Die Region im Gender-Fieber
Viele Einrichtungen fühlen sich der geschlechtergerechten Sprache verpflichtet – Doch Politiker fordern ein Verbot
● ULM/ALB-DONAU-KREIS - Die Moderatoren Anne Will und Claus Kleber tun es, die Ulmer Uniklinik auch – es ist die neue Gretchenfrage: Wie hältst du es mit dem Gendern? Die Antwort scheint die Republik zu entzweien, die geschlechtsneutrale Sprache hat das Zeug, zum Zankapfel im Bundestagswahlkampf zu werden. Auch in der Region scheiden sich die Geister an Gendersternchen & Co. Dabei wird es bereits von einigen Institutionen zwischen Ehingen, Laichingen und Ulm im Alltag benutzt.
Oberster Wächter: der Rat für deutsche Rechtschreibung
Kurzes Interview, eine Wirkung wie Donnerhall. Im „Spiegel“hat sich der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß für ein Verbot der Gendersprache für staatliche Einrichtungen und Behörden ausgesprochen. Sein Argument: Daheim am Küchentisch könne jeder schwätzen, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. Die staatliche Seite solle sich aber bitteschön an die allgemein gültige deutsche Rechtschreibung halten. Und in deren Kosmos kommen „Arbeiter*innen“, „PolizistInnen“oder „Bürgermeister:innen“tatsächlich nicht vor. Über die Einhaltung wacht der Rat für deutsche Rechtschreibung.
Keine Verwirrung stiften: Das ist eines der Argumente, das GenderGegnerinnen und -Gegner oft ins Feld führen. In der Tat: Der Wildwuchs ist nicht zu überlesen. Erlaubt scheint, was gefällt. Neben Sternchen und Doppelpunkt taucht oft das Binnen-I auf. Was die unterschiedlichen Formen jedoch gemein haben: Sie wollen Alternativen sein zum generischen Maskulin.
Es geht nicht nur um Mann und Frau
Bislang werden für Personen- oder Berufsbezeichnungen meist nur die männlichen Formen genutzt (zum Beispiel: Ärzte, Politiker, Sportler) – auch dann, wenn damit alle Geschlechter gemeint sind. Verfechterinnen und Verfechter des Genderns finden: diskriminierend. Denn die (Schrift)Sprache sei mit verantwortlich dafür, wie wir denken. Und wer nur „maskulin“spricht oder schreibt, denke auch so und vergesse, dass es neben Männern noch andere Geschlechter gibt. Womit nicht nur Frauen gemeint sind. Der „GenderGap“– hier beispielhaft bei „Bürger_innen“– soll darauf verweisen, dass es auch Bürgerinnen und Bürger gibt, die sich keinem der beiden Geschlechter (männlich/weiblich) zugehörig fühlen. Ihr Geschlecht: divers.
Die Uniklinik Ulm verfährt so seit sieben Jahren. Eine Sprecherin: Im „Chancengleichheitsplan“habe man sich dazu verpflichtet, „gendergerechte Sprache zu nutzen“– insbesondere bei Veröffentlichungen, Stellenausschreibungen sowie Anschreiben an Beschäftigte. Ulms größter Arbeitgeber verwendet vor allem das Gendersternchen (*innen), dann und wann auch die weibliche sowie die männliche Form (Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen). Das Sternchen aber habe den Vorteil, so die Sprecherin, dass es – über Männer und Frauen hinaus – auch Trans- und Inter- sowie „nicht-binär verortete Personen“einbeziehe.
Gendersprache eine „Elitensprache“?
Politiker wie Wolfgang Kubicki (FDP) bringt das auf die Palme. Gendersprache ist für ihn „Elitensprache“, die dazu führe, dass sich Menschen ausgegrenzt fühlen. Der mächtige Wirtschaftsrat der CDU sieht dies ähnlich und fordert laut „Bild“Zeitung Konsequenzen: ein GenderVerbot im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Der schwäbische CDU-Mann Manuel Hagel, einflussreicher Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag, sieht die Sache gelassener. Er sei gegen ein generelles Gender-Verbot. Allerdings: Als Fan des Genderns geht auch der Ehinger nicht durch. Auch er spricht von der Gefahr, dass eine „Elitensprache“entstehen könnte, die „mehr spaltet, als sie verbindet“. Hagel verweist darauf, dass zwei Drittel der Bevölkerung das Gendern ablehnen würden. Gleichwohl sei ihm Gleichberechtigung „ein wichtiges Anliegen“. Er selbst gendere nicht. „Ich halte mich lieber an unsere gültigen Rechtschreibregeln“.
„Konservative Knochen“hätten Probleme
Die Ulmer SPD verstößt leidenschaftlich gern gegen diese „Regeln“. Holger Oellermann, Geschäftsführer der Fraktion im Ulmer Gemeinderat, macht sich fürs Gendern stark, praktiziert es im Schriftverkehr. Er findet: Die SPD müsse sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Sprache verändere sich, das habe sie schon immer getan. Und das sei auch nötig. Er verweist auf jüngste Beispiele, in denen neu definiert worden sei, was man sagen dürfe – und was nicht. Das N-Wort zum Beispiel sei mittlerweile zum Glück geächtet. Von GenderVerboten, wie von der CDU ins Spiel gebracht, hält er nichts. Die Debatte sei wichtig – auch wenn sich „konservative Knochen“damit „schwer tun“.
Doch wie fair wird auf der anderen Seite umgegangen mit Menschen, die selbst nicht gendern wollen? Können sie auf Toleranz jener hoffen, die die Gendersprache wie selbstverständlich in ihren Alltag integriert haben und vielleicht sogar gendergerecht sprechen?
Angeblich: schlechtere Noten, weil man nicht gendert
Womöglich nicht immer. Im Netz kursieren Berichte über Studentinnen und Studenten, die sich beklagen: Weil sie in Prüfungen oder Aufsätzen nicht gegendert hätten, seien ihre Arbeiten schlechter bewertet worden. Unklar, was an solchen Geschichten dran ist. Der Aufschrei war aber stellenweise enorm. Und wie geht die Universität Ulm vor, wenn Studierende nicht gendern wollen – gibt’s Punktabzüge? Werden die Studentinnen und Studenten diskriminiert, wenn sie dem Sprachtrend nicht folgen wollen?
Nein – sagt eine Sprecherin. Zwar hat sich auch die Uni (10 000 Studentinnen und Studenten) der geschlechtersensiblen Sprache verschrieben (Leitlinie seit 2019), allerdings gebe es keine spezifischen Vorgaben für Hausarbeiten oder
Klausuren. Sichtbar ist die Gendersprache an der Uni vor allem in der Öffentlichkeitsarbeit, im Internetauftritt, auf Formularen. Aber auch in den Vorlesungen. So würden sich die Lehrenden darum bemühen, in ihren Veranstaltungen geschlechterneutrale Sprache zu verwenden, auf Folien zum Beispiel. Interessant: Anders als die Uniklinik rät die Uni von Binnen-I und Gendersternchen ab. Stattdessen sollen geschlechterneutrale Formulierungen benutzt werden (Lehrkraft, Beschäftigte, Studierende) – ist dies nicht umsetzbar, die weibliche und die männliche Form (Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler).
Frage an die Kultusministerin: Müssen Lehrer gendern?
Gefallen dürfte dies der „Chefin“aller Lehrer im Land. Auch Kultusministerin Theresa Schopper, seit Kurzem Mitglied der Grünen in der Stadt Ulm, verfährt nach diesem Schema. In ihren persönlichen Schreiben nutze sie, so ein Sprecher, die ausgeschriebene Formulierung („Schülerinnen und Schüler“, „Lehrerinnen und Lehrer“). Auch im Kultusministerium selbst gilt: Wenn möglich, aufs Binnen-I verzichten.
Den Schulen im Land macht das Kultusministerium keine Vorgaben, ob und wenn ja, wie dort zu gendern ist. Allerdings: Lehrerinnen und Lehrer seien dafür verantwortlich, dass im Unterricht „sensibel“mit „Genderidentitäten“umgegangen werde. Schulen seien „ein Ort von Toleranz und Weltoffenheit“. Für Schopper ist Diversität „für alle bereichernd“, dies sollte man auch „sprachlich zum Ausdruck bringen“. Die jeweils gewählte Form des Genderns sei aber „weniger entscheidend“.
Gender-Vorreiter ist die VHS Laichingen. Laut Leiterin Ilse FischerGiovante
werde schon „seit vielen Jahren“„gendergerechte Sprache“verwendet, „um eine Gleichstellung der Geschlechter in gesprochener und geschriebener Sprache zum Ausdruck zu bringen“. Begründung: „Frauen sollen nicht ,sprachlich unsichtbar’ bleiben und ,nur mitgemeint’ sein.“Dafür nehme es die Volkshochschule auch in Kauf, dass ein Text sich manchmal „weniger flüssig liest“.
Kemmer gegen Gendersternchen Keine Freundin des grundsätzlichen Genderns ist die hiesige CDU-Bundestagsabgeordnete Ronja Kemmer. Sie ist der Auffassung: Behörden oder andere staatliche Stellen sollten auf Gendersternchen, Unterstrich oder Doppelpunkte verzichten. Von einem politisch durchgesetzten Verbot hält sie aber nichts. Sie selbst versuche, „möglichst klar und verständlich“zu kommunizieren. „Deshalb verzichte ich im Normalfall darauf zu gendern.“Denn das störe den Lesefluss „oft erheblich“, was gerade Nicht-Muttersprachler vor ein Problem stelle. Von dem Ziel, Gleichberechtigung über die Sprache zu erreichen, hält sie nicht viel. Und für sie sei auch „vollkommen klar“, dass beispielsweise bei „Studenten“oder „Lehrern“„selbstverständlich Personen jeden Geschlechts inbegriffen sind“. In einigen Branchen seien Frauen aber noch unterrepräsentiert. Deshalb spreche sie, wenn sie vor Schulklassen stehe, „auch mal gezielt von Informatikerinnen und Informatikern“.
Im Landratsamt des Alb-DonauKreises ist man einen Schritt weiter. Hier wird im Schriftverkehr grundsätzlich gegendert, so ein Sprecher. Laut Leitfaden sollen vor allem die weibliche und die männliche Form (Kundinnen und Kunden) genutzt werden. Das Gendersternchen ist auch hier weniger gern gesehen: Weil die Texte des Landratsamts trotzdem verständlich und lesbar sein sollen. Um stereotype Begriffe wie beispielsweise „Mannschaft“zu umschiffen, wird das Landratsamt kreativ: Es ersetzt diesen Begriff zum Beispiel durch das neutrale „Team“.
Ulm gendert wohl schon am längsten
Freier sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Ulm. Bereits älter als 15 Jahre ist eine Dienstanordnung des Oberbürgermeisters, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Dies könne aber viel bedeuten, so eine Sprecherin. Es gebe „keine starr fixierte Form“, sondern es werde „situativ variiert“.
Womit Manuel Hagel kein Problem haben dürfte. „Wer dies tun möchte, der sollte dies auch tun dürfen.“Was ihm wichtig sei: „Dass unsere Sprache nicht verroht, Sprachkompetenz nicht verloren geht.“Als Erfolg verbucht es der Spitzenpolitiker nicht nur, dass die CDU abermals in der Landesregierung sitzt. Sondern auch: „Dass unser Koalitionsvertrag in ,konventionellem Deutsch’ geschrieben wurde.“Das sei ihm wichtig gewesen.