Reform der Pflege hilft vielen ein bisschen
Kinderlose müssen für Finanzierung mehr zahlen – Tariflöhne und Deckel bei Eigenanteil
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BERLIN - Auf den letzten Metern vor der Wahl gehen Union und SPD noch eine Pflegereform an. Sie soll die Entlohnung von Pflegekräften verbessern, aber auch Pflegebedürftige vor allem in stationären Einrichtungen etwas entlasten. Wolfgang Mulke beantwortet die wichtigsten Fragen zu diesem Projekt.
Warum ist die Reform der Pflege ● so wichtig?
Bislang werden viele der rund 1,2 Millionen Pflegekräfte sehr unterschiedlich bezahlt. Die Entlohnung ist oft schlecht, die Arbeit hart. In der Folge fehlen im ganzen Land Fachkräfte. Zugleich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen immer weiter an. Die Bundesregierung will den Beruf nun attraktiver machen. „Das geht nur mit attraktiven Arbeitsbedingungen“, stellt das Bundesgesundheitsministerium klar. Die Reform soll nun für höhere Löhne sorgen. Ein weiteres Problem sind die Kosten, die von den Pflegebedürftigen selbst aufgebracht werden müssen. Um sie finanziell nicht zu überfordern, will Minister Jens Spahn sie durch einen zeitlich gestaffelten Leistungszuschlag unterstützen.
Was bringt es den Pflegebedürftigen? ●
Darüber gehen die Meinungen auseinander. Geplant ist ein Zuschlag auf die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Im ersten Jahr gibt es fünf Prozent der Pflegekosten obendrauf, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und anschließend 70 Prozent. Über einen so langen Zeitraum dauert die Pflege im Heim selten an. Ein Heimaufenthalt kostet viel Geld. Im Durchschnitt schlägt die Pflege nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz mit 831 Euro im Monat zu Buche. Das ist aber nur ein Teil der tatsächlichen Aufwendungen. Denn für Unterkunft, Verpflegung und einen Anteil an den Investitionen des Heimbetreibers müssen die Bewohner auch aufkommen. Die Preise der Heime sind je nach Anbieter und Ausstattung sehr unterschiedlich. Zusammengenommen mehr als 2000 Euro monatlich kommen schnell zusammen, in luxuriösen Heimen weitaus mehr. Die Patientenschützer werfen Spahn eine Mogelpackung vor. Der Zuschlag werde nicht ausreichen, um die durch steigende Löhne verursachten Mehramts kosten auszugleichen. Schon im zweiten Jahr müssten die Bewohner 100 Euro mehr monatlich selbst bezahlen. Die Reform sieht weiter einen einheitlichen Personalschlüssel für die Pflegeheime vor.
Werden Pflegende künftig besser ● bezahlt?
Das Hauptanliegen der Reform ist eine bessere Bezahlung des Pflegepersonals. Einen bundesweiten Tarifvertrag gibt es nicht. Ein Anlauf dazu ist am Widerstand der Caritas gescheitert, die einer der größten Träger von Heimen ist. Mehr als jedes zweite Heim wird von gemeinnützigen Trägern betrieben. Auf private Unternehmen entfallen nach Angaben des Statistischen Bundes
43 Prozent. Die Reform schreibt nun vor, dass die Pflegekräfte nach Tarif oder nach den kirchenrechtlichen Regeln bezahlt werden müssen. Nichttarifgebundenen Betrieben werden die höheren Löhne bis zu einem Deckel ausgeglichen. Umstritten ist der Maßstab für den regionalen Tariflohn. Die Gewerkschaft Verdi befürchtet, dass Scheingewerkschaften Minilöhne aushandeln, die dann das Tarifniveau bilden. Spahn geht davon aus, dass der Fachkräftemangel den Beschäftigten zu anhaltenden Lohnsteigerungen verhilft.
Was kostet die Reform, und wie ● wird sie finanziert?
Die Bundesregierung rechnet mit
Mehrkosten von 1,4 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Eine Milliarde Euro will Spahn als Bundeszuschuss in die Pflegekasse geben. Weitere 400 Millionen Euro bringt eine Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung für Kinderlose. Er steigt von derzeit 3,3 Prozent auf 3,4 Prozent. Die Krankenkassen hegen allerdings Zweifel an der Rechnung des Ministers. „Der vorgesehene Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung fällt viel zu gering aus“, befürchtet AOK-Chef Martin Litsch. Schon in diesem Jahr erwartet er ein Defizit von einer Milliarde Euro. 2023 seien dann die Reserven der Pflegekasse aufgebraucht.
Ist es gerecht, Kinderlose für die ●
Pflege zur Kasse zu bitten?
Schon jetzt bezahlen Kinderlose mehr Beitrag für die Pflegeversicherung. Auch in den anderen Sozialversicherungen werden sie schlechter gestellt als Eltern. Sie finanzieren bei der Rente die Ansprüche aus Erziehungszeiten und in der Krankenversicherung die kostenlose Mitversicherung von Kindern und Ehepartnern mit. Damit soll der finanzielle Nachteil der Eltern durch das Großziehen von Kindern ausgeglichen werden.
Werden private Pflegeanbieter ● damit verdrängt?
Diese These vertritt der Arbeitgeberverband der privaten Heimanbieter. Die geforderte Tariftreue riskiere zusammen mit Vorgaben dem Personaleinsatz und den Preisen die Existenz der Unternehmen. Der Verband beziffert den Durchschnittslohn für Fachkräfte auf 3350 Euro und will gegen die Reform klagen.
Ist das Finanzierungsproblem ● der Pflege damit langfristig gelöst?
Das wird kaum der Fall sein. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft voraussichtlich weiter an. Das Statistische Bundesamt verzeichnete Ende 2019 insgesamt 4,13 Millionen Pflegebedürftige. Gegenüber der letzten Erhebung aus dem Jahr 2017 war das ein Zuwachs um 20,9 Prozent. Der größte Teil der Betroffenen lebt weiter in den eigenen vier Wänden. 80 Prozent der Pflege findet zu Hause statt. In Heimen lebten Ende 2019 rund 818 000 Pflegebedürftige. Bei einem weiteren Zuwachs werden auch die finanziellen Probleme der Pflegeversicherung wieder in den Fokus rücken.