Abgang nach tiefer Enttäuschung
I● n Kardinal Reinhard Marx übernimmt erstmals ohne Druck von außen eine der prägenden Persönlichkeiten der deutschen katholischen Kirche souverän Verantwortung für den Missbrauchsskandal sowie die schleppende und zu kurz greifende, weil rein in juristischen Kategorien angelegte Aufarbeitung. Marx hat – soweit heute bekannt ist – keine persönliche Schuld auf sich geladen, hat nicht vertuscht oder Aufarbeitung verhindert. Aber er war Verantwortlicher im System Kirche, das in großem Stil versagt.
Wenn ein so selbstbewusster Mann wie Marx aufgibt, muss die persönliche Resignation und auch die Enttäuschung über konflikt-, reformund führungsunfähige Kollegen im Bischofsamt überwältigend sein. Ebenso die Unzufriedenheit über den Papst, der Reformen blockiert, die Marx als Mitglied im Kardinalsrat fordert. Und der Frust darüber, dass der Reformprozess des Synodalen Weges in einer Sackgasse zu enden droht.
Die Kirche in Deutschland, deren Frontmann Marx lange war, ist mit ihrem intellektuell verbrämten Hang zur Selbstbeschäftigung gescheitert. Die Bischöfe und auch die Laien im Zentralkomitee der deutschen Katholiken irren, wenn sie glauben, mit Strukturfragen den fortschreitenden Bedeutungsverlust aufhalten zu können. Sie versuchen, mit Thesenpapieren statt mit dem Evangelium die Botschaft Jesu Christi zu verbreiten.
In Marx geht der falsche Bischof: Seine Begründung für den Amtsverzicht liest sich wie eine Anklage gegen Kardinal Rainer Maria Woelki, der trotz massiver Kritik wegen seiner Rolle im Kölner Missbrauchsskandal persönliche Konsequenzen ablehnt: Woelki beruft sich stattdessen auf seine juristische Unschuld, statt in moralischen oder theologischen Kategorien zu handeln. Der Druck auf Woelki, persönlich Verantwortung für den Skandal zu übernehmen, erhöht sich stündlich.
Ein „Totpunkt“in der Kirche sei erreicht, schreibt Marx und hofft, daraus möge ein „Wendepunkt“werden. Zum Wendepunkt im Missbrauchsskandal muss es kommen. Ein anderer Wendepunkt ist zu befürchten: Ohne den Reformer Marx werden Traditionalisten und Bewahrer jeden Reformprozess stoppen.