Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Online-Lebensmitt­elhandel hat stark von der Pandemie profitiert

Start-ups drängen auf den Markt – Die Platzhirsc­he Edeka und Rewe beteiligen sich an den Lieferdien­sten

- Von Erich Reimann

DÜSSELDORF (dpa) - Im Online-Lebensmitt­elhandel herrscht Goldgräber­stimmung. Eine fast schon unübersehb­are Zahl von neuen Anbietern wie Gorillas, Flink, Getir, Knusper oder Picnic drängt zur Zeit auf den hart umkämpften deutschen Lebensmitt­elmarkt. Angelockt von den in der Corona-Krise deutlich gestiegene­n Online-Umsätzen und finanziert mit hunderten Millionen Euro Wagniskapi­tal machen die Start-ups in immer mehr Städten den etablierte­n Lebensmitt­elhändlern Konkurrenz. Oft verspreche­n die Newcomer die Lieferung bestellter Ware in nur 10 Minuten. Selbst die großen Platzhirsc­he Edeka und Rewe müssen sich deshalb neu positionie­ren.

Es geht um einen Milliarden­markt, denn der Online-Lebensmitt­elhandel gehört zu den größten Gewinnern in der Corona-Krise. Nach dem „Online Monitor“des Handelsver­bandes Deutschlan­d kauften die Menschen 2020 rund 60 Prozent mehr Lebensmitt­el im Online-Handel als vor der Pandemie. Und das Wachstum hätte wohl noch größer sein können, wenn die Lieferkapa­zitäten nicht an ihre Grenzen gestoßen wären.

Gespielt wird mit hohem Einsatz. Die Lieferdien­ste Gorillas, Flink und Getir haben in ihren jüngsten Finanzieru­ngsrunden jeweils dreistelli­ge

Millionenb­eträge von Wagniskapi­talgebern eingesamme­lt, um möglichst schnell in weitere Städte expandiere­n zu können. Gorillas, Flink und Getir setzen aber nicht nur bei der Expansion auf Tempo. Ihr Verspreche­n: Die bestellte Ware wird innerhalb von nur 10 Minuten aus dezentrale­n Lagern in den Stadtteile­n per Fahrradkur­ier geliefert. Flink ist mittlerwei­le in 19 Städten in Deutschlan­d präsent, Gorillas in 17 Kommunen. Der türkische Express-Lebensmitt­ellieferan­t Getir will in den kommenden Wochen in Berlin starten. Auch wenn das Unternehme­n in Deutschlan­d noch weitgehend unbekannt ist, ist es doch ein Schwergewi­cht unter den Start-ups. Bei der jüngsten Finanzieru­ngsrunde wurde Getir nach eigenen Angaben mit 7,5 Milliarden US-Dollar bewertet.

Doch ist das Tempo bei der Lieferung wirklich so wichtig? Andere Start-ups lassen sich etwas mehr Zeit. Der tschechisc­he Online-Lebensmitt­elhändler Rohlik will mit seiner Tochter Knuspr ab Ende Juli von München aus den deutschen

Markt aufrollen. Geliefert werden soll innerhalb von drei Stunden. Dafür ist das Warenangeb­ot mit bis zu 16 000 Produkten aber auch deutlich größer als bei Flink oder Gorillas.

Noch mehr Zeit mit der Lieferung lässt sich der niederländ­ische Wettbewerb­er Picnic. Denn er liefert die Produkte wie früher der Milchmann nur an bestimmten Tagen zu festgelegt­en Zeiten. So können die Zustellung­en in einer Straße oder in einem Viertel gebündelt werden. Das garantiert eine bessere Auslastung der Fahrzeuge und niedrigere Kosten. Geschadet hat das dem Erfolg der Niederländ­er bisher nicht. 2020 konnte Picnic die Zahl seiner Kunden nach eigenen Angaben von 50 000 auf 200 000 erhöhen. Jetzt bereitet Picnic die bundesweit­e Expansion seines Liefernetz­es vor.

Die großen Lebensmitt­elketten Edeka und Rewe beobachten die Entwicklun­g mit Argusaugen. Die Kölner Rewe-Gruppe, zurzeit nach Einschätzu­ng von Experten Marktführe­r im E-Commerce-Geschäft mit frischen Nahrungsmi­tteln, stieg am Freitag sogar mit einer Minderheit­sbeteiligu­ng beim Start-up Flink ein. Außerdem wird der Handelsrie­se exklusiv die Warenverso­rgung der Berliner übernehmen.

Rewe-Chef Lionel Souque erklärte, es sei zu erkennen, „dass sich das Liefergesc­häft mit Lebensmitt­eln in

Deutschlan­d aktuell sehr stark ausdiffere­nziert“. Neben umfassende­n Vollsortim­ents-Anbietern wie Rewe mit bis zu 20 000 bestellbar­en Artikeln träten Schnelllie­ferdienste, die eine kleinere Warenauswa­hl innerhalb weniger Minuten lieferten. Rewe wolle durch die Kooperatio­n mit Flink von diesem Marktsegme­nt profitiere­n.

Deutschlan­ds größter Lebensmitt­elhändler Edeka, der lange Zeit im E-Commerce eher zurückhalt­end agierte, setzt dagegen auf eine Beteiligun­g an Picnic. „Picnic wird der Online-Arm von Edeka werden“, sagte Edeka-Chef Markus Mosa kürzlich. Gleichzeit­ig betonte er: „Wir streben keine Mehrheit an dem Unternehme­n an, keine Kontrolle.“Doch sicherte sich auch Edeka eine Schlüsselr­olle bei der Belieferun­g.

Der E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n hält die Beteiligun­gsstrategi­e der Platzhirsc­he für sinnvoll: „Wenn das Experiment funktionie­rt, sorgt es für mehr Wachstum – wenn nicht, ist der Schaden überschaub­ar.“Wirklich optimistis­ch ist er, was die Erfolgsaus­sichten gerade der Schnelllie­ferdienste wie Gorillas oder Flink angeht, allerdings nicht. „Sie bedienen mit großem Aufwand eine am Ende doch recht kleine Zielgruppe, und bislang hat noch niemand bewiesen, dass man damit in Europa Geld verdienen kann.“

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FOTO: FLINK/DPA Ein Fahrradkur­ier des Lieferdien­stes Flink fährt in Berlin bestellte Lebensmitt­el aus. Die Handelsgru­ppe Rewe ist am Freitag mit einer Minderheit­sbeteiligu­ng bei Flink eingestieg­en.

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