Corona stresst vor allem junge Menschen
Wissenschaftler der Universität Konstanz forschen zum Alltag in der Pandemie
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RAVENSBURG - Wie hat sich Ihr Leben durch Corona verändert? Mit ihrer weltweit angelegten Umfrage „Life with Corona“– also „Leben mit Corona“– wollen die Entwicklungsforscherin Anke Hoeffler von der Universität in Konstanz und ihre Mitstreiter herausfinden, wie Menschen mit den Herausforderungen der Corona-Krise umgehen. Bereits etwa 32 000 Menschen auf der ganzen Welt haben mitgemacht. Den Fragebogen hat die Universität Konstanz mit Partnern entwickelt.
Die Umfrage, die Anke Hoeffler gemeinsam mit ihren Kollegen Professor Tilman Brück und Professorin Patricia Justino aus Berlin und München erstellt hat, läuft bereits seit März vergangenen Jahres, seit Beginn der Pandemie in Deutschland. Die Forscherinnen und Forscher konnten sogar bereits erste Erkenntnisse gewinnen.
Ein überraschendes Ergebnis für Hoeffler: Obwohl alte Menschen gesundheitlich am ehesten durch Corona gefährdet sind, sind es doch die Jungen, die unter den Umständen der Krise leiden. „Der Stress, der durch die Umstände der Pandemie hervorgerufen wird, ist eine größere mentale Last als durch die Krankheit selbst“, erklärt Hoeffler im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Das ist weltweit so. Auf 27 Sprachen haben Menschen auf der ganzen Welt den Fragebogen bisher ausgefüllt. Die Ergebnisse seien überall überraschend ähnlich, sagt Anke Hoeffler, und das nicht nur in Bezug auf Stress. So hat die Umfrage auch ergeben, dass in allen Ländern Frauen mehr unter der Krise leiden als Männer. „Sie müssen im Lockdown den Haushalt stemmen und die Männer können zu einem größeren Teil zur Arbeit gehen“, sagt Hoeffler.
Auch ein Ergebnis: Frauen leiden während der Krise eher unter Depressionen. Männer wiederum werden mit zunehmenden Maßnahmen im Lockdown eher aggressiv.
Verglichen hat das Forscherteam die Zeit des „Lockdown light“im Herbst 2020 und des harten Lockdowns im Winter 2020/2021. So waren Frauen auch schon vor der Krise eher anfällig für Depressionen und Männer für Aggressivität – dennoch hat beides bei den jeweiligen Gruppen verstärkt zugenommen.
Aus Berlin, München und Sachsen hat das Team bereits viele Fragebögen beantwortet bekommen und daraus Rückschlüsse ziehen können. Berliner haben zum Beispiel mehr
Vertrauen in die Regierung als Menschen aus Sachsen.
Der Grund dafür könne sein, dass die Regierung den Berlinerinnen und Berlinern „näher ist“. In ländlicheren Strukturen, wie in Sachsen, fühle man sich eher mit Familie, Nachbarn oder Bekannten verbunden, so die Forscher.
Was die Wissenschaftler auch interessiert: Welche Auswirkungen auf die Krise hat es, wenn Menschen kein Vertrauen mehr in die Regierung haben? Während in BadenWürttemberg
die Ausgangssperre zum Beispiel hingenommen wurde, gab es in Amsterdam Ausschreitungen: Menschen gingen auf die Straße oder schlugen Schaufenster ein. „Es würde mich nicht erstaunen, wenn gerade jüngere Menschen, die in den Niederlanden protestiert haben, weniger Vertrauen in die Maßnahmen der Regierung haben“, sagt Hoeffler.
Um mehr darüber sagen zu können, wie es zu den Ausschreitungen kommen konnte, brauchen die Forscherinnen und Forscher mehr Daten – auch aus dem Südwesten.
Womit rechnet Hoeffler? „Ich bin sehr erstaunt, wie viele „Querdenker“es hier zu geben scheint“, sagt die Sozialwissenschaftlerin, die selbst vor zwei Jahren nach Konstanz gezogen ist. Das könnte sich dann im Ergebnis bei dem Thema „Vertrauen in Regierung und Ordnungskräfte“niederschlagen, glaubt sie. Aber noch ein anderes Thema interessiert sie besonders: das Klima.
Die bisherigen Teilnehmer der Umfrage halten die Klimakrise für eine größere Herausforderung als die Coronapandemie. „Spannend wäre es für uns zu schauen, ob das in Baden-Württemberg sogar noch mehr in diese Richtung geht“, sagt Hoeffler. „Schließlich regieren die Grünen seit einigen Jahren hier mit.“
Um über ein bestimmtes Thema etwas aussagen zu können, brauchen die Experten 1000 bis 2000 ausgefüllte Bögen. Dennoch: Repräsentativ sei die Umfrage nicht, sagt Anke Hoeffler. Denn die Teilnahme ist freiwillig.
Die größte Gruppe, die bisher teilgenommen hat, sei gebildeten Menschen und vor allem Frauen zuzuordnen. Das mache aber nichts. „Weil uns das klar ist, können wir dementsprechend damit umgehen“, sagt Hoeffler. „Wir bewerten das so und gewichten die Gruppe höher, die seltener teilnimmt.“
Die Befragung läuft bis mindestens Ende des Jahres. Spätestens dann sollen auch erste Daten zur Region veröffentlicht werden können. Sobald es diese Daten gibt, werden wir sie bei Schwäbische.de präsentieren.
Wenn Sie an der Umfrage teilnehmen möchten, können Sie das unter
schwaebische.de/umfragecorona
tun.