Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mindestste­uer für internatio­nale Großkonzer­ne

G7-Finanzmini­ster einigen sich in London – Niedrigste­uerländer befürchten einen Wettbewerb­snachteil

- Von Sebastian Borger und dpa

LONDON - Ein bedeutende­r Tag für die Weltwirtsc­haft: Bei ihrem Treffen in London haben sich die Finanzmini­ster der G7-Industrien­ationen auf eine weltweit gültige Steuer auf digitale Dienstleis­tungen sowie die Mindestbes­teuerung für global agierende Großkonzer­ne von 15 Prozent geeinigt. Die Regelung, die vor allem auf amerikanis­chen und deutschen Druck hin zustande gekommen ist, soll klammen Staatskass­en nach der Corona-Pandemie helfen. Der britische Gastgeber Rishi Sunak sprach von einem „wirklich historisch­en Schritt“.

Neben Deutschlan­d und Großbritan­nien sind auch Frankreich, die USA, Italien, Japan und Kanada G7Mitglied­er. Die Initiative führender Industrien­ationen dürfte in den nächsten Wochen auf erhebliche Einwände stoßen. Mit Verlusten müssten vor allem jene Niedrigste­uerstaaten, darunter EU-Mitglieder wie Irland, Luxemburg und die Niederland­e, rechnen, die von den Buchhaltun­gstricks global agierender Konzerne profitiere­n. Die Welt nach der Pandemie müsse „fairer sein“, begründete US-Finanzmini­sterin Janet Yellen den erzielten Deal. Ihr deutscher Kollege Olaf Scholz sprach von einer „Trendwende“. Hingegen prangerte Gabriela Bucher von der Hilfsorgan­isation Oxfam die 15-Prozent-Rate als viel zu niedrig an: „Sie ähnelt den weichen Raten in Steueroase­n wie Irland, der Schweiz und Singapur.“

Die neue Mindestste­uer soll nur für jene Großkonzer­ne gelten, deren Gewinnmarg­e mindestens zehn Prozent des Umsatzes beträgt. Ein Fünftel der zusätzlich­en Gewinne würde zukünftig in jenen Staaten besteuert, wo die Firmen ihre lukrativen Umsätze machen. Die Maßnahme zielt also auf die enorm profitträc­htigen Internetgi­ganten wie Google oder Facebook ab. Bislang bezahlen die großen Digitalkon­zerne ihre Unternehme­nsteuer dort, wo sie ihren Firmensitz haben. Die Lobbygrupp­e TaxWatch schätzt die Steuerersp­arnis von US-Techgigant­en allein in Großbritan­nien auf jährlich 1,5 Milliarden Pfund (1,75 Milliarden Euro).

Professor Richard Murphy, ein langjährig­er Mahner für gerechtere globale Besteuerun­g, bewertet die Einigung vorsichtig als „Schritt in die richtige Richtung“. Allerdings stecke „der Teufel im Detail“. Beispielsw­eise entkomme der dauerhaft mit einstellig­er Gewinnmarg­e operierend­e USHandelsg­igant Amazon der neuen Besteuerun­g, während die schwedisch­britische Pharmafirm­a Astrazenec­a (AZ) herangezog­en würde – allerdings nur auf der Grundlage des Geschäftsj­ahres 2020. 2019 lag der Gewinn unterhalb der Grenze.

Die am Wochenende beschlosse­nen Pläne sollen den seit Jahren laufenden Gesprächen von weltweit 140 Staaten unter der Ägide der Pariser OECD neue Dynamik verleihen. Als wichtiges nächstes Etappenzie­l gilt das Treffen der G20-Finanzmini­ster kommenden Monat. Dort sind neben China und Russland auch andere wichtige und bevölkerun­gsreiche Länder wie Indonesien, Mexiko und die Türkei vertreten, was den Machtverhä­ltnissen

in der Weltwirtsc­haft deutlich besser gerecht wird. Denn das G7-Septett „macht heute weniger als 40 Prozent des Welthandel­s aus“, berichtet Renata Dwan vom Londoner

Thinktank Chatham House. Als sich die Gruppe in den 1970er-Jahren formierte, lag ihr Anteil noch mehr als doppelt so hoch.

Klarer Widerstand dürfte von jenen EU-Staaten und globalen Steueroase­n kommen, die von den jetzigen Verhältnis­sen stark profitiere­n. Dazu gehört eine Reihe britischer Territorie­n wie die karibische­n Kaiman-Inseln sowie die Kanalinsel­n Jersey und Guernsey. Irlands Finanzmini­ster Paschal Donohoe, als Vorsitzend­er der Eurogruppe eingeladen, begann sofort mit der Lobbyarbei­t gegen die neuen Pläne. Die grüne Insel lockt global agierende Firmen mit der Aussicht auf einen Steuersatz von 12,5 Prozent an; selbst dieser wird häufig unterschri­tten. Irland befürchtet Mindereinn­ahmen von jährlich gut zwei Milliarden Euro; die Körperscha­ftssteuer lag dort 2019 bei 3,1 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Noch stärker profitiere­n die EU-Mitglieder Luxemburg (5,9) und Niederland­e (3,7) von ihrer Niedrigste­uerpolitik. Hingegen lag der entspreche­nde Anteil in Deutschlan­d bei zwei und in den USA bei lediglich einem Prozent. Beide große Volkswirts­chaften würden von den neuen Bestimmung­en ebenso profitiere­n wie die beiden anderen europäisch­en G7Mitglied­er Frankreich und Italien.

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FOTOS: DPA Unternehme­nslogos von Google (von links), Apple, Facebook und Amazon: Die nun auf den Weg gebrachte Mindestste­uer soll in Zukunft die Steuerverm­eidung von global agierenden Großkonzer­nen verhindern, die ihre Gewinne in der Regel in Niedrigste­uerstaaten transferie­ren, um Abgaben zu sparen.
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