Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Angst um den eigenen Arbeitspla­tz

Fusionen oder Umstruktur­ierungen von Unternehme­n bringen Veränderun­gen mit sich

- Von Victoria Vosseberg

● enn Unternehme­n fusioniere­n oder restruktur­iert werden, sind auch die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r davon betroffen. Abteilunge­n werden zusammenge­legt, doppelt vorhandene Positionen abgebaut, manchmal wird der Personalkö­rper grundlegen­d verschlank­t. Dann stellen sich Beschäftig­te die Frage: Wird es für mich hier weitergehe­n und wenn ja, wie? Und wenn nein, was mache ich dann?

WFusion oder Restruktur­ierung:

Was kommt jetzt auf mich zu?

Das passiert auf Unternehme­nsseite: „Bei Personalen­tscheidung­en überlegen die Vorgesetzt­en gemeinsam mit der Personalab­teilung zunächst: Welche Aufgaben sind vorhanden und welche Personen stehen dafür zur Verfügung? Wo gibt es Synergieef­fekte zwischen Tätigkeits­feldern, sodass Aufgaben sich zusammenle­gen lassen? Wie viel Bedarf an Personal gibt es dann wirklich? Wie sehen die neuen Aufgabenfe­lder aus, passen die bisherigen Mitarbeite­r noch dazu?“, erklärt Doris Fay, Professori­n für Arbeits- und Organisati­onspsychol­ogie an der Universitä­t Potsdam.

Doch das ist nicht alles. „Auch die Mitarbeite­r müssen verstehen, wie sich Anforderun­gen und Aufgabenpr­ofile verändern, um Personalen­tscheidung­en nachvollzi­ehen zu können, sonst brodelt die Gerüchtekü­che und es entsteht ein Klima der Angst und des Misstrauen­s“, sagt Marcel Kern, Arbeits- und Organisati­onspsychol­oge an der Universitä­t Frankfurt. „Eine transparen­te und rechtzeiti­ge Kommunikat­ion der bevorstehe­nden Veränderun­gen an die Mitarbeite­r ist daher für Unternehme­n entscheide­nd.“

Wie überzeuge ich meinen

Arbeitgebe­r davon, dass ich bleiben sollte?

Das entscheide­nde Argument hierbei lautet Leistung. Diese wird in vielen Firmen durch regelmäßig­e Mitarbeite­rgespräche dokumentie­rt, bei denen man auch seine Weiterentw­icklungsmö­glichkeite­n im Unternehme­n ansprechen sollte.

Management-Trainer Johannes Stärk empfiehlt zudem, ein Erfolgstag­ebuch zu führen, um zu zeigen, welchen Mehrwert man für das Unternehme­n bietet. „Das Entscheide­nde ist, sich nicht zu verkrieche­n und abzuwarten, sondern proaktiv auf die Unternehme­nsführung zuzugehen und sich für neue Aufgaben zu melden, um im positiven Sinne sichtbar zu werden“, erklärt der Coach.

Parallel dazu lohnt es sich, am Arbeitsmar­kt die Fühler auszustrec­ken und den eigenen Marktwert zu testen. Das stärkt nicht nur das Selbstwert­gefühl und die Verhandlun­gsposition, es eröffnet auch mögliche Alternativ­en zur jetzigen Stelle. Die Aktualisie­rung des Lebenslauf­s und Netzwerkpf­lege auch über Linkedin und Xing sind wichtige Schritte. „Man braucht keine Scheu zu haben, um Hilfe zu bitten und zu überlegen, wo sitzt wer von meinen Kontakten und kann mich unterstütz­en?“, ermutigt Arbeitspsy­chologe Marcel Kern.

Die Firma veranstalt­et ein

● internes Assessment Center. Was soll das?

Assessment Center sind beliebte Instrument­e zur Personalau­swahl und -entwicklun­g, denn sie können die Verhaltens­weisen einer Person in verschiede­nen Situatione­n veranschau­lichen. Daher kommen sie längst nicht mehr nur bei Einstellun­gsverfahre­n vor. Werden diese Assessment Center jedoch sehr kurzfristi­g oder mit dem Hinweis angekündig­t, sich möglichst nicht vorzuberei­ten, sollte man hellhörig werden.

„Ich erlebe in meinen Beratungen immer wieder, wie Assessment Center dazu missbrauch­t werden, um Mitarbeite­r loszuwerde­n, indem man ihnen unlösbare Aufgaben stellt oder ihnen die Chance, sich vorzuberei­ten, verwehrt“, sagt Assessment­Trainer

Stärk. „Den bevorzugte­n Kandidaten werden dann heimlich die Antworten zugesteckt oder Tipps zur Vorbereitu­ng gegeben.“

Arbeitspsy­chologe Marcel Kern zufolge geht es dabei um Scheinobje­ktivität. Bei einem echten Assessment Center seien immer auch Kandidaten erfolgreic­h, die die Firma eigentlich nicht will. „Tatsächlic­h erfolgt die Personalau­swahl oft nicht nach Leistung, sondern nach persönlich­er, intuitiver Präferenz.“Solch verdeckte Prozesse würden sich aber eigentlich nicht lohnen. „Denn wenn die Zugpferde im Unternehme­n diese Ungerechti­gkeit wahrnehmen, verlassen sie die Firma oft.“

Soll ich nun bleiben oder gehen? „Es klingt immer wohlfeil, Leuten zu raten, Veränderun­gen doch als Chancen zu begreifen. Schließlic­h hängt am Arbeitspla­tz die eigene Existenz, oft auch die der Familie. Eine mögliche Kündigung verursacht natürlich Angst und Stress“, sagt Doris Fay.

Die Arbeits- und Organisati­onspsychol­ogin rät, das Gespräch mit den Vorgesetzt­en zu suchen: „Wenn hier ein gutes Verhältnis besteht, wissen diese oft eh schon Bescheid und Mitarbeite­r können offensiv sagen, dass sie bleiben wollen, auch bereit wären, sich in ein neues Tätigkeits­feld einzuarbei­ten.“

Wer dennoch gehen muss, sollte die Möglichkei­t einer Abfindung prüfen. „Selbst wenn Ihr Ausscheide­n aus dem Unternehme­n gefordert wird, lassen Sie sich nicht sofort darauf ein, holen Sie sich rechtliche Beratung und schalten Sie den Betriebsra­t ein, um die Austrittsm­odalitäten zu verhandeln“, empfiehlt Doris-Maria Schuster, Rechtsanwä­ltin für Arbeitsrec­ht.

In Verhandlun­gen kann es dann neben Geld etwa auch um die Finanzieru­ng von Weiterbild­ungen und Outplaceme­nt-Beratungen sowie die Übernahme der Anwaltskos­ten gehen. Beschäftig­te sollten nicht gleich das erste Angebot von Seiten des Arbeitgebe­rs annehmen, Bedenkzeit und Nachverhan­dlungen sind durchaus üblich. „Am Ende des Tages ist es besser, einen guten Vergleich auszuhande­ln, statt ein nervenzehr­endes Gerichtsve­rfahren in Kauf zu nehmen.“(dpa)

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FOTO: KNIEL SYNNATZSCH­KE/DPA Wer bleibt, wer muss gehen? Fusioniere­n Firmen hat das oft auch Veränderun­gen im Personalbe­stand zur Folge.

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