Kommt die neue Fußgängerzone zu spät?
Ziele für Hirsch- und Bahnhofstraße sind groß – Doch dauert die Umgestaltung zu lang?
●
ULM - Am Ende sollen Bahnhofstraße und Hirschstraße in Ulm ganz anders aussehen als heute: identitätsstiftend, einheitlicher, besser angebunden, bequemer für Fußgänger, umweltfreundlicher. Nicht die Geschäfte sollen die Bürger in die dröge Fußgängerzone locken. Sondern die attraktive Fußgängerzone, die dann auch in die Geschäfte gehen. Doch dafür sind umfangreiche Bauarbeiten nötig. Und weil auch die Öffentlichkeit mitreden soll, wird sich das Projekt noch weiter in die Länge ziehen. In fünf oder sechs Jahren könnte alles fertig sein. Aber ist es dann vielleicht schon zu spät?
Dass viele Menschen mehr und mehr im Internet einkaufen, bereitet dem stationären Handel ohnehin schon Probleme. Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen und Auswirkungen bringt die Kaufleute in zusätzliche Not. Der Ulmer Stadtrat Günter Zloch (CDU/Ulm für Alle) warnt: Wenn die Umgestaltung abgeschlossen ist, könnte es schon zu spät sein. Die Geschäfte könnten leer sein, die Fußgängerzone verödet.
Zloch hält die Umgestaltung für richtig. Doch er findet: Es muss schneller gehen. Diese Sicht teilen SPD-Fraktionschef Martin Ansbacher und FWG-Mann Gerhard Bühler. Nun will die Stadtverwaltung zumindest prüfen, ob sich das Verfahren straffen lässt. Den Zielen für die Fußgängerzone und der Beteiligung der Öffentlichkeit hat der Ulmer
Bauausschuss am Dienstagabend einstimmig zugestimmt.
Ulms Baubürgermeister Tim von Winning sieht keinen Grund für Sorgen rund um Bahnhofstraße und Hirschstraße. „Ich glaube nicht, dass die Fußgängerzone gefährdet ist. Ich glaube nur, dass wir etwas tun müssen“, sagt er. Studien zeigten, dass die Ulmer Einkaufsmeile eine der stärksten Süddeutschlands sei und dass sie die besten Chancen hätte, die Krise zu überstehen.
Und doch ist viel zu tun, schon allein weil Geschäfte allein kein Magnet sind. Für die Ziele und das Konzept, berichtet Chefstadtplanerin Carola Christ, habe man auf allgemeine Trends geschaut. Sie beschreibt, wie die Bürgerschaft die neue Fußgängerzone nutzen könnte: „Sie werden vielleicht auch mal sonntags hingehen, um zu flanieren, um in die Schaufenster zu gucken, um sich hinzusetzen oder um sich mit jemandem zu treffen.“Dinge, die in der Bahnhofstraße und der Hirschstraße derzeit und schon seit
Jahren nicht unbedingt angesagt sind. „Ich habe das mit meiner Familie immer gemieden“, räumt SPDStadträtin Dorothee Kühne unumwunden ein.
In einem „freiraumplanerischen Realisierungswettbewerb“, wie es in der Verwaltungssprache heißt, sollen bis zum Ende des Jahres Vorschläge gesammelt werden. Dabei soll es um den Bodenbelag, um Bäume und Grün, um Möblierung und um Beleuchtung sowie ganz grundsätzlich um Vorschläge zur Attraktivitätssteigerung gehen.
Aufgehübscht werden sollen neben der Bahnhof- und der Hirschstraße auch die Deutschhausgasse und die Glöcklerstraße. Zudem sollen dieser Bereich sowie weitere Straßen und Gassen zu einem Sanierungsgebiet werden. Dann kann es für die Behebung städtebaulicher Missstände oder funktioneller Schwächen Fördergeld geben. In den nächsten Jahren könnte so beispielsweise auch eine neue, fußgängerfreundliche Verbindung über den westlichen Abschnitt der Neuen Straße zum Fischerviertel entstehen.
Der erste Schritt steht im Frühjahr an: eine Übergangslösung für die Fläche, auf der bis vor Kurzem der McDonalds-Container stand. Dort sollen Sitzgelegenheiten „ohne Konsumzwang“entstehen. Eine zunächst geplante, geschwungene Bank ist aber vom Tisch: Denn nur Dinge, die auch anderswo in der Stadt aufgebaut werden können, sollen zum Einsatz kommen. Das sind beispielsweise Platten für den Boden, den der Bauhof
noch gelagert hatte. Und das sind die als Weihnachtsmarkt-Absperrungen bekannten Betonspatzen als Dekoration und Klettergeräte für Kinder. Bäume werden in großen Pflanzkübeln aufgestellt, damit sie bei der Umgestaltung nicht wieder gefällt werden müssen.
Auf die Ökologie will die Stadt ein besonderes Augenmerk legen. Mit Bäumen etwa, aber auch mit insektenfreundlicher Beleuchtung und womöglich auch begrünten Fassaden. Die Bäume, erläutert Stadtplanerin Carola Christ, seien angesichts der zahlreichen Leitungen unter der Erde nicht ganz einfach zu setzen. Die Leitungen seien ein Grund für die lange Dauer.
Ein weiterer ist, dass die Fußgängerzone abschnittsweise verändert werden soll, damit sie nicht für längere Zeit komplett gesperrt werden muss. Umbauten wie die neue Fassadengestaltung beim Bekleidungsgeschäft Peek & Cloppenburg sollen abgewartet werden. Und schließlich sind da die Ideen aus der Öffentlichkeit, die gesammelt und aufgenommen werden sollen.
Auch die Eigentümer der Häuser sollen mitreden. Grünen-Stadträtin Annette Weinrich hofft, dass sie zu eigenen Sanierungen und Modernisierungen motiviert werden können. Zum Beispiel dadurch, dass die Fußgängerzone attraktiver werden könnte für Menschen, die dort wohnen. Die Vermietung von Wohnungen, glaubt Weinreich, könnte sogar interessanter werden als die Vermietung von Büroräumen.