Heftige Kritik an Bebauungsplan
NABU und BUND wehren sich gegen Rottenackers geplantes Baugebiet „Schwärze“
● ROTTENACKER - Eine artenreiche, extensiv genutzte Streuobstwiese und eine damit verbundene große Blühwiese wären für immer verloren, falls es einen Satzungsbeschluss des Gemeinderats Rottenacker zum Bebauungsplan „Schwärze“gäbe. Den Naturschutzorganisationen BUND und NABU geht es nicht um ein paar Obstbäume, sondern um den drohenden Verlust eines zusammenhängenden und damit äußerst wertvollen Lebensraums für viele Pflanzen- und Tierarten. Bei einem Pressetermin vor Ort haben sich Vertreterinnen beider Organisationen entsetzt über die geringe Wertschätzung für die beplante Fläche gezeigt.
Während die Gemeindeverwaltung geltend macht, die Nachfrage nach Bauplätzen in Rottenacker übersteige derzeit deutlich das annähernd erschöpfte Angebot, stellen Jana Slave, BUND-Regionalgeschäftsführerin Donau-Iller, und Sabine Brandt, Leiterin der Bezirksgeschäftsstelle Allgäu-Donau-Oberschwaben des NABU, für das angedachte künftige Baugebiet mit 36 vorgesehenen Bauplätzen andere Werte in den Vordergrund.
„Wir sind nicht böse, wir gönnen den Menschen ihre Einfamilienhäuser“, sagt Sabine Brandt und konkretisiert: „Wir sind entsetzt. Auch wenn nur 3,25 Hektar beplant sind, davon 3990 Quadratmeter Streuobstwiese, wird im vorliegenden Fall ein wesentlich größerer Bereich beeinflusst, der im Zuge der Bauleitplanung nicht untersucht wurde.“Dabei müsse bedacht werden, dass Streuobstwiesen die artenreichsten Grundstücke sind, auf Tiere und auf Pflanzen bezogen.
Die Naturschützerinnen warnen zudem vor einer „Salamitaktik“der Gemeinde. Hiernach würden von 28 Obstbäumen gut die Hälfte stehen bleiben, als Bäume auf den Grundstücken oder am geplanten Straßenrand. Aber Obstbäume innerorts am Straßenrand seien nicht realistisch, und niemand würde garantieren, dass die Bäume langfristig stehen blieben. Jana Slave spricht ausdrücklich von einer der artenreichsten Lebensräume europaweit, Sabine Brandt bestätigt: „Artenreicher sogar als Wald.“Dabei würde ein Bürgermeister einen Kiefernwald kaum für den Wohnungsbau roden, aber die Blühwiese und die Streuobstwiese. „Die Wertigkeit ist nicht richtig einsortiert“, sagt Sabine Brandt.
Nach Worten von Jana Slave werden pro Tag in Baden-Württemberg 4,8 Hektar Land bebaut. Da Land nicht unendlich zur Verfügung stehe, müsse das Ziel bei Null liegen. Dazu sei es notwendig, innerorts Wohnraum zu schaffen. Das Land stelle den Gemeinden hierzu Flächenmanager zur Verfügung, die mit Grundstückseigentümern sprechen, um Wohnbebauung und damit Innerortsverdichtung zu ermöglichen. Sabine Brandt kommentiert die Entwicklung so, dass am Ortsrand Schlafstätten errichtet werden, während in den Zentren der Gemeinden zunehmend Öde herrsche. Jana Slave geht gedanklich den Schritt zur betroffenen Blüh- und Streuobstwiese und sagt: „Das verbundene Biotop hier ist verloren, sofern die Menschen die Zusammenhänge nicht verstehen. Dazu gehören nach wissenschaftlicher Erkenntnis Tatsachen wie jene, dass Wildbienen nur wenige Hundert Meter weit fliegen und in diesem Radius Nahrung finden müssen.“
Sie spricht von der Notwendigkeit des genetischen Austauschs, der an der betroffenen Stelle stattfinde, aber durch ein Baugebiet zum Erliegen komme. BUND und NABU würden daher fristgerecht bis Montag im Rahmen der Planauslegung Stellung nehmen. Der Pressetermin sei jedoch vorab wichtig, da die Verwaltung eine Informationsveranstaltung durch Experten für die Bevölkerung verhindert habe.
