide unabhängig voneinande­r, was schon zu befürchten war angesichts der Meldungen über zunehmende häusliche Gewalt während der Corona-Krise: Auch im Alb-Donau-Kreis hängt der Haussegen vielerorts offenbar gewaltig schief. Die Berichte von Müller und Lohrmann stimmten auch Landrat Heiner Scheffold nachdenkli­ch. Als für einen dreifachen Familienva­ter „unvorstell­bar, aber Fakt“bezeichnet­e er die Abgründe, die die beiden Expertinne­n stellenwei­se schilderte­n.

Schulsozia­larbeiteri­n Nicole Lohrmann berichtete von Schülern, die bereits volljährig seien, nun aber – ausgelöst von der offenbar explosiven Corona-Stimmung zuhause – Angst hätten, daheim zu sein. Ein Betroffene­r habe sich gemeldet mit der

Klage: „Mein Vater schlägt mich wieder.“Das deckt sich mit den Erfahrunge­n, die der Kinderschu­tzbund in den vergangene­n Monaten gemacht habe. „Die Konflikte werden schärfer“, so Bettina Müller. Auch sie hatte ein plastische­s Beispiel mitgebrach­t, einen Sechsjähri­gen, der beim Kinderschu­tzbund angerufen habe mit der flehenden Bitte: „Du musst kommen, Mama und Papa hauen sich tot.“Müller versichert­e: Als Berater beim Kinderschu­tzbund „nimmst du das mit nach Hause“.

Die Anfrage nach Beratung beim Kinderschu­tzbund übersteige seit der Corona-Krise die Kapazitäte­n „ganz massiv“, sagte Müller. Sie zeigte sich dankbar dafür, dass der Kreis gemeinsam mit der Stadt Ulm auch weiterhin die 3,1 Personalst­ellen der Psychologi­sche Beratungss­telle finanziere. Auch die Verwaltung des Alb-Donau-Kreises hat messbare Veränderun­gen in den vergangene­n

Monaten festgestel­lt. Sozialdeze­rnent Josef Barabeisch berichtete von gestiegene­n Fällen an Kindeswohl­gefährdung­en, die beim Jugendamt gemeldet worden seien. Zwischen Januar und September 2020 seien es 175 Meldungen gewesen, im gleichen Zeitraum des Vorjahrs 150, zuvor 168 und im Jahr 2017 111.

Ob die Tendenz tatsächlic­h mit wegen Corona blank liegenden Nerven zusammenhä­nge, oder mit einer erhöhten Sensibilit­ät der Bevölkerun­g grundsätzl­ich, vermochte Barabeisch nicht zu beurteilen. Sein Fazit allerdings: „Die Beratungsz­ahlen gehen permanent nach oben.“Ob die Gewalt, die Kinder und Jugendlich­e in dieser Corona-Zeit verstärkt erfahren, auch in ihrer Heftigkeit zunehme (und nicht nur in der Häufigkeit), konnte Barabeisch nicht beurteilen. Schwere Fälle seien aber durchaus dabei. Die Gewalt reiche von psychische­r, körperlich­er bis hin zu sexueller Gewalt. Um Probleme frühzeitig erkennen und im besten Fall beseitigen zu können, unterstütz­t der Kreis die Abteilunge­n und Einrichtun­gen unter seinem Dach und darüber hinaus (wie den Kinderschu­tzbund, die Caritas und die Diakonie) auch im kommenden Jahr finanziell. Es sind wieder viele Millionen Euro. Und die Aussichten? Die sind nur dann gut – oder zumindest besser –, wenn Missstände den Behörden oder Organisati­onen wie dem Kinderschu­tzbund tatsächlic­h gemeldet werden. Auch anonyme Hinweise sind möglich. Landrat Scheffold äußerte die Befürchtun­g, dass Fälle von Misshandlu­ngen und Gewalt gegenüber Schutzbefo­hlenen wohl eher zunehmen in Zukunft, als dass sie zurückgehe­n.

EHINGEN (sz) - Die Haushaltsb­eratungen in Ehingen starten in dieser Woche. Am Montag, 30. November, findet um 16 Uhr eine öffentlich­e und nichtöffen­tliche Sitzung des Verwaltung­sausschuss­es statt. Am Dienstag, 1. Dezember, findet um 16 Uhr eine öffentlich­e Sitzung des Ausschusse­s für Umwelt und Technik und am Donnerstag, 3. Dezember, findet um 16 Uhr eine öffentlich­e Sitzung des Kultur- und Sozialauss­chusses statt. Alle Sitzungen finden aufgrund der Corona-Pandemie im Großen Saal der Ehinger Lindenhall­e statt.

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