Für Cum-Ex-Geschäfte ins Gefängnis
Erstmals spricht ein Gericht wegen des speziellen Steuerbetrugs eine Haftstrafe aus
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FRANKFURT - Experten sprechen vom größten Steuerraub der Geschichte. Der wird nun unter anderem vom Bonner Landgericht aufgearbeitet. In einem der Verfahren rund um Cum-Ex-Aktiengeschäfte ist ein ehemaliger Mitarbeiter der Hamburger Privatbank M. M. Warburg nun zu einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt worden. „Die Entscheidung ist ein erstes kraftvolles Signal, dass auch Finanzprofis nicht über dem Recht stehen“, sagte Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. „Sie ist zugleich ein großer Erfolg für die Staatsanwaltschaft Köln im Kampf gegen den Cum-Ex-Sumpf und seine Anwälte.“Beobachter wie Schick werten das Urteil als einen Meilenstein im Cum-Ex-Skandal. Denn es handelt sich um den ersten Täter, der für seine kriminellen Machenschaften eine Haftstrafe bekommt.
Bei den Cum-Ex-Deals handelt es sich um Aktiengeschäfte mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch. Die wurden um den Zahltag der Dividende von Börsenunternehmen zwischen verschiedenen Händlern schnell hintereinander gekauft und wieder verkauft. Dieses Karussell drehte sich schnell, sodass die Finanzämter kaum nachvollziehen konnten, wer im Besitz der jeweiligen Aktien war. Das Ziel der komplexen und organisierten Transaktionen aber war denkbar einfach: Die mehrfache Erstattung von einmal gezahlten Kapitalertragssteuern – in ganz großem Stil. Experten wie Christoph Spengel von der Universität Mannheim schätzen den Schaden, der dem Fiskus in Deutschland allein in 15 Jahren zwischen 2001 und 2016 entstanden ist, auf mehr als 30 Milliarden Euro.
Der Angeklagte wurde nun wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt, sagte eine Sprecherin des Gerichtes. Angesichts der Länge des Verfahrens gelten zwei Monate der Strafe bereits als vollstreckt. Das Verfahren hatte im November am Bonner Landgericht begonnen. Die Warburg-Bank erklärte, das Urteil bleibe ohne wirtschaftliche Folgen für das Geldinstitut.
Am Landgericht Bonn laufen zu den kriminellen Finanztransaktionen mehrere Verfahren gegen mutmaßliche Beteiligte im Cum-ExSkandal. Bei der Staatsanwaltschaft in Köln sind die Ermittlungen dazu gebündelt. Zuletzt hatte das Gericht in Bonn im Mai die Anklage gegen zwei Mitarbeiter einer Schweizer Bank zugelassen. Im bundesweit ersten Strafprozess hatten die Richter im März 2020 Bewährungsstrafen gegen zwei britische Aktienhändler verhängt. Insgesamt gibt es laut Finanzwende rund 1000 Beschuldigte.
Die Cum-Ex-Geschäfte waren organisiert und bei Weitem keine Einzelfälle.
Ein hoher Steuerbeamter im Bundestagsuntersuchungsausschuss zu dem Thema hatte die Geschäfte deswegen als Fälle organisierter Kriminalität bezeichnet. So werden immer wieder Geschäftsräume von Banken oder auch Rechtsanwaltskanzleien im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften durchsucht. „Das erste strafrechtliche Urteil vergangenes Jahr und nun die erste Gefängnisstrafe sind erste Schritte, um jahrelange Versäumnisse wieder gut zu machen“, sagt Gerhard Schick. „Alle Fälle müssen strafrechtlich aufgearbeitet werden, denn eine Gefängnisstrafe ist oft die einzige Sprache, die Finanzkriminelle verstehen.“
Versäumnisse sehen Beobachter zum einen beim Gesetzgeber. Denn der hatte dieser Art von Steuerhinterziehung zwar 2007 einen Riegel hierzulande vorgeschoben. Allerdings liefen die Geschäfte dann grenzüberschreitend in Europa weiter. Zum anderen hatten Organisationen wie der Bund der Kriminalbeamten davor gewarnt, dass Fälle verjähren könnten, weil bei den Ermittlungsbehörden Personalmangel herrsche. Auf diesen Fall trifft das offenbar nicht zu. Für den Angeklagten aber gibt es eine Chance, denn das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Anwältin des Ex-Warburg-Bankers will in Berufung gehen.