Massive Kritik an Boehringer Ingelheim
Das wirft der Landesnaturschutzverband der Firma in Ochsenhausen vor
● OCHSENHAUSEN - Der Landesnaturschutzverband (LNV) kritisiert in einer Pressemeldung die Firma Boehringer Ingelheim Therapeutics (vormals Labor Dr. Merk) für ihr Vorgehen bei der Umsetzung von ökologischen Ausgleichsmaßnahmen. Dabei wirft der Verband der Ochsenhauser Firma sogar Verstöße gegen das Bundesnaturschutzgesetz vor und schreibt: „Es zeichnet sich offenkundig ab, dass die Projektträger sich über pragmatische Erkenntnisse und gesetzliche Hürden hinwegsetzen wollen.“
Das Unternehmen hatte Ende April Maßnahmen zur ökologischen Aufwertung einer etwa 1500 Quadratmeter großen Fläche umgesetzt. So wurden Löcher gegraben, Steinriegel und kleine Sandgruben angelegt und Totholz verteilt. Das Gelände, auf dem das passierte, gehört der Firma und befindet sich ein Stück vom Firmengebäude entfernt im Norden. Mit den Maßnahmen sollte ein neuer Lebensraum vor allem für drei bedrohte Tierarten geschaffen werden. „Wir haben drei Arten im Fokus: die Gelbbauchunke, die Zauneidechse und den Nachtkerzenschwärmer“, sagte damals Evelyn Wuttke im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Wuttke leitet bei Boehringer Ingelheim das Team Umweltschutz.
Hintergrund der Maßnahmen sind die Erweiterungspläne von Boehringer Ingelheim am bisherigen Firmenstandort am nördlichen Rand von Ochsenhausen. Zauneidechsen und Gelbbauchunken leben in dem Gebiet, auf dem zukünftig gebaut werden soll. Geplant ist, dass die Tiere vor Beginn der Bauarbeiten dazu gebracht werden, in ihren neuen Lebensraum umzuziehen. „Vergrämen“nennen Biologen das.
Dass das gelingen wird, bezweifelt der Landesnaturschutzverband in der Pressemeldung. „Zusammen mit der angrenzenden extensiven Wiese bis zu den Gleisen der Öchslebahn ist der Erweiterungsbereich auf 17 000 Quadratmeter angestammter Lebensraum von zahlreichen Insektenarten, Grasfröschen, Wasserfröschen, Erdkröten, Bergund Teichmolchen sowie der europarechtlich streng geschützten Zauneidechse, Gelbbauchunke und des Nachtkerzenschwärmers“, heißt es in der Meldung.
Diese Arten sollen „nach den Vorstellungen des neuen Firmeninhabers Boehringer Therapeutics auf eine nur 1500 Quadratmeter große Ausgleichsfläche unmittelbar nördlich des Erweiterungsbereichs umziehen“. „Allein durch die räumliche Enge zwischen Erweiterungsbereich, Schrebergärten und Bahnlinie sowie Störungen, die von den Schrebergärten ausgehen, bleiben die Populationen vor allem der streng geschützten Arten höchst gefährdet, wenn der angestammte Lebensraum baulich beansprucht wird. Ein Unterfangen, das nach Erfahrungen von kundigen Praktikern nicht gelingen wird“, schreibt Rainer Schick als Vertreter des LNV.
Der LNV kritisiert in der Meldung vor allem den aus seiner Sicht zu späten Baubeginn. „Bereits der kurzfristig angekündigte Zeitpunkt der Maßnahmen ab dem 26. April zur dauerhaften ökologischen Funktion und Sicherung des Erhaltungszustands der lokalen Populationen ist im Hinblick auf den geplanten Baubeginn zu spät gewählt.“CEF-Maßnahmen und Sekundärbiotope dürften nicht zu frisch angelegt sein, sagt der LNV. CEF ist eine Abkürzung und steht englisch für„measures that ensure the continued ecological functionality“, also Maßnahmen, die ein dauerhaftes ökologisches Funktionieren sichern. „Sie brauchen viel Zeit für dynamische artspezifischen Entwicklungen. Nach guter naturschutzfachlicher Praxis ist es üblich, keine vorbereitenden Maßnahmen aus Artenschutzgründen während der Fortpflanzungs-, Aufzucht- und Vegetationsperiode auszuführen und keine Eingriffe in offene Wasserflächen zu veranlassen“, so der LNV.
Diese Kritik weist Boehringer Ingelheim zurück. „Dieser Vorwurf ist unberechtigt“, sagt Geschäftsführerin Dr. Ingrid Rapp auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Die Entwicklung eines Ersatzhabitats, also Ersatzlebensraums, für bestimmte Arten und die spätere Umsiedlung der Tiere sei Teil des naturschutzfachlichen Gesamtkonzepts. „Zutreffend weist der LNV darauf hin, dass Ersatzhabitate nicht nur ,frisch’ angelegt, sondern auch entwickelt sein müssen, um die notwendigen Habitatvoraussetzungen zu erfüllen.“Genau dies sei der Grund dafür, dass bereits jetzt mit der Anlage und der Entwicklung des Ersatzhabitats begonnen wurde, sagt Rapp.
Doch der LNV geht in seiner Kritik noch weiter und wirft Boehringer Ingelheim Gesetzesverstöße vor.
Der Verband weist darauf hin, dass der Ochsenhauser Gemeinderat den für das Bauvorhaben notwendigen Bebauungsplan noch nicht beschlossen habe, und schlussfolgert daraus: „Nachdem die Satzung und der Umweltbericht den unumgänglichen ökologischen Ausgleich für den Eingriff in Natur und Landschaft regeln sollen, fehlt demzufolge die Rechtsgrundlage für die Umsetzung der CEF-Maßnahmen.“
Zudem führt der Verband in der Pressemeldung an, dass laut Zeitungsbericht Zauneidechsen „in ihrem Nahrungshabitat vor Maßnahmenbeginn unterwegs“gewesen seien. „Offensichtlich ist es auch der ökologischen Baubegleitung nicht gelungen, die Tiere zu vergrämen. Es wurden zum Beispiel keine Schutzoder Fangzäune eingesetzt. Der Maßnahmenbeginn hat somit Verbotstatbestände nach Paragraf 39 und 44 Bundesnaturschutzgesetz ausgelöst, die nicht mit dem zuständigen Naturschutzreferat beim Regierungspräsidium abgestimmt wurden“, schreibt Schick in der Meldung.
Dieser Darstellung widerspricht Boehringer Ingelheim. „Auch diese Kritik ist unberechtigt“, sagt Rapp. „Bislang wurden keine Tiere umgesiedelt. Stattdessen wurde mit der Entwicklung einer geeigneten Ersatzhabitatfläche begonnen, in die die Tiere zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden sollen“, sagt Rapp. „Auf der Fläche, auf der das Ersatzhabitat entwickelt wird, waren während der Arbeiten nachweislich keine Eidechsenvorkommen vorhanden. Vergrämungsmaßnahmen oder das Aufstellen von Schutzzäunen waren daher insoweit weder notwendig noch sinnvoll.“Die Geschäftsführerin betont, dass alle Maßnahmen in enger Abstimmung mit den Umweltgutachtern und den zuständigen Behörden durchgeführt wurden und werden. „Daher sind Vorwürfe, es würde ohne Abstimmung mit den Behörden und ohne Rechtsgrundlage gehandelt, ebenso unberechtigt wie die Behauptung, es würden artenschutzrechtliche Verbotstatbestände verletzt“, so Rapp. „Im Gegenteil: Die von uns durchgeführten Maßnahmen dienen dazu, den Eintritt artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände sicher zu vermeiden.“
Die Rechtmäßigkeit des Vorgehens von Boehringer Ingelheim bestätigt die Untere Naturschutzbehörde. „Die Firma Boehringer-Ingelheim hat auf ihrem Grundstück ein Ersatzhabitat im Vorgriff eines später erfolgenden Eingriffs angelegt – das ist rechtlich zulässig“, teilt die Behörde mit. Vergrämungsmaßnahmen hätten nach Kenntnis der Behörde keine stattgefunden, „da dies aufgrund der fehlenden Planungsreife nicht möglich ist und somit ist auch keine Abstimmung mit dem Naturschutzreferat beim Regierungspräsidium Tübingen erforderlich geworden“, erläutert die Naturschutzbehörde.
Die Kritik des LNV an den Maßnahmen von Boehringer Ingelheim weist die Behörde ausdrücklich zurück: „Die Konflikt vermeidenden Maßnahmen und die vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen für den Artenschutz sind art- und flächenbezogen entsprechend ausreichend und zielführend. Auch dies wurde als Teil der vorhandenen Gutachten bestätigt. Die festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen gewährleisten vollumfänglich die Kompensation des baulichen Eingriffs und sind deshalb nicht nur nicht zu beanstanden, sondern zu begrüßen. Das gilt auch in zeitlicher Hinsicht.“