Einmal rund um die Insel
Immer am Wasser entlang – Eine Wanderung auf Fehmarn zeigt die Vielfalt des Eilands in der Oststee
● orgenstund kennt noch gar keine Eile, denkt sich der Wanderer, und versucht, langsam auf Betriebstemperatur zu kommen. Immerhin liegen 75 Kilometer Strecke vor ihm, immer im Uhrzeigersinn um die Ostseeinsel Fehmarn herum, immer das Meer zur Linken. In zwei Tagen sollte das zu machen sein. Werden es drei, spielt es auch keine Rolle. Erst einmal heißt es ankommen, loskommen, reinkommen. Frisch geschorene Schafe beäugen den Fremdling, hinter ihnen am Himmel drehen sich große weiße Sterne: Die siebzig Windkraftanlagen sind längst die modernen Wahrzeichen Fehmarns geworden.
Noch ist er am langen Strand allein. Allein mit dem Klackern und Klirren der Kiesel, mit dem Gurren der Tauben im nahen Wäldchen, mit dem großen Containerschiff, das weit draußen nach Süden zieht. In Staberhuk beginnt der Ernst-Ludwig-Kirchner-Weg. Von 1912 bis 1914 verbrachte der Maler jeden Sommer auf Fehmarn. Er schwärmte von „Südseereichtum“und malte rund 120 Bilder. Es sind Ansichten von Bauernscheunen, aber auch Mädchen in leuchtendem Orange, die an Südseeschönheiten erinnern, nicht an die Töchter des Leuchtturmwärters Ernst-Friedrich Lüthmann, in dessen Häuschen er stets Quartier nahm. Die Küste mit ihren rund gewaschenen Felsblöcken im Wasser ist fast so geblieben wir damals: Fehmarns wilder Südosten. Das Geröll aus schwarz-weißen Feuersteinbrocken gab es schon, genauso wie die piepsenden Austernfischer. Schwarzblaue Miesmuschelschalen türmen sich fast einen Meter hoch, es riecht süßlich nach Holunderblüten und faulig nach vermoderndem Tang.
Gehen, gehen, gehen. Immer weitergehen. Irgendwann wird der Pfad zu einem Bohlenweg aus Plastik: Achtung, hier beginnt ein anderes Fehmarn! Drei weiße Hochhäuser mit cremefarbenen Balkons ragen siebzehn Stockwerke hoch aus dem
Mflachen Land. Arne Jacobsen, der Architektur-Weltstar aus Dänemark, hat das Ferienzentrum Burgtiefe entworfen, eröffnet wurde es 1971: Das Ensemble aus gläsernen Promenadengängen, einem Spaßbad, den drei Wohntürmen und wellenförmig geschwungenen Wohnwaben wurde unter Schutz gestellt, und jetzt lautet die große Aufgabe, den ungeliebten Klotz in ein neues Schmuckstück zu verwandeln.
Es ist die Vielfalt, es sind die Kontraste, die Fehmarn besonders machen. Abgeschiedene Küsten wechseln mit touristischen Brennpunkten, Natur liegt neben Geschichte, mal herrscht wunderbare Stille, dann wieder tobt quirlig-aufgedreht das Urlauberleben. Das nahe Burgstaaken etwa gibt sich maritim, mit UBoot und Seenotrettungskreuzer zum Anfassen, Infotafeln, die Wasservögel und Ostseefische erklären, und Fischbötchen, die Nachschub für Fischbrötchen liefern. Nur ein paar Kilometer weiter haben Uferschwalben ihre armtiefen Röhren in den Sand der Steilküste gegraben. Zwischen 500 und 2000 Paare bilden hier jedes Jahr die zweitgrößte Kolonie
Schleswig-Holsteins, je nachdem, wie viele den Rückweg aus Afrika geschafft haben.
Hier kommt erstmalig die Fehmarnsundbrücke in Sicht. 1963 wurde das 963 Meter lange Bauwerk mit seinen sieben Betonpfeilern für den Verkehr freigegeben. In ihrer Ausgewogenheit und ihrer Beschränkung auf das Wesentliche ist sie auch heute noch schön. Das passende Bild, um den Tag zu beenden.
Der nächste Morgen in Lemkenhafen beginnt mit rosa-goldenen Madonnenwölkchen im Stil italienischer Meister. Wie eine flache, silberne Schale liegt die Orther Reede im Morgenlicht.
Hinter dem Flügger Leuchtturm wartet dann ein Stück persönlicher Geschichte. „Jimi Hendrix Fehmarn. Love and Peace Festival 4.-6. September 1970“steht auf einem mannsgroßen Stein unter dem Relief einer Elektrogitarre. An Liebe und Frieden erinnert sich der Wanderer dabei nicht. Wohl aber weiß er noch von Matsch und Regen, von Hells Angels, die mit Schlagstöcken in Zelte eindrangen und Eintrittskarten kontrollierten und in der letzten Nacht das
Büro des Veranstalters abfackelten, weil sie nicht bezahlt wurden. Kurz dahinter, über dem Vogelschutzreservat Wallnau, steigen fünf Graureiher hoch. Das Beobachtungszentrum öffnet erst um zehn Uhr. Doch eine Tafel davor zeigt Säbelschnäbler, Brandenten, Regenbrachvögel und Bekassinen. Vor Kurzem erst haben die Mitarbeiter wieder durchgezählt und sind auf 60 verschiedene Arten gekommen.
Kleine Seen, Schilfgürtel, Strandwälle und Kiesstreifen bilden im Nordwesten eine Patchwork-Landschaft. Am Bojendorfer Strand kullert zwischen angespültem Tang ein kleiner Stein von zartem, milchigem Schimmer, mit einer faserigen Struktur im Inneren. Es ist ein Stück Ostseejade, Faserkalk, das schönste nur denkbare Souvenir einer Strandwanderung.
Am nördlichsten Punkt der Insel, der Markelsdorfer Huk, biegt die Küste nach Osten ab. Aber es dauert und dauert, bis endlich Puttgarden in Sicht kommt. Im Fährbahnhof hat die Reederei Scandlines einen kleinen Raum zum Thema Belttunnel eingerichtet. 18 Kilometer lang soll er werden. Dafür wird unter Wasser ein 16 Meter tiefer und 100 Meter breiter Graben in den Belt gezogen. Dies wird Tausende Tonnen von Segment aufwühlen, Fische verjagen und Schweinswale verstören. Ohnehin knappes Land auf der Insel geht für die Verbreiterung der Straße und den Ausbau der Bahntrasse verloren. 10, 15, 20 Milliarden Euro für eine Zeitersparnis von gerade mal 35 Minuten und ein Verkehrsaufkommen, das unter dem einer Bundesstraße liegt. Darüber grübelt der Wanderer lange. Und fragt sich am Ende, warum er eigentlich nicht an jedem Busch, jedem Ferienappartement und jedem der Urlauberautos ein großes, blaues Andreaskreuz gesehen hat. Es ist das Kennzeichen der Beltretter, jener Menschen, die dieses Projekt immer noch für vollkommen überteuert, unsinnig und zerstörerisch halten.
Weitere Informationen:
Tourismus-Service Fehmarn, Telefon: 04371/506300, E-Mail: info@fehmarn.de, Internet: