Keine Wunder zu erwarten
Wie es nach Angela Merkels Impfgipfel mit den Länderregierungen weitergeht
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BERLIN - „Wunder werden jetzt nicht passieren.“In ihrer bekannt nüchternen Art hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Ergebnisse des Impfgipfels mit den Ministerpräsidenten aller Länder zusammengefasst. Aber wie wird es nun weitergehen?
Wie viel Impfstoff ist mittelfristig ● verfügbar?
Dazu gibt es nur Prognosen (siehe Tabelle). Genauer könnten sie nicht planen, machten die Vertreter der Herstellerfirmen klar: Der Prozess ist kompliziert, und es müssen die dafür erforderlichen Rohstoffe vorrätig sein.
Warum lässt sich die Produktion ● nicht schneller steigern?
Eine Produktion von Hustensaft oder Aspirin lässt sich nicht einfach auf Impfstoff umstellen. Die Vorbereitung und die Genehmigung dauern viele Monate. Zudem stehen die nötigen Grundstoffe nicht in beliebiger Menge zur Verfügung. Staatliche Anweisungen würden daher aus Sicht der Bundesregierung genauso wenig bringen wie Zwangslizenzen. Zudem fehlt es auch an einfachen Dingen wie Ampullen, Stopfen und Spritzen.
Wenn die Lieferungen so unsicher ● sind, wie sollen die Länder das Impfen planen?
Das neue Schlüsselwort heißt „modellieren“: Das Bundesgesundheitsministerium soll Modellrechnungen anstellen mit unterschiedlichen Varianten, welche Liefermengen wann ankommen. Mehrere Szenarien ermöglichen es den Ländern, die Zielgruppen richtig einzuladen. Die Organisation bleibt Sache der Länder.
Reicht der Impfstoff, um bis zum ●
Ende des Sommers alle zu impfen, die das wollen?
Dieses Versprechen wiederholte Merkel, und ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass es realistisch sein sollte: Es gibt etwa 70 Millionen Bundesbürger über 18 Jahren; für Jüngere eignen sich die meisten Impfstoffe nicht. Allein mit Biontech, Moderna und Astra-Zeneca gibt es feste Verträge über 143 Millionen Dosen bis Ende September. Das reicht für eine zweimalige Impfung aller, die sich immunisieren lassen wollen.
Was ist mit dem Impfstoff von ●
Johnson & Johnson?
Auf ihm ruhen aktuell große Hoffnungen. Für dieses Produkt hat die EU schon konkrete Bestellungen abgegeben. Das Präparat hat im Vergleich zum Marktführer Biontech große Vorteile, aber auch Nachteile. Es ist bei Raumtemperatur stabil und hält sich im normalen Kühlschrank mindestens drei Monate. Das Serum lässt sich also über Apotheken und Arztpraxen verteilen, sobald die Vorranggruppen geimpft sind. Es ist zudem zweimal ergiebiger als die bisherigen Angebote – es reicht nämlich anders als bei diesen eine Impfdosis. Ein Problem: gegen die südafrikanische Virusvariante schützt der Impfstoff nur zu 57 Prozent. Johnson & Johnson wirbt zwar mit einer Wirksamkeit von 72 Prozent in den USA – doch die Daten wurden erhoben, bevor die Mutanten sich dort verbreiten konnten. Auf der Positivseite: Der Impfstoff konnte seine Wirksamkeit für Senioren beweisen – anders als das Produkt von Astra-Zeneca, für das in dieser Altersgruppe noch Daten fehlen.
Gibt es weitere erfolgversprechende ● Vakzine?
Der Impfstoff des US-Herstellers Novavax verhindert die Erkrankung
zu 90 Prozent – und liegt damit gleichauf mit den Produkten von Biontech und Moderna. Dumm nur, dass die EU keinen Liefervertrag mit Novavax abgeschlossen hat und bisher nur Vorgespräche führt. Leider überlistet die in Südafrika zuerst entdeckte Variante auch Novavax, die Wirksamkeitsrate fällt dramatisch ab. Es sieht so aus als werde dieser Virenstamm zu einem echten Problem für die Impfstoffhersteller.
Und der Impfstoff von Curevac ● aus Tübingen?
Die EU hat bereits einen Vertrag mit dem Hersteller. Die letzte Testreihe wird aber erst frühstens Ende März abgeschlossen sein. Wenn das Präparat einige Wochen danach die Zulassung erhält, soll es mit den Lieferungen losgehen. Curevac ist nach eigenen Angaben zudem dazu bereit, über eine schnellere Notfallzulassung zu sprechen. Bis Juni soll Curevac nach bisheriger Prognose der Regierung 3,5 Millionen Dosen bereitstellen. Die Mengen werden in der zweiten Jahreshälfte stark steigen.
Was ist mit Seren aus China oder ●
Russland?
Eine neue Wendung nahm die Impfstoffdiskussion durch eine Äußerung von Gesundheitsminister Jens
Spahn (CDU) in einem Interview. Dieser hatte es zumindest nicht ausgeschlossen, russische oder chinesische Impfstoffe zu beschaffen. Russland hatte sich bereit erklärt, der EU 100 Millionen Dosen von Sputnik V zu liefern. Laut einer im renommierten Fachblatt „The Lancet“veröffentlichten Studie schützte das Vakzin 91,6 Prozent der Geimpften. Ebenso ist China immer bereit, die Produkte der Firmen Sinopharm, Sinovac und Cansino Biologics zur Verfügung zu stellen. Sowohl China als auch Russland wollen mit der hohen Lieferbereitschaft auch die Leistungsfähigkeit ihrer Pharmaindustrie herausstellen und vermarkten die Impfstoffe im politischen Auftrag eher offensiv. Die internationalen Lieferungen der beiden Länder gehen dabei sogar auf Kosten der eigenen Immunisierungsanstrengungen, die erst am Anfang stehen. Ungarn hat bereits zugegriffen und zwei Millionen Dosen Sputnik V und fünf Millionen Dosen des SinopharmVakzins bestellt. Die Regierung lehnt sich damit gegen die solidarische, aber langsame Beschaffung durch die EU auf. Die Seren hat Ungarn im nationalen Alleingang zugelassen. Weder für Sputnik V noch für die chinesischen Angebote liegt bei der EU ein Zulassungsantrag vor.