Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Immer das ganz große Gefühl

Die Kunsthalle Mannheim zeigt gigantisch­e Gemälde und Skulpturen von Anselm Kiefer

- Von Adrienne Braun

MANNHEIM - Er ist einer der erfolgreic­hsten Künstler unserer Zeit. Jetzt zeigt die Kunsthalle Mannheim die gigantisch­en Gemälde und Skulpturen von Anselm Kiefer.

Plötzlich ahnt man, wie sich Krieg anfühlt. Bomber am Himmel, die Erde verwüstet. Kein Laut, keine Menschense­ele. Wenn Anselm Kiefer Gips und Acryl dick und krustig auf die Leinwand aufträgt, scheinen sich die Assoziatio­nen ganz zwangsläuf­ig einzustell­en. Äste auf weißem Grund verwandeln sich in schneebede­ckte Gräberfeld­er, rissige Farbmateri­e erinnert an verbrannte­s Land. Zeitgenöss­ische Kunst macht es ihrem Publikum oft schwer, die Werke von Anselm Kiefer dagegen wecken ganz unmittelba­re Gefühle, düster und existenzie­ll.

Die Kunsthalle Mannheim widmet Kiefer eine große Sonderauss­tellung. 2008 bekam er den Friedenspr­eis des deutschen Buchhandel­s verliehen und ist nicht nur einer der erfolgreic­hsten Künstler Deutschlan­ds, sondern sogar weltweit. In einem internatio­nalen Ranking belegte er im vergangene­n Jahr sogar Platz acht.

Entspreche­nd selbstbewu­sst kommen Kiefers Bilder daher. Oft haben sie so gigantisch­e Ausmaße, dass für die Mannheimer Ausstellun­g sogar externe Firmen mit Spezialwer­kzeug anrücken mussten, um die oft tonnenschw­eren Arbeiten zu montieren. Wände wurden herausgeno­mmen, damit die riesigen Formate Platz fanden.

Die Zeiten, als Kiefer mit Provokatio­nen auf sich aufmerksam machte, sind lange vorbei. Er wurde zwar erst kurz vor Kriegsende in Donaueschi­ngen geboren, aber Zweiter Weltkrieg und Nationalso­zialismus wurden für ihn – wie für viele Künstler seiner Generation – zum zentralen Thema. Kiefer studierte an den Kunstakade­mien von Freiburg und Karlsruhe und begann seine Karriere mit einem Skandal: Er reiste durch Europa und fotografie­rte sich an verschiede­nsten Ort beim Hitlergruß. Bald wurden Kiefers wichtigste Materialie­n Blei und Asche. So hängt vor dem riesigen Bild „Die große Fracht“(1981/1996) ein Flugzeug aus Blei. Die Leinwand ist mit nichts als grauer Farbe und dünnen weißen Streifen versehen – und doch meint man, winterlich­e Felder zu sehen, über denen der Krieg tobt.

In den vergangene­n Jahren hat Kiefer sich aber auch verstärkt mit der jüdischen und christlich­en Religion befasst, mit Mythen, Alchemie und Kosmologie, wobei diese Zusammenhä­nge für den Künstler wichtiger sind als für die Rezipiente­n. Letztlich existiert bei Anselm Kiefer eine Kluft zwischen dem komplexen theoretisc­hen oder mythischen Anspruch und den Werken selbst, die doch so unmittelba­r wirken und die Materialie­n selbst zum Sprechen bringen. So liegt in einem Saal eine riesige verdörrte Palme und ruft Themen wie Zerstörung und Vergänglic­hkeit auf, während sie für Kiefer ein Symbol für die Passion und das Martyrium Christi ist. Bei Kiefer sind die Materialie­n stets symbolisch aufgeladen. Das Blei steht für bleierne Schwere, aber auch für Transforma­tion. Vertrockne­te Samen stehen für den Neubeginn.

Die Mannheimer Ausstellun­g zeigt Werke aus der Sammlung von Hans Grothe. Der Duisburger Bauunterne­hmer, der 2019 gestorben ist, besaß die größte Kiefer-Sammlung weltweit, die er der Kunsthalle Mannheim schon vor mehreren Jahren als Dauerleihg­abe zur Verfügung stellte. Manches aus seiner Sammlung lässt verstehen, warum Kiefer oft Kitsch vorgeworfe­n wird. Gerade dort, wo er große existenzie­lle Themen aufruft wie Tod und Stille oder Himmel und Erde, läuft er immer wieder Gefahr, allzu pathetisch zu werden. So verspricht der Titel „Mutatuli“(1991) von lateinisch „mutilare“, verstümmel­n, zwar tieferen Sinn – die getrocknet­en Tulpen auf Bleigrund sind aber trotzdem einfach nur dekorativ.

Die Ausstellun­g in der Kunsthalle Mannheim ist bis 22. August zu sehen, Anmeldung möglich über www.kuma.art

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FOTO: KUNSTHALLE MANNHEIM Blick in den Ausstellun­gsraum, im Hintergrun­d das Bild „Der fruchtbare Halbmond“.

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