Nicht unerwähnt ließen die Naturschützerinnen, dass die Ortsgruppe des NABU Kontakt zu Bürgermeister Karl Hauler und zur Bevölkerung aufgenommen hat. Hiernach sei das Verfahren vom beschleunigten Verfahren in ein reguläres Verfahren übergeleitet worden, mit Umweltbericht vom Ingenieurbüro Zeeb, der die Werthaltigkeit des Gebiets bestätigt habe. Seitens des Landratsamts sei dies mit der Auflage von Ausgleichsmaßnahmen erledigt worden. Solche würden jedoch Jahrzehnte benötigen, um ein ähnlich wertvolles Gebiet zu schaffen, ohne dass jemand dies kontrollieren könne. 70 bis 90 Prozent weniger Insekten als vor 25 Jahren sollten uns zu denken geben, so die Warnung der Fachfrauen.
Naturparadiese am Ortsrand wie dieses, das auch der Naherholung diene, seien erfahrungsgemäß nicht zurückholbar, die Bebauung würde schlicht bis zum ersten Maisacker ausgedehnt, was für die Lebensqualität nicht erstrebenswert sei. Die Vorschriften im Biodiversitätsstärkungsgesetz des Landes seien von den Kommunen noch nicht verstanden worden, so Jana Slave. Sabine Brandt ergänzt hierzu: „Gemeinderäte sollten es verstehen.“
Da es um den Zusammenhang des Lebensraums gehe, gäbe es keine Alternative zum vollständigen Erhalt des jetzigen Lebensraums. In der bunt blühenden Wiese hat es sichtund hörbar kräftig gesummt. Pflanzen wie Margeriten, Wiesenstorchschnabel, Wiesenpippau, Wiesenbocksbart, zottiger Klappertopf, Rotklee oder Wiesenflockenblume ernähren Tiere wie die blaue Holzbiene, Schmetterlinge aller Art wie Bläulinge oder den Kleinen Feuerfalter sowie Langhornbiene und Sandbiene. Diese und mehr Tiere konnten die Expertinnen innerhalb weniger Minuten auf der Rottenacker Blühwiese nachweisen, weshalb sie eine Nachkartierung im Umweltbericht fordern, der bei Weitem nicht alle Arten erfasst habe, aber dennoch zum Ergebnis „schützenswert“gekommen sei.
Die Landesverbände würden sich notfalls als anerkannte Naturschutzverbände in diesem besonderen Fall eine Klage vorbehalten, die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts habe die Notwendigkeit der Erhaltung der Natur für künftige Generationen bestätigt. 2017 sei aufgrund des von der Krefelder Studie nachgewiesenen Insektensterbens erstmals ein Aufschrei erfolgt. Nun müsse um einzigartige Gebiete wie im Falle Rottenackers gekämpft werden, um sie zu erhalten.
Zusammengefasst wollten die Naturschützerinnen vermitteln, dass man im Falle der Bebauung des betreffenden Gebiets nichts Vergleichbares mehr in Europa finden werde. Zudem sei die Verpflichtung der Gemeinde verletzt, im Anschluss an eine bestehende Bebauung zu planen, denn hier würde lediglich im Anschluss an ein einziges Haus geplant. Würde die angedachte Bauleitplanung umgesetzt werden, würde sie dem Ziel der Landesregierung widersprechen, 15 Prozent der Landesfläche bis 2030 in einen ökologisch zusammenhängenden Verbund zu bringen. So sei auch die südlich des Plangebiets gelegene Wiese mit ihren Bäumen ökologisch wertlos, wenn die Planung umgesetzt würde. Sinnvoll für das Plangebiet sei ein Streuobstlehrpfad sowie ein lebendiger Ortskern mit mehr Wohnbebauung.