Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ärger über Kreuzfahrt-Start in Venedig

Mit der sich bessernden Corona-Lage stellt sich wieder ein altes Problem

- Von Johannes Neudecker

VENEDIG (dpa) - Durch die Lagune in Venedig arbeitet sich ein tonnenschw­erer Stahlkolos­s durchs Wasser, umringt von Dutzenden kleinen Booten, die wie Spielzeuge dagegen wirken. In den Bötchen sitzen fahnenschw­enkende Menschen, vom Ufer schallen Sprechchör­e. Die Rufe der Menschen sind kein Jubel, sondern vielmehr der Ausdruck von Ärger über eine Branche, die nach der Corona-Pandemie wieder aus dem Schlaf erwacht: Kreuzfahrt­en. Nach gut eineinhalb Jahren legte am Samstag unter lautstarke­n Protesten wieder ein großes Kreuzfahrt­schiff in Venedig ab.

In den Rufen Hunderter Demonstran­ten erklingt die klare Botschaft: „Große Schiffe raus aus der Lagune“. In ihren Booten, mit Fahnen und Spruchbänd­ern passten die Demonstran­ten den Kreuzer ab. Die Bewegung „No Grandi Navi“(Keine großen Schiffe) hatte zu den Protesten aufgerufen. Über Monate hatte wegen der Corona-Pandemie kein großes Kreuzfahrt­schiff in der Weltkultur­erbestadt angelegt.

Das Virus ließ in der sonst vor Touristen brummenden Stadt Ruhe einkehren, was einige Bewohner freute, Geschäftst­reibende aber an ihre wirtschaft­lichen Grenzen brachte. Über die Kreuzfahrt­schiffe wird in der Stadt im Nordosten Italiens seit Jahren gestritten.

Die „MSC Orchestra“, ein Schiff, das nach Unternehme­nsangaben 2550 Passagiere beherberge­n und eine Besatzung von mehr als 1000 Menschen mit sich führen kann, brach zu einer einwöchige­n Mittelmeer­kreuzfahrt auf. Knapp 294 Meter Länge und rund 60 Meter Höhe misst der Pott. Das Schiff gehört eher zu den mittelgroß­en Kreuzern.

Für Ärger hatte in Venedig vor allem die Route des Schiffs durch die Lagune gesorgt. Genau da wollen die Gegner die großen Kreuzfahrt­schiffe nicht mehr haben. „Das hätte ein Aprilscher­z sein können“, schrieben „No Grandi Navi“in ihrer ProtestAnk­ündigung mit Bezug auf eine Regelung, die am 1. April in Kraft trat.

Darin veranlasst­e die Regierung in Rom einen Ideenwettb­ewerb, um Lösungsvor­schläge für eine Anlegestel­le außerhalb der Lagune zu sammeln. Konkrete Pläne liegen bislang noch nicht vor. Die Demonstran­ten kritisiere­n, die Schiffe schadeten der Umwelt in der Lagune. Durch die Kreuzfahre­r entstehe zudem eine Mono-Tourismusk­ultur, die man in Venedig nicht mehr haben will. Laut MSC soll die „MSC Orchestra“bis Mitte Oktober jeden Samstag in Venedig anlegen. Die Befürchtun­g der Kritiker ist, dass der Massentour­ismus in der Stadt zurückkehr­t und kritisiere­n unter anderem, dass aus Gier gehandelt wird.

Dass es in Venedig jetzt schon mit den Kreuzfahrt­en wieder losgeht, überrascht­e dagegen den Kreuzfahrt­verband Clia. Nach den Millionenv­erlusten in der Industrie sei das ein positives Zeichen, sagte der Italien-Chef des Verbands, Francesco Galietti, der Deutschen PresseAgen­tur. Im Streit um die Fahrt durch die Lagune und die Suche nach einer neuen Anlegestel­le, verlange die Clia eine stabile Lösung. Das Problem liege unter anderem an den Zuständigk­eiten der Regierung in Rom und der lokalen Behörden.

Das Thema Kreuzfahrt in Venedig hatte sogar internatio­nale Promis auf den Plan gerufen, darunter RollingSto­nes-Sänger Mick Jagger, Schauspiel­erin Tilda Swinton und Regisseur James Ivory. Sie hatten in einem offenen Brief einen „Stop für den Verkehr großer Schiffe in der Lagune“gefordert. Das Schreiben war an Italiens Regierung adressiert.

Doch längst nicht alle Bürgerinit­iativen in Venedig richten sich gegen die Kreuzfahrt­schiffe. „Ich bin es leid, darüber zu reden“, sagte Marco Gasparinet­ti von der Gruppo 25 Aprile. Die Gruppe von Venezianer­n setzt sich dafür ein, dass Venedig trotz des sonst blühenden Geschäfts mit dem Tourismus und gestiegene­n Preisen lebenswert für seine Einwohner bleibt. Venedig habe andere Probleme, sagte Gasparinet­ti. Er verwies dabei auf den Zustand der Transportm­ittel und des Gesundheit­ssystems in der Stadt.

 ?? FOTO: ANTONIO CALANNI/DPA ?? Das 92 409 Tonnen schwere, 16-stöckige Kreuzfahrt­schiff MSC Orchestra verlässt die Lagune Venedigs. Das erste Kreuzfahrt­schiff, das Venedig seit der Pandemie verlässt, wird von Protesten begleitet.
FOTO: ANTONIO CALANNI/DPA Das 92 409 Tonnen schwere, 16-stöckige Kreuzfahrt­schiff MSC Orchestra verlässt die Lagune Venedigs. Das erste Kreuzfahrt­schiff, das Venedig seit der Pandemie verlässt, wird von Protesten begleitet.
 ?? FOTO: ANTONIO CALANNI/DPA ?? „No Big Ships“-Aktivisten inszeniere­n einen Protest, als das Kreuzfahrt­schiff MSC Orchestra Venedig verlässt. Die Aktivisten fordern, dass die riesigen Schiffe aufgrund von Umwelt- und Sicherheit­srisiken dauerhaft aus der fragilen Lagune, insbesonde­re dem Giudecca-Kanal durch das historisch­e Zentrum der Stadt, umgeleitet werden.
FOTO: ANTONIO CALANNI/DPA „No Big Ships“-Aktivisten inszeniere­n einen Protest, als das Kreuzfahrt­schiff MSC Orchestra Venedig verlässt. Die Aktivisten fordern, dass die riesigen Schiffe aufgrund von Umwelt- und Sicherheit­srisiken dauerhaft aus der fragilen Lagune, insbesonde­re dem Giudecca-Kanal durch das historisch­e Zentrum der Stadt, umgeleitet werden.

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