Die Deiche brechen
In Frankreich streiten die Republikaner über ihr Verhältnis zur Rechtspopulistin Marine Le Pen
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PARIS - Die französischen Konservativen rücken an die Rechtspopulisten heran. Profitieren dürfte davon vor allem Marine Le Pen.
Im Büro von Christian Jacob hängt ein Foto von Altpräsident Jacques Chirac. Es dürfte den Chef der französischen Konservativen an die guten alten Zeiten erinnern, als seine Partei Wahlsiege einfuhr und den Staatschef stellte. Mit mehr als 80 Prozent hatte Chirac 2002 die Stichwahl gegen den rechtsextremen Kandidaten JeanMarie Le Pen gewonnen. Knapp 20 Jahre später liegt Le Pens Tochter Marine in Umfragen fast gleichauf mit Amtsinhaber Emmanuel Macron. Die Republikaner, deren Vorsitzender Jacob ist, kommen in den Prognosen zur zweiten Runde der Wahlen 2022 nicht mehr vor.
Ein Grund für Politiker von Les Républicains (LR), sich zunehmend nach rechtsaußen zu orientieren. Parteivize Guillaume Peltier beispielsweise biedert sich Le Pens Rassemblement National an. Ganz ohne Scham betont er seine Nähe zu Robert Ménard, dem Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Béziers und Aushängeschild der Ultrarechten. In einem Interview macht sich Peltier auch eine Forderung des RN zu eigen, über Terroristen mit einer eigenen Gerichtsbarkeit zu urteilen, die keine Berufung zulässt und somit gegen die Prinzipien des Rechtsstaats verstößt. In der südfranzösischen Region Provence Alpes Côte d’Azur, wo Ende des Monats Regionalwahlen anstehen, will er den LR-Kandidaten nicht gegen den Vertreter des RN unterstützen. Die Deiche, die die Konservativen in den vergangenen Jahrzehnten gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen und ihre Partei errichteten, sind gebrochen.
Die Parteispitze verurteilt die Äußerungen Peltiers zwar, schließt ihn aber nicht aus ihren Reihen aus. „Seien wir sehr klar: Es gibt sowohl in der Art als auch in den Werten einen Unterschied zwischen dem Rassemblement National und uns“, sagt Fraktionschef Damien Abad im „Figaro“. „Je mehr wir Richtung RN winken, desto mehr werden wir in der öffentlichen Meinung verlieren“, warnt er. Doch auch andere LR-Vertreter senden Signale Richtung Rassemblement National aus. Beispielsweise der stramm rechtskonservative Präsident der Region Auvergne-RhôneAlpes, Laurent Wauquiez, der den örtlichen RN-Vertreter umwirbt. „Uns eint derselbe Wille, das Land wieder aufzurichten“, sagt der einstige Parteichef. „Ich bin überzeugt, dass das in unserer Region beginnen kann.“Der konservative Abgeordnete Eric Ciotti sieht den Unterschied zwischen den Republikanern und dem Rassemblement National nur noch darin, dass seine Partei regieren könne.
Für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr haben die Républicains, Schwesterpartei der CDU, noch keinen Kandidaten aufgestellt.
Erst nach den Regionalwahlen soll die Nominierung erfolgen, für die es kaum aussichtsreiche Bewerber gibt. Die Partei hat sich immer noch nicht von dem Schlag erholt, den sie 2017 erlitt, als ihr Kandidat François Fillon in der ersten Runde ausschied, nachdem er in eine Bereicherungsaffäre verwickelt war. Nach seinem Wahlsieg holte sich Macron prominente Vertreter der Konservativen wie Wirtschaftsminister Bruno Le Maire oder Ex-Premierminister Edouard Philippe in sein Kabinett und schwächte die Partei massiv. Auch für die nächste Wahl fischt der Staatschef im Teich der Republikaner, indem er bewusst auf Themen setzt, die zur Kernkompetenz der Konservativen gehören.
Auch Le Pen muss einen Teil der konservativen Wählerschaft überzeugen, wenn sie 2022 gewinnen will. Die 52-Jährige gibt sich ein moderates Image und bietet an, die während der Corona-Pandemie gemachten Schulden zurückzuzahlen. „Ich bin überzeugt, dass die Kohärenz meines Projekts den Wählern von LR perfekt zusagen kann“, warb sie Anfang April. Den Richtungsstreit bei den Republikanern dürfte die RNChefin mit Genugtuung beobachten. Stärkt er doch ihre Position als einzige ernst zu nehmende Gegnerin Macrons. Die Umfragen geben ihr recht: 33 Prozent der Befragten sagten im Januar, dass Le Pen die Opposition gegen Macron am besten verkörpere. Die Republikaner landeten mit 23 Prozent weit dahinter.