Aufbruch mit leeren Kassen
Künftige Regierungskoalition steht vor Verteilungskämpfen – Schuldenlast wegen Corona-Pandemie
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STUTTGART (dpa) - Grüne und CDU im Südwesten stehen bei ihren Koalitionsverhandlungen vor einer „Woche der Entscheidungen“. Nachdem die gemischten Arbeitsgruppen ihre Vorschläge vorgelegt haben, wollen die Spitzen der Parteien um Ministerpräsident Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl von Montag bis zum Tag der Arbeit am 1. Mai darüber entscheiden, für welche Schwerpunkte sie das knappe Geld ausgeben wollen. Die beiden Parteien wollen in den Breitbandausbau, mehr Polizei, Innovationen und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs investieren. Verteilungskämpfe sind programmiert.
Finanzielle Schleifspuren
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Kretschmann machte am Donnerstag in Stuttgart klar, dass wegen der coronabedingten Haushaltslöcher längst nicht für alles Geld da sei. Der Grüne hofft auf ein Anziehen der Konjunktur. Die Hoffnung auf einen Geldsegen durch eine Auflösung der milliardenschweren Baden-WürttembergStiftung dämpfte er.
Strobl sagte, diese Idee sei steuerrechtlich sehr schwer umzusetzen. Und zur Finanzlage: „Corona hinterlässt tiefe Schleifspuren.“Nicht alles Wünschenswerte werde finanzierbar sein. Den beiden Parteien sind die Hände gebunden, weil sie sich schon darauf verständigt haben, an der Schuldenbremse festhalten zu wollen. Zugleich klaffen aber im Etat wegen der Folgen der Corona-Pandemie in den nächsten drei Jahren Löcher in Höhe von etwa vier Milliarden Euro.
Schnelles Internet
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Wie wichtig schnelles Internet ist, hat spätestens jeder im Homeoffice in der Corona-Krise gemerkt. Grüne und CDU sind der Meinung, dass der Breitbandausbau auf dem Land viel schneller vorangehen muss. Doch ein flächendeckender Glasfaserausbau kommt richtig teuer. Dem Vernehmen nach hat die Arbeitsgruppe Bauen, Wohnen und digitale Infrastruktur noch keine Zahl aufgerufen. Die Beteiligten hätten „Bauchschmerzen“, ob das Geld dafür da sei. Die CDU hatte in ihrem Wahlprogramm von 1,5 Milliarden Euro gesprochen. Der Landkreistag hält 500 Millionen Euro im Jahr für nötig.
Häuslebauer gehen leer aus
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Geld für den Breitbandausbau ja, für Familien und Häuslebauer nein. Hier verzichtet die CDU auf zwei ebenfalls kostspielige Projekte aus ihrem Wahlprogramm. Die Union hatte dafür geworben, das Baukindergeld fortzuführen, nachdem der Bund Ende März seine Förderung beendet hat. Am Ende verständigte man sich aber, darauf zu verzichten. Die CDU wollte mehr für „Häuslebauer“tun und auch die Grunderwerbsteuer von fünf auf 3,5 Prozent senken, doch auch das musste sie abschreiben.
Sparen, aber nicht bei der Polizei ●
Zwar pocht Strobl bei jeder Gelegenheit aufs Sparen, doch bei der Polizei will er keine Abstriche machen. Wenn es nach der CDU geht, soll die Einstellungsoffensive weitergehen, jährlich sollen 1800 neue Stellen geschaffen werden. Führende Grüne zweifeln, ob diese Pläne den Finanzcheck überstehen.
Mobilitätsgarantie
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Doch auch die Grünen haben kostspielige Projekte eingebracht, an denen es mittlerweile finanzielle Zweifel gibt. So soll es eine Garantie für den öffentlichen Nahverkehr geben: „Dafür werden alle Orte in BadenWürttemberg von fünf Uhr früh bis Mitternacht mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein“, heißt es im Sondierungspapier. Kostenpunkt: 600 Millionen Euro. Darüber hinaus soll es landesweit günstigere Tickets im Nahverkehr geben. Auf dem Preisschild sollen 500 Millionen Euro stehen. Zwar sollen die Kommunen im Gegenzug eine Nahverkehrsabgabe einführen können, doch ob da genügend Geld reinkommt, wird selbst bei den Grünen angezweifelt.
Reform des Wahlrechts
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Die Reform des Wahlrechts kostet kaum Geld, beendet aber einen langen Streit zwischen Grünen und CDU. Es soll künftig ähnlich wie im Bund ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht geben. Grüne und CDU wollen ein personalisiertes Verhältniswahlrecht mit einer geschlossenen Landesliste einführen. Zudem sollen Jüngere schon ab 16 Jahre wählen dürfen.