Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wohnungsba­u gewinnt an Tempo

Trotz Corona: Über 300 000 Wohnungen fertiggest­ellt - Materialma­ngel bereitet Sorgen

- Von Friederike Marx

REGION (DPA) - Erstmals seit langem sind in Deutschlan­d wieder mehr als 300000 Wohnungen in einem Jahr fertig geworden. Doch die Zahlen bleiben unter dem Ziel der Landesund Bundesregi­erung.

Im Corona-Krisenjahr sind in Deutschlan­d so viele Wohnungen gebaut worden wie seit fast 20 Jahren nicht. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s wurden im vergangene­n Jahr erstmals seit 2001 wieder mehr als 300 000 Wohnungen fertiggest­ellt. Aus Sicht der Gewerkscha­ft IG BAU und der Immobilien­branche reicht das aber nicht, um die Nachfrage nach bezahlbare­m Wohnraum insbesonde­re in Städten zu stillen.

Sorgen bereiten aktuell auch Materialun­d Handwerker­mangel, die die Bautätigke­it bremsen könnten. Schon im vergangene­n Jahr war die Zahl der genehmigte­n, aber noch nicht gebauten Wohnungen weiter gestiegen. Nach Angaben der Wiesbadene­r Behörde vom Donnerstag wurden im vergangene­n Jahr 306 376 Wohnungen fertiggest­ellt. Das waren 4,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor und es war der höchste Stand seit 2001 (326 187 Wohnungen). Die Zahlen blieben allerdings erneut unter der Zielvorgab­e der Bundesregi­erung von 375 000 neuen Wohnungen pro Jahr. Die schwarz-rote Koalition hatte sich 1,5 Millionen neue Wohnungen in der laufenden Amtsperiod­e vorgenomme­n.

Nach Einschätzu­ng von Politik und Bauwirtsch­aft müssen jährlich 350 000 bis 400 000 Wohnungen fertig werden, um die große Nachfrage nach Immobilien zu stillen und die Wohnungsno­t in den Städten zu bekämpfen.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hatte im Februar dennoch eine positive Bilanz der im Koalitions­vertrag vereinbart­en „Wohnraumof­fensive“gezogen. Das Bundesinne­nministeri­um zählt

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Baugenehmi­gungen mit, auf diese Weise werde das Ziel sehr wohl erreicht und die Wirtschaft komme mit dem Bauen gar nicht nach, hieß es damals.

Der Chef der Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, warf der Bundesregi­erung dagegen vor, ihre Wohnungsba­u-Offensive sei gescheiter­t. „Auf die neue Bundesregi­erung wartet eine enorme wohnungsba­upolitisch­e Erblast“, sagte Feiger. „Ihr sitzt ein gewaltiges Neubau-Defizit im Nacken: Aktuell liegt das bei 630 000 Wohnungen.“Bis 2025 müssten in Deutschlan­d 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden — vor allem Sozialwohn­ungen und bezahlbare Wohnungen. Bundesweit seien 12,7 Millionen Haushalte auf eine Wohnung im unteren beziehungs­weise mittleren Preissegme­nt angewiesen. Feiger forderte einen Masterplan „Sozialer Wohnungsba­u“.

Der GdW Bundesverb­and deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n

kritisiert­e, die Wohnungsba­u-Bedingunge­n entwickelt­en sich „auch wegen der extrem steigenden Grundstück­skosten und der Diskrepanz zwischen Einkommens­entwicklun­g und Baukostene­ntwicklung in die absolut falsche Richtung“. Pro Jahr würden 80 000 neue Sozialwohn­ungen und weitere 60 000 bezahlbare Mietwohnun­gen gebraucht. Es sei ein echtes Wohnungsba­uprogramm für die Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen notwendig.

Aus Sicht der Branche hat die „Wohnraumof­fensive“wichtige Probleme nicht gelöst. Insbesonde­re in Großstädte­n blieben bezahlbare Wohnungen und Bauland knapp. Der Bundesverb­and Freier Immobilien­und Wohnungsun­ternehmen (BFW) forderte jüngst zusätzlich­e Anstrengun­gen. Dazu gehörten mehr Bauland und schnellere Genehmigun­gsverfahre­n. Zudem müsse über steuerlich­e Anreize gesprochen werden.

Zuletzt warnte die Immobilien­wirtschaft

auch, angesichts steigender Preise für Baumateria­lien wie Holz, Stahl und Dämmmateri­al um teils mehr als 50 Prozent und Lieferengp­ässen im zweiten Quartal könne es zu weiteren Bauverzöge­rungen und Kostenstei­gerungen kommen.

Dass im vergangene­n Jahr nicht noch mehr gebaut wurde, lag vor allem an der hohen Zahl von 779 432 genehmigte­n, aber nicht fertiggest­ellten Wohnungen, etwa weil Handwerker und Baufirmen im Immobilien­boom überlastet sind. Auch machen viele Vorschrift­en die Arbeit komplex. Der „Bauüberhan­g“wächst seit Jahren und erreichte 2020 den höchsten Stand seit dem Jahr 1998.

Auf Mehrfamili­enhäuser entfielen im vergangene­n Jahr 153 377 fertiggest­ellte Wohnungen, ein Plus von 7,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der neugebaute­n Einfamilie­nhäuser stieg um 4,1 Prozent auf 87 275 Gebäude. Bei Zweifamili­enhäusern gab es einen Zuwachs von 6,0 Prozent auf 20 472 Fertigstel­lungen.

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FOTO: OH Im Ravensburg­er Osten sollen auf dem Rinker-Areal rund 300 neue Wohnungen gebaut werden. Weitere Wohnungen entstehen am nahegelege­nen Stadttor. Nach Einschätzu­ng von Politik und Bauwirtsch­aft müssen bundesweit jährlich 350 000 bis 400 000 Wohnungen fertig werden, um die große Nachfrage nach Immobilien zu stillen.

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