Kruzifixe zum Sonderpreis
Die 50 Holzschnitzer aus Oberammergau machen eine schwere Zeit durch
● OBERAMMERGAU (dpa) - Krippen, hölzerne Christbäume, Adventskalender – es sieht fast so aus, als sei die Zeit mit dem Lockdown im Dezember stehengeblieben. Die Auslagen der über Monaten geschlossenen Holzschnitzer-Läden im oberbayerischen Oberammergau wirken weihnachtlich. Das Dorf, berühmt für seine Passionsspiele, ist auch ein Ort der Krippenund Herrgottschnitzer. Das Geschäft mit Weihnachtskrippen, vor allem aber mit Kruzifixen läuft das ganze Jahr über – aber die wichtige Vorweihnachtszeit und vor allem die Passion sind 2020 wegen der Pandemie ausgefallen.
Toni Baur hat seinen Holzschnitzerei-Laden dieser Tage erstmals seit Monaten wieder geöffnet, die Lockerungen machten das möglich. An den ersten Tagen kam ein einziger Kunde. Er kaufte eine Krippenfigur für 230 Euro. „Das war's bis jetzt. Es ist ja kaum jemand da. Das Dorf ist tot“, sagt Baur. Einige wenige Bestellungen kommen online. Ein Kruzifix schickt Baur gerade in die USA. Amerikaner und Russen zählen sonst zu den besten Kunden. Zuletzt bestellten vor allem Stammkunden gelegentlich eine Figur. Nicht einmal die Unkosten könne er decken, sagt Baur.
Bis hin zu fünfstelligen Beträgen können die kunstvollen Schnitzereien kosten. Teils lieferten sich die Händler gegenseitig eine Rabattschlacht
– um wenigstens etwas zu verkaufen. Verkäufer beziehen ihre Figuren inzwischen teils aus Südtirol. Doch es gibt auch noch etwa 50 Holzschnitzer in dem 5000-Seelen-Dorf.
Holzbildhauermeister Tobias Haseidl, Vorsitzender des St. Lukas Vereins als Zusammenschluss einheimischer Schnitzer, arbeitet nur auf Bestellung. Seine Kunden orderten auch in der Pandemie. 99 Prozent der Bestellungen kämen nicht aus der Region, sagt er. Mancher wünscht sich eine Krippe, in der die Figuren sein eigenes Konterfei tragen. Andere ließen sich den Chef in Brennton formen – ein Abschiedsgeschenk für den Vorgesetzten. Gefragt sei aber vor allem traditionelle Optik. Teils arbeitet Haseidl für die Passionsspiele, die nun nach der coronabedingten Verschiebung für 2022 geplant sind. Dafür hat er Löwen aus Polyurethanschaum gefertigt.
Früher fertigten viele Schnitzer in Oberammergau nur den Gekreuzigten. Doch das ist vorbei. „Reine Herrgottschnitzer gibt es nicht mehr“, sagt Haseidl. Schließlich werden die Kruzifixe vererbt. „Der Markt ist irgendwann gesättigt.“Und als Geschenk etwa zur Taufe oder zur Hochzeit ist das Kruzifix doch etwas aus der Mode gekommen.
Dabei ist das Abbild des Gekreuzigten vor allem im katholischen Süden Bayerns allgegenwärtig. Er hängt an Feldern, Straßen und Wanderwegen, kennzeichnet Unfallorte und ziert Kapellen – oder hängt im „Herrgottswinkel“heimischer Stuben oder am Giebel von Ställen.
Der Glaube spielt bei vielen Arbeiten eine wichtige Rolle. Haseidls Christus etwa hängt gelegentlich nicht am Kreuz, sondern in einer Vförmigen Struktur – hier sei die Ablösung vom Kreuz und damit die Auferstehung mit dargestellt, erläutert der Holzbildhauer. Junge Menschen, die einen Hausstand gründen, verlangen wiederum eher nach schlichten Kreuzen.
2018 schien es, als könnte der Kreuz-Erlass den Absatz ankurbeln. Damals hatte das bayerische Kabinett auf Initiative des damals gerade zum
Ministerpräsidenten aufgestiegenen Markus Söder (CSU) entschieden, dass im Eingangsbereich jeder Landesbehörde ein Kruzifix hängen solle; Kirchen warfen Söder vor, das christliche Symbol für politische Zwecke zu missbrauchen. Die staatliche Kreuzpflicht brachte allerdings für Händler von Kruzifixen wie auch für die Oberammergauer Herrgottschnitzer kaum Profit.
Gerade jetzt sind bei den Oberammergauer Händlern die Lager voll. Auf rund 300 Quadratmetern stehen bei Toni Baur Tausende Figuren. Die Absage der Passion 2020 hat ihn und seine Kollegen wichtige Umsätze gekostet. „Das war ein Schlag ins Gesicht.“Wenn die Oberammergauer alle zehn Jahre das Laienspiel vom Leben, Sterben und der Auferstehung Christi aufführen, kommt eine halbe Million Besucher aus aller Welt in den Ort – und bringt Umsatz. Immerhin kamen im Sommer deutsche Gäste. „Es war eine andere Klientel hier als sonst. Die Leute waren vor allem von der Landschaft begeistert.“Und von den Schnitzereien – sie kauften gern.
Jetzt hofft der Ort auf das nächste Jahr. Die Vorbereitungen auf die Passion, aus einem Pest-Gelübde entstanden und verschoben wegen Corona, laufen. „Ich hoffe schon, dass die Passion stattfindet“, sagt Baur. Doch angesichts schleppender Impfungen und steigender Infektionszahlen sagt er: „Vorstellen kann ich es mir bisher nicht.“