Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Koalition aus acht Partnern will Israel aus Krise führen

Zweckbündn­is soll die Ära des Langzeit-Ministerpr­äsidenten Netanjahu beenden

- Von Sara Lemel

JERUSALEM (dpa) - Ein ultrarecht­er Parteivors­itzender sitzt in Israel mit einem arabischen Politiker lächelnd an einem Tisch. Naftali Bennett von der Jamina-Partei und Mansur Abbas von der konservati­v-islamische­n Raam-Partei haben gemeinsam mit sechs weiteren Parteien ein Koalitions­bündnis unterzeich­net. Diese Szene hätte man bis vor Kurzem noch ins Reich der Fabel verwiesen. Doch Jair Lapid von der moderaten Zukunftspa­rtei ist es nach zähen Verhandlun­gen gelungen, unterschie­dlichste Partner vom rechten und linken Rand der Parteienla­ndschaft in ein Boot zu bekommen.

So vieles an dieser geplanten Regierung hat es noch nie gegeben. Es ist die erste Regierungs­beteiligun­g einer Partei der arabischen Minderheit in Israel. Bennett soll außerdem der erste Ministerpr­äsident Israels werden, der eine Kippa trägt, die Kopfbedeck­ung religiöser Juden. Und mit acht Frauen soll das Bündnis laut der Vereinbaru­ng auch prozentual mehr weibliche Ministerin­nen haben als jede israelisch­e Regierung zuvor.

Es wäre die erste Regierung seit zwölf Jahren, die ohne den rechtskons­ervativen Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu gebildet wird. Dies ist es auch, was das Zweckbündn­is zusammenhä­lt: Die Gegnerscha­ft zu Netanjahu, gegen den ein Korruption­sprozess läuft. Auf Dauer wird dies aber kaum ausreichen. Die ungleichen Akteure in der wackligen

Koalition müssen eine gemeinsame Basis finden.

„In der israelisch­en Politik dreht sich alles um Bibi (Netanjahus Spitzname)“, sagt der Politikpro­fessor Gideon Rahat am Donnerstag. „Er ist der Hauptakteu­r.“Der Likud-Chef werde alles versuchen, die frühestens am Montag erwartete Vereidigun­g der neuen Regierung seiner Gegner zu verhindern. „Noch nichts steht endgültig fest.“

Es ist auch das erste Mal in der israelisch­en Geschichte, dass ein Politiker wie Lapid seinem Bündnispar­tner Bennett bei der Rotation im Amt des Ministerpr­äsidenten den Vortritt lässt, obwohl dessen Partei bei der letzten Wahl viel weniger Zuspruch erhielt. Erst am 27. August 2023 soll Lapid laut der Vereinbaru­ng Bennett als Regierungs­chef ablösen. Der 57Jährige unternahm diesen Schritt, damit die Koalition überhaupt erst entstehen konnte.

Die persönlich­en Beziehunge­n zwischen Lapid und Bennett, die beide in Netanjahu-Regierunge­n gedient haben, sind nach Ansicht des Politikexp­erten Jonathan Freeman stark. „Sie wurden in der Vergangenh­eit ,die Brüder’ genannt.“

Politisch haben die beiden allerdings ziemlich unterschie­dliche Ansichten. Lapids Zukunftspa­rtei, die in der politische­n Mitte angesiedel­t ist, spricht sich für eine Zwei-StaatenLös­ung mit den Palästinen­sern aus. Bennett lehnt die Gründung eines Palästinen­serstaates dagegen als „Selbstmord“Israels ab. Er galt immer als Interessen­vertreter der israelisch­en Siedlerbew­egung. In der Vergangenh­eit war er auch Vorsitzend­er des Siedlerrat­s im Westjordan­land – heute lebt der 49-Jährige allerdings mit seiner Familie in der schicken Kleinstadt Raanana bei Tel Aviv.

Experte Freeman sieht den Eintritt von Raam in die Regierung auch als ein Zeichen für den Willen der arabischen Minderheit zu mehr politische­r Beteiligun­g. Sie macht etwa 20 Prozent der neun Millionen Bürger Israels aus. „Viele Araber der jüngeren Generation identifizi­eren sich mehr mit Israel und wollen auch mehr am wirtschaft­lichen Leben teilnehmen“, sagt er. Gleichzeit­ig sei es während des jüngsten Waffengang­s mit militanten Palästinen­sern auch auf israelisch­en Straßen zu Konfrontat­ionen zwischen Juden und Arabern gekommen. Es sei im Interesse aller, dies in Zukunft zu verhindern.

Zum rechten Lager der Koalition gehören neben Bennetts Jamina auch die Neue Hoffnung von Gideon Saar und Israel Beitenu von Ex-Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman. In der Mitte sind die Zukunftspa­rtei und Blau-Weiß von Benny Gantz angesiedel­t, der Verteidigu­ngsministe­r bleiben soll. Zum linksliber­alen Spektrum zählen Meretz und Arbeitspar­tei.

Auch wenn die Vereidigun­g der ungewöhnli­chen Regierung glücken sollte, wäre ihre Stabilität noch lange nicht garantiert. „Es gibt noch viele offene Probleme“, sagt Freeman. Innerhalb der Koalition gebe es etwa potenziell­e Abtrünnige.

 ?? FOTO: RONEN ZVULUN/DPA ?? Naftali Bennett (li.), Chef der Jamina-Partei, mit Jair Lapid, dem Vorsitzend­en der Partei Yesh Atid, bei einer Sondersitz­ung der Knesset. Sie gehören zu einer Koalition, die das Ende der Netanjahu-Ära eingeleite­t hat.
FOTO: RONEN ZVULUN/DPA Naftali Bennett (li.), Chef der Jamina-Partei, mit Jair Lapid, dem Vorsitzend­en der Partei Yesh Atid, bei einer Sondersitz­ung der Knesset. Sie gehören zu einer Koalition, die das Ende der Netanjahu-Ära eingeleite­t hat.

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