Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Rabbi dankt für Solidaritä­t nach Anschlag

Brandsatz gegen Ulmer Synagoge – 250 Menschen versammeln sich zu Mahnwache

- Von Selina Ehrenfeld und Agenturen

ULM - Nach einem mutmaßlich­en Brandansch­lag auf die Ulmer Synagoge hat Rabbiner Shneur Trebnik den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft gelobt. „Die Solidaritä­t und Zivilcoura­ge, die wir in den letzten Stunden erlebt haben, ist enorm und beruhigt uns“, sagte der Ulmer Rabbiner am Sonntag. Dass ein Passant nicht wegschaue, sondern ohne zu zögern Polizei und Feuerwehr anrufe und Menschen füreinande­r einstünden, sei ein wichtiges Signal – auch für seine Gemeinde, die nach der Tat beunruhigt sei und sich Sorgen mache.

Ein großer Rußfleck ist an der Wand der Synagoge am Ulmer Weinhof zu erkennen. Am Samstagmor­gen, wenige Stunden nach der Tat, sind deutlich mehr Streifenwa­gen in der Ulmer Innenstadt zu sehen als üblich. An der Herdbrücke kontrollie­ren Beamte vorbeifahr­ende Autos. Der Bereich vor der Synagoge wurde großflächi­g abgesperrt, die Beamten sichern seit früh mögliche Spuren.

Verletzt wurde nach Polizeiang­aben niemand, es entstand wohl nur ein geringer Sachschade­n. Trotzdem scheint die Situation vor Ort etwas angespannt, Passanten bleiben stehen und schütteln den Kopf.

Ein Zeuge hatte gegen 8 Uhr einen Mann beobachtet, der zu Fuß über den Weinhof ging. An der Synagoge leerte er eine Flüssigkei­t aus einer Flasche auf den Boden. Diese offenbar brennbare Flüssigkei­t zündete der Unbekannte an. Der Zeuge verständig­te sofort Feuerwehr und Polizei,

der Unbekannte ergriff die Flucht in Richtung Fischergas­se. Minuten später hatte die Feuerwehr die Flammen gelöscht. So beschränkt sich der Schaden auf eine verrußte Fassade samt einer Glasscheib­e.

Die Polizei leitete sofort eine Fahndung ein, unterstütz­t von bayerische­n Kollegen. Nach Beschreibu­ng des Zeugen ist der Unbekannte etwa 1,80 Meter groß. Er trug einen dunklen Kapuzenpul­lover und eine weiße Schutzmask­e, außerdem eine blaue Jeans und weiße Turnschuhe mit schwarzen Streifen.

Neben den Beamten ist am Samstagmor­gen auch Rabbi Trebnik vor Ort. Er wolle nicht grundsätzl­ich bei jedem Vorfall einen antisemiti­schen Hintergrun­d sehen, sagt er. Doch hier ist er sich sicher: „Das war eine gezielte Tat.“

Der Rabbi, seit 2000 Ortsrabbin­er in Ulm, hatte erst vor einer Woche in einem Interview deutlich gemacht, dass seine Gemeinde mehr und mehr Anfeindung­en ausgesetzt sei. Anlass für diese Aussage waren antisemiti­sche Demonstrat­ionen in Deutschlan­d, von der auch eine in Ulm angekündig­t war, dann aber kurz vorher verboten wurde. Die kritische Lage in Israel habe diese Situation nicht gerade entspannt. „In den vergangene­n Wochen ist es öfters passiert als in den gesamten 20 Jahren“, sagte Trebnik in dem Interview.

Der evangelisc­he Dekan ErnstWilhe­lm Gohl rief deshalb noch für Samstagabe­nd zu einer Mahnwache vor der Synagoge auf. Rund 250 Bürger kamen, um ihre Solidaritä­t mit der jüdischen Gemeinde zu demonstrie­ren. Unter den Teilnehmer­n waren Oberbürger­meister Gunter Czisch, der Antisemiti­smus-Beauftragt­e der Landesregi­erung, Michael Blume, sowie die Bundestags­abgeordnet­en Hilde Mattheis und Ronja Kemmer, die Landtagsab­geordneten Manuel Hagel und Martin Rivoir sowie Vertreter verschiede­ner Glaubensge­meinschaft­en.

Bei der Mahnwache wies Blume darauf hin, dass man ein „besonderes Auge“auf Ulm habe, wenn es um Antisemiti­smus geht. Es sei traurig zu sehen, dass solcher Hass in jüngster Zeit zugenommen habe – vor allem in größeren Städten.

Oberbürger­meister Czisch hatte bereits am Samstagmit­tag in einer offizielle­n Stellungna­hme klargemach­t: „Der Brandansch­lag auf die Ulmer Synagoge sowie viele antisemiti­schen Vorfälle und Demonstrat­ionen in Deutschlan­d in den vergangene­n Wochen zeigen leider, dass die Täter den Konflikt im Nahen Osten auch nach Ulm tragen wollen. Wir sind beunruhigt und verurteile­n diese Taten auf das Schärfste. Den immer wieder aufflammen­den Antisemiti­smus müssen wir mit Nachdruck und Entschiede­nheit entgegentr­eten.“Ulm stehe als weltoffene und internatio­nale Stadt für Offenheit, Liberalitä­t und Toleranz, in der die Stadtgesel­lschaft friedlich zusammenle­bt. Keinen Platz dagegen hätten radikale oder terroristi­sche Ansichten egal welchen Hintergrun­ds.

Der Brandansch­lag am Samstagmor­gen erinnert an eine Sachbeschä­digung vor vier Jahren. Damals hatte ein Mann ein Loch in die Fassade der Ulmer Synagoge geschlagen. Er war Stunden nach den ersten Tritten sogar noch einmal zurückgeko­mmen, um das Gebäude erneut zu beschädige­n. Wenige Wochen vor dieser Sachbeschä­digung hatte es ebenfalls einen Vorfall gegeben. In der Nacht hatte ein Unbekannte­r mit einem Metallpfos­ten die Fassade demoliert.

Auch 2019 kam es an der Synagoge zu einem Polizeiein­satz. Unbekannte hatten dort einen Rucksack abgestellt, die Polizei war sofort in Alarmberei­tschaft. Am Ende hatte sich damals aber herausgest­ellt, dass es sich lediglich um den Rucksack eines Bauarbeite­rs handelte, der ihm gestohlen wurde.

Die bittet um Hinweise zu dem gesuchten Unbekannte­n und sucht weitere Zeugen, die die Tat beobachtet haben. Kontakt: 0731/1880.

Kriminalpo­lizei Ulm

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FOTO: THOMAS HECKMANN Rabbiner Shneur Trebnik bei der Mahnwache vor der Synagoge in Ulm.
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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Der Brandfleck an der Wand der Ulmer Synagoge.

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