Wenn die Blasmusik schweigt
Dirigenten und Musiker äußern sich zur aktuellen Situation in der Krise
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EHINGEN - Blasmusik verbindet! So lautet das Motto des Musikvereins Kirchbierlingen. Wegen der anhaltenden Corona-Beschränkungen sind die Musikfreunde daran gehindert, diese Verbindung aufrechtzuerhalten. Rund 80 Musikantinnen und Musikanten des Vereins wären gerade in der Fasnetszeit voll im Einsatz gewesen, hätten das Narrenbaumstellen in Kirchbierlingen und die Umzüge in Ehingen und Oberdischingen musikalisch begleitet. Seit einiger Zeit steht auch für sie alles still. Die Blasinstrumente liegen in ihren Aufbewahrungen, die Uniformen hängen im Schrank.
Zu normalen Zeiten haben die aktiven Mitglieder des Musikvereins jeden Freitag um 20 Uhr gemeinsam geprobt. Alle zusammen an einem Ort: Heute, nach einem Jahr CoronaErfahrung, kaum vorstellbar. Auch für Dirigent Frank Auchter, der große Gruppen und Menschenmengen auch als Lehrer gewohnt ist, irgendwie ungewöhnlich. „Im Sommer, als manches noch möglich war, haben wir vor der Sommerpause und noch einige Male danach draußen in den Pfarrei-Ortschaften eine Stunde geprobt und für die Zuschauer, die drumherum standen, ein Ständchen gebracht. Im Herbst waren wir dann noch ein paar Mal in der Halle gewesen, um den Abstand einhalten zu können“, erzählt Auchter. Weitere Aktivitäten waren nach diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Auchter regt zwar die Musikanten an, hin und wieder ihre Instrumente herauszuholen und zu spielen, aber wie viele es tatsächlich tun und sich nach dieser langen Auszeit noch immer dazu motivieren können, weiß er nicht. „Wenn man das Instrument über eine längere Dauer nicht benutzt, können die Klappen oder Zylinder festsitzen. Wie bei einem Auto, wenn man es nicht fährt, wird es nicht besser.“
Aber nicht nur für die Instrumente kann es Konsequenzen geben, sondern auch für die Musikanten. Zwar verlerne man das Musizieren nicht, weil es wie Fahrradfahren sei, aber es könne schon sehr wohl geschehen, dass die Muskulatur im Mund- und Gesichtsbereich sich abbaue: „Stellen Sie sich vor, sie liegen fünf Wochen bewegungslos im Bett. Die Muskulatur schwindet davon. Genau das passiert, wenn man wochenoder monatelang nicht ins Instrument bläst.“Daher erwartet der Dirigent, dass es nach dem Lockdown eine gewisse Übungsphase geben wird, bis wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht werde.
Wann Frank Auchter tatsächlich wieder dirigieren darf, und in welchem Umfang, ist ungewiss. „So wie es aussieht, läuft das Ganze bis weit in den Februar hinein. Vielleicht kann man sich dann mal in kleinen Gruppen treffen, oder auch gar nicht.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich schon bald in solch großen Gruppen zum Üben und Proben treffen darf.“Die Planungsunsicherheit macht es dem erfahrenen Musikfreund nicht leicht. Hinzu komme dann auch noch, dass Musikvereine in all dieser Zeit keine Beachtung erfahren haben: „Es geht allen Musikvereinen gleichermaßen. Alles steht still. Und es interessiert kaum jemanden.“
Vor allem habe Auchter in dieser Zeit das Musikalische gefehlt, aber auch die vielen Treffen, Feste und die Einkehr nach den Proben: „Ganz klar, die sozialen Kontakte fehlen einem auch unheimlich.“Nicht verwunderlich bei den vielen Aktivitäten, an denen die Vereinsmitglieder normalerweise teilnehmen: der Bluttritt in Weingarten, das jährliche Martinskonzert in Kirchbierlingen, die Fasnetsumzüge in Ehingen und Oberdischingen, das Ulrichsfest in Berg und die vielen Gegenbesuche bei benachbarten oder befreundeten Vereinen. „Normalerweise kommen wir das ganze Jahr über viel herum in der Region“, doch momentan treffe man sich höchstens mal beim Einkaufen, wenn überhaupt.
Der Ehinger Musikkapelle „Ehgnerländer“, bestehend aus etwa 20 Musikantinnen und Musikanten, die sich schon aus Schulzeiten kennen, geht es nicht anders. Normalerweise spielen sie im Raum Ehingen jährlich auf etwa 15 Veranstaltungen und verbringen auch sonst gemeinsam viel Zeit bei den Proben und nach den Festen, doch momentan ist auch hier „tote Hose“, erklärt Michael Köhler, Sprecher und Moderator der „Ehgnerländer“. Letztes Jahr spielte die Kapelle Anfang März noch auf einer privaten Feier und seither herrscht Stille. Köhler fehlen ganz klar die sozialen und kulturellen Aspekte mehr als die wirtschaftlichen: „Wirtschaftlich ist es für uns gar kein Problem, weil jeder sein Instrument selber finanziert und die Gage der Auftritte wieder in die Probenarbeit, Ausflüge oder gemeinsamen Aktivitäten investiert. Wir haben keine hohen laufenden Kosten, die jetzt gedeckt werden müssen. Das, was uns hauptsächlich fehlt, ist, dass die Zusammenkünfte nicht mehr möglich sind und wir als Musiker
unsere Musik nicht mehr spielen können.“Zwei wichtige Gründe, die die jungen Musiker vor zehn Jahren dazu veranlassten, eine Kapelle zu gründen.
Musikalisch haben sie die Ehinger im September vergangenen Jahres noch mit spontanen Auftritten vor Biergärten überrascht: „Wir haben Biergartentouren gemacht, ohne Vorankündigung, und haben im Freien gespielt. Somit hatten wir auch wieder einmal eine Möglichkeit, zu musizieren und mit Abstand zusammenzukommen“, so Köhler. Für dieses Jahr haben Köhler und seine Musikfreunde auch schon 15 Veranstaltungen zwischen Mai und September zugesagt, ob sie zustandekommen können, wissen sie nicht, wollen aber zuversichtlich bleiben. Deshalb kommen die „Ehgnerländer“auch hin und wieder durch Videokonferenzen zusammen, um die Bindung während des Lockdowns weiterhin aufrechtzuerhalten und sich über zukünftige Pläne auszutauschen.
Der Kreisverbandsvorsitzende des Blasmusik-Kreisverbands Ulm/ Alb-Donau, Matthias Dolpp, kennt die Sorgen der Vereine. Erst vergangene Woche kam er bei Bezirksstammtischen der drei Bezirke, West-Mitte-Nord, mit allen Vereinsvorsitzenden digital zu- sammen und konnte sich einen ausführlichen Überblick über die Situation verschaffen: „Von der Gesamtsituation ist es tatsächlich so, dass wir überhaupt nichts machen dürfen. Und das belastet natürlich die Vereine sehr. Sie haben Bedenken geäußert, dass sie nicht wissen, wie viele Musiker nach dieser langen Pause aufhören werden, beziehungsweise von wo sie wieder anfangen werden.“Dolpp und die Vereine gehen davon aus, dass die Musikanten in dieser Zeit das Instrument kaum in der Hand gehabt haben werden und befürchten, dass die Qualität darunter leiden könnte. Auch dass niemand weiß, wann es auf welche Weise wieder losgehen kann, beschäftige die Vereine sehr. „Dass komplett ein Jahr Jugendausbildung in Präsenz ausgefallen ist, ist nicht optimal. Auch wenn viele Vereine versucht haben, diese Lücke mit digitalen Angeboten abzufedern“, so Dolpp. Der Blasmusikverband Baden-Württemberg versuche sich derweil dafür einzusetzen, dass Musikvereine und Musikschulen – sobald sich die Situation etwas entspanne – wieder proben und Präsenzunterricht machen können. Für den Kreisverbandsvorsitzenden ein wichtiger Schritt, um die Musik und ihre gesamtgesellschaftlichen Vorteile voranzubringen.