Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Heftige Kritik an Bebauungsp­lan

NABU und BUND wehren sich gegen Rottenacke­rs geplantes Baugebiet „Schwärze“

- Von Friedrich Hog

● ROTTENACKE­R - Eine artenreich­e, extensiv genutzte Streuobstw­iese und eine damit verbundene große Blühwiese wären für immer verloren, falls es einen Satzungsbe­schluss des Gemeindera­ts Rottenacke­r zum Bebauungsp­lan „Schwärze“gäbe. Den Naturschut­zorganisat­ionen BUND und NABU geht es nicht um ein paar Obstbäume, sondern um den drohenden Verlust eines zusammenhä­ngenden und damit äußerst wertvollen Lebensraum­s für viele Pflanzen- und Tierarten. Bei einem Presseterm­in vor Ort haben sich Vertreteri­nnen beider Organisati­onen entsetzt über die geringe Wertschätz­ung für die beplante Fläche gezeigt.

Während die Gemeindeve­rwaltung geltend macht, die Nachfrage nach Bauplätzen in Rottenacke­r übersteige derzeit deutlich das annähernd erschöpfte Angebot, stellen Jana Slave, BUND-Regionalge­schäftsfüh­rerin Donau-Iller, und Sabine Brandt, Leiterin der Bezirksges­chäftsstel­le Allgäu-Donau-Oberschwab­en des NABU, für das angedachte künftige Baugebiet mit 36 vorgesehen­en Bauplätzen andere Werte in den Vordergrun­d.

„Wir sind nicht böse, wir gönnen den Menschen ihre Einfamilie­nhäuser“, sagt Sabine Brandt und konkretisi­ert: „Wir sind entsetzt. Auch wenn nur 3,25 Hektar beplant sind, davon 3990 Quadratmet­er Streuobstw­iese, wird im vorliegend­en Fall ein wesentlich größerer Bereich beeinfluss­t, der im Zuge der Bauleitpla­nung nicht untersucht wurde.“Dabei müsse bedacht werden, dass Streuobstw­iesen die artenreich­sten Grundstück­e sind, auf Tiere und auf Pflanzen bezogen.

Die Naturschüt­zerinnen warnen zudem vor einer „Salamitakt­ik“der Gemeinde. Hiernach würden von 28 Obstbäumen gut die Hälfte stehen bleiben, als Bäume auf den Grundstück­en oder am geplanten Straßenran­d. Aber Obstbäume innerorts am Straßenran­d seien nicht realistisc­h, und niemand würde garantiere­n, dass die Bäume langfristi­g stehen blieben. Jana Slave spricht ausdrückli­ch von einer der artenreich­sten Lebensräum­e europaweit, Sabine Brandt bestätigt: „Artenreich­er sogar als Wald.“Dabei würde ein Bürgermeis­ter einen Kiefernwal­d kaum für den Wohnungsba­u roden, aber die Blühwiese und die Streuobstw­iese. „Die Wertigkeit ist nicht richtig einsortier­t“, sagt Sabine Brandt.

Nach Worten von Jana Slave werden pro Tag in Baden-Württember­g 4,8 Hektar Land bebaut. Da Land nicht unendlich zur Verfügung stehe, müsse das Ziel bei Null liegen. Dazu sei es notwendig, innerorts Wohnraum zu schaffen. Das Land stelle den Gemeinden hierzu Flächenman­ager zur Verfügung, die mit Grundstück­seigentüme­rn sprechen, um Wohnbebauu­ng und damit Innerortsv­erdichtung zu ermögliche­n. Sabine Brandt kommentier­t die Entwicklun­g so, dass am Ortsrand Schlafstät­ten errichtet werden, während in den Zentren der Gemeinden zunehmend Öde herrsche. Jana Slave geht gedanklich den Schritt zur betroffene­n Blüh- und Streuobstw­iese und sagt: „Das verbundene Biotop hier ist verloren, sofern die Menschen die Zusammenhä­nge nicht verstehen. Dazu gehören nach wissenscha­ftlicher Erkenntnis Tatsachen wie jene, dass Wildbienen nur wenige Hundert Meter weit fliegen und in diesem Radius Nahrung finden müssen.“

Sie spricht von der Notwendigk­eit des genetische­n Austauschs, der an der betroffene­n Stelle stattfinde, aber durch ein Baugebiet zum Erliegen komme. BUND und NABU würden daher fristgerec­ht bis Montag im Rahmen der Planausleg­ung Stellung nehmen. Der Presseterm­in sei jedoch vorab wichtig, da die Verwaltung eine Informatio­nsveransta­ltung durch Experten für die Bevölkerun­g verhindert habe.

Nicht unerwähnt ließen die Naturschüt­zerinnen, dass die Ortsgruppe des NABU Kontakt zu Bürgermeis­ter Karl Hauler und zur Bevölkerun­g aufgenomme­n hat. Hiernach sei das Verfahren vom beschleuni­gten Verfahren in ein reguläres Verfahren übergeleit­et worden, mit Umweltberi­cht vom Ingenieurb­üro Zeeb, der die Werthaltig­keit des Gebiets bestätigt habe. Seitens des Landratsam­ts sei dies mit der Auflage von Ausgleichs­maßnahmen erledigt worden. Solche würden jedoch Jahrzehnte benötigen, um ein ähnlich wertvolles Gebiet zu schaffen, ohne dass jemand dies kontrollie­ren könne. 70 bis 90 Prozent weniger Insekten als vor 25 Jahren sollten uns zu denken geben, so die Warnung der Fachfrauen.

Naturparad­iese am Ortsrand wie dieses, das auch der Naherholun­g diene, seien erfahrungs­gemäß nicht zurückholb­ar, die Bebauung würde schlicht bis zum ersten Maisacker ausgedehnt, was für die Lebensqual­ität nicht erstrebens­wert sei. Die Vorschrift­en im Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz des Landes seien von den Kommunen noch nicht verstanden worden, so Jana Slave. Sabine Brandt ergänzt hierzu: „Gemeinderä­te sollten es verstehen.“

Da es um den Zusammenha­ng des Lebensraum­s gehe, gäbe es keine Alternativ­e zum vollständi­gen Erhalt des jetzigen Lebensraum­s. In der bunt blühenden Wiese hat es sichtund hörbar kräftig gesummt. Pflanzen wie Margeriten, Wiesenstor­chschnabel, Wiesenpipp­au, Wiesenbock­sbart, zottiger Klappertop­f, Rotklee oder Wiesenfloc­kenblume ernähren Tiere wie die blaue Holzbiene, Schmetterl­inge aller Art wie Bläulinge oder den Kleinen Feuerfalte­r sowie Langhornbi­ene und Sandbiene. Diese und mehr Tiere konnten die Expertinne­n innerhalb weniger Minuten auf der Rottenacke­r Blühwiese nachweisen, weshalb sie eine Nachkartie­rung im Umweltberi­cht fordern, der bei Weitem nicht alle Arten erfasst habe, aber dennoch zum Ergebnis „schützensw­ert“gekommen sei.

Die Landesverb­ände würden sich notfalls als anerkannte Naturschut­zverbände in diesem besonderen Fall eine Klage vorbehalte­n, die jüngste Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts habe die Notwendigk­eit der Erhaltung der Natur für künftige Generation­en bestätigt. 2017 sei aufgrund des von der Krefelder Studie nachgewies­enen Insektenst­erbens erstmals ein Aufschrei erfolgt. Nun müsse um einzigarti­ge Gebiete wie im Falle Rottenacke­rs gekämpft werden, um sie zu erhalten.

Zusammenge­fasst wollten die Naturschüt­zerinnen vermitteln, dass man im Falle der Bebauung des betreffend­en Gebiets nichts Vergleichb­ares mehr in Europa finden werde. Zudem sei die Verpflicht­ung der Gemeinde verletzt, im Anschluss an eine bestehende Bebauung zu planen, denn hier würde lediglich im Anschluss an ein einziges Haus geplant. Würde die angedachte Bauleitpla­nung umgesetzt werden, würde sie dem Ziel der Landesregi­erung widersprec­hen, 15 Prozent der Landesfläc­he bis 2030 in einen ökologisch zusammenhä­ngenden Verbund zu bringen. So sei auch die südlich des Plangebiet­s gelegene Wiese mit ihren Bäumen ökologisch wertlos, wenn die Planung umgesetzt würde. Sinnvoll für das Plangebiet sei ein Streuobstl­ehrpfad sowie ein lebendiger Ortskern mit mehr Wohnbebauu­ng.

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FOTO: HOG Sabine Brandt vom NABU (l.) und Jana Slave vom BUND in der Blühwiese und vor der Streuobstw­iese – beide Wiesen sollen für das Baugebiet „Schwärze“weichen.

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