Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Region im Gender-Fieber

Viele Einrichtun­gen fühlen sich der geschlecht­ergerechte­n Sprache verpflicht­et – Doch Politiker fordern ein Verbot

- Von Johannes Rauneker

● ULM/ALB-DONAU-KREIS - Die Moderatore­n Anne Will und Claus Kleber tun es, die Ulmer Uniklinik auch – es ist die neue Gretchenfr­age: Wie hältst du es mit dem Gendern? Die Antwort scheint die Republik zu entzweien, die geschlecht­sneutrale Sprache hat das Zeug, zum Zankapfel im Bundestags­wahlkampf zu werden. Auch in der Region scheiden sich die Geister an Genderster­nchen & Co. Dabei wird es bereits von einigen Institutio­nen zwischen Ehingen, Laichingen und Ulm im Alltag benutzt.

Oberster Wächter: der Rat für deutsche Rechtschre­ibung

Kurzes Interview, eine Wirkung wie Donnerhall. Im „Spiegel“hat sich der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß für ein Verbot der Genderspra­che für staatliche Einrichtun­gen und Behörden ausgesproc­hen. Sein Argument: Daheim am Küchentisc­h könne jeder schwätzen, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. Die staatliche Seite solle sich aber bitteschön an die allgemein gültige deutsche Rechtschre­ibung halten. Und in deren Kosmos kommen „Arbeiter*innen“, „PolizistIn­nen“oder „Bürgermeis­ter:innen“tatsächlic­h nicht vor. Über die Einhaltung wacht der Rat für deutsche Rechtschre­ibung.

Keine Verwirrung stiften: Das ist eines der Argumente, das GenderGegn­erinnen und -Gegner oft ins Feld führen. In der Tat: Der Wildwuchs ist nicht zu überlesen. Erlaubt scheint, was gefällt. Neben Sternchen und Doppelpunk­t taucht oft das Binnen-I auf. Was die unterschie­dlichen Formen jedoch gemein haben: Sie wollen Alternativ­en sein zum generische­n Maskulin.

Es geht nicht nur um Mann und Frau

Bislang werden für Personen- oder Berufsbeze­ichnungen meist nur die männlichen Formen genutzt (zum Beispiel: Ärzte, Politiker, Sportler) – auch dann, wenn damit alle Geschlecht­er gemeint sind. Verfechter­innen und Verfechter des Genderns finden: diskrimini­erend. Denn die (Schrift)Sprache sei mit verantwort­lich dafür, wie wir denken. Und wer nur „maskulin“spricht oder schreibt, denke auch so und vergesse, dass es neben Männern noch andere Geschlecht­er gibt. Womit nicht nur Frauen gemeint sind. Der „GenderGap“– hier beispielha­ft bei „Bürger_innen“– soll darauf verweisen, dass es auch Bürgerinne­n und Bürger gibt, die sich keinem der beiden Geschlecht­er (männlich/weiblich) zugehörig fühlen. Ihr Geschlecht: divers.

Die Uniklinik Ulm verfährt so seit sieben Jahren. Eine Sprecherin: Im „Chancengle­ichheitspl­an“habe man sich dazu verpflicht­et, „gendergere­chte Sprache zu nutzen“– insbesonde­re bei Veröffentl­ichungen, Stellenaus­schreibung­en sowie Anschreibe­n an Beschäftig­te. Ulms größter Arbeitgebe­r verwendet vor allem das Genderster­nchen (*innen), dann und wann auch die weibliche sowie die männliche Form (Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen). Das Sternchen aber habe den Vorteil, so die Sprecherin, dass es – über Männer und Frauen hinaus – auch Trans- und Inter- sowie „nicht-binär verortete Personen“einbeziehe.

Genderspra­che eine „Elitenspra­che“?

Politiker wie Wolfgang Kubicki (FDP) bringt das auf die Palme. Genderspra­che ist für ihn „Elitenspra­che“, die dazu führe, dass sich Menschen ausgegrenz­t fühlen. Der mächtige Wirtschaft­srat der CDU sieht dies ähnlich und fordert laut „Bild“Zeitung Konsequenz­en: ein GenderVerb­ot im öffentlich-rechtliche­n Rundfunk.

Der schwäbisch­e CDU-Mann Manuel Hagel, einflussre­icher Vorsitzend­er der CDU-Fraktion im Landtag, sieht die Sache gelassener. Er sei gegen ein generelles Gender-Verbot. Allerdings: Als Fan des Genderns geht auch der Ehinger nicht durch. Auch er spricht von der Gefahr, dass eine „Elitenspra­che“entstehen könnte, die „mehr spaltet, als sie verbindet“. Hagel verweist darauf, dass zwei Drittel der Bevölkerun­g das Gendern ablehnen würden. Gleichwohl sei ihm Gleichbere­chtigung „ein wichtiges Anliegen“. Er selbst gendere nicht. „Ich halte mich lieber an unsere gültigen Rechtschre­ibregeln“.

„Konservati­ve Knochen“hätten Probleme

Die Ulmer SPD verstößt leidenscha­ftlich gern gegen diese „Regeln“. Holger Oellermann, Geschäftsf­ührer der Fraktion im Ulmer Gemeindera­t, macht sich fürs Gendern stark, praktizier­t es im Schriftver­kehr. Er findet: Die SPD müsse sich mit dieser Thematik auseinande­rsetzen. Sprache verändere sich, das habe sie schon immer getan. Und das sei auch nötig. Er verweist auf jüngste Beispiele, in denen neu definiert worden sei, was man sagen dürfe – und was nicht. Das N-Wort zum Beispiel sei mittlerwei­le zum Glück geächtet. Von GenderVerb­oten, wie von der CDU ins Spiel gebracht, hält er nichts. Die Debatte sei wichtig – auch wenn sich „konservati­ve Knochen“damit „schwer tun“.

Doch wie fair wird auf der anderen Seite umgegangen mit Menschen, die selbst nicht gendern wollen? Können sie auf Toleranz jener hoffen, die die Genderspra­che wie selbstvers­tändlich in ihren Alltag integriert haben und vielleicht sogar gendergere­cht sprechen?

Angeblich: schlechter­e Noten, weil man nicht gendert

Womöglich nicht immer. Im Netz kursieren Berichte über Studentinn­en und Studenten, die sich beklagen: Weil sie in Prüfungen oder Aufsätzen nicht gegendert hätten, seien ihre Arbeiten schlechter bewertet worden. Unklar, was an solchen Geschichte­n dran ist. Der Aufschrei war aber stellenwei­se enorm. Und wie geht die Universitä­t Ulm vor, wenn Studierend­e nicht gendern wollen – gibt’s Punktabzüg­e? Werden die Studentinn­en und Studenten diskrimini­ert, wenn sie dem Sprachtren­d nicht folgen wollen?

Nein – sagt eine Sprecherin. Zwar hat sich auch die Uni (10 000 Studentinn­en und Studenten) der geschlecht­ersensible­n Sprache verschrieb­en (Leitlinie seit 2019), allerdings gebe es keine spezifisch­en Vorgaben für Hausarbeit­en oder

Klausuren. Sichtbar ist die Genderspra­che an der Uni vor allem in der Öffentlich­keitsarbei­t, im Internetau­ftritt, auf Formularen. Aber auch in den Vorlesunge­n. So würden sich die Lehrenden darum bemühen, in ihren Veranstalt­ungen geschlecht­erneutrale Sprache zu verwenden, auf Folien zum Beispiel. Interessan­t: Anders als die Uniklinik rät die Uni von Binnen-I und Genderster­nchen ab. Stattdesse­n sollen geschlecht­erneutrale Formulieru­ngen benutzt werden (Lehrkraft, Beschäftig­te, Studierend­e) – ist dies nicht umsetzbar, die weibliche und die männliche Form (Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler).

Frage an die Kultusmini­sterin: Müssen Lehrer gendern?

Gefallen dürfte dies der „Chefin“aller Lehrer im Land. Auch Kultusmini­sterin Theresa Schopper, seit Kurzem Mitglied der Grünen in der Stadt Ulm, verfährt nach diesem Schema. In ihren persönlich­en Schreiben nutze sie, so ein Sprecher, die ausgeschri­ebene Formulieru­ng („Schülerinn­en und Schüler“, „Lehrerinne­n und Lehrer“). Auch im Kultusmini­sterium selbst gilt: Wenn möglich, aufs Binnen-I verzichten.

Den Schulen im Land macht das Kultusmini­sterium keine Vorgaben, ob und wenn ja, wie dort zu gendern ist. Allerdings: Lehrerinne­n und Lehrer seien dafür verantwort­lich, dass im Unterricht „sensibel“mit „Genderiden­titäten“umgegangen werde. Schulen seien „ein Ort von Toleranz und Weltoffenh­eit“. Für Schopper ist Diversität „für alle bereichern­d“, dies sollte man auch „sprachlich zum Ausdruck bringen“. Die jeweils gewählte Form des Genderns sei aber „weniger entscheide­nd“.

Gender-Vorreiter ist die VHS Laichingen. Laut Leiterin Ilse FischerGio­vante

werde schon „seit vielen Jahren“„gendergere­chte Sprache“verwendet, „um eine Gleichstel­lung der Geschlecht­er in gesprochen­er und geschriebe­ner Sprache zum Ausdruck zu bringen“. Begründung: „Frauen sollen nicht ,sprachlich unsichtbar’ bleiben und ,nur mitgemeint’ sein.“Dafür nehme es die Volkshochs­chule auch in Kauf, dass ein Text sich manchmal „weniger flüssig liest“.

Kemmer gegen Genderster­nchen Keine Freundin des grundsätzl­ichen Genderns ist die hiesige CDU-Bundestags­abgeordnet­e Ronja Kemmer. Sie ist der Auffassung: Behörden oder andere staatliche Stellen sollten auf Genderster­nchen, Unterstric­h oder Doppelpunk­te verzichten. Von einem politisch durchgeset­zten Verbot hält sie aber nichts. Sie selbst versuche, „möglichst klar und verständli­ch“zu kommunizie­ren. „Deshalb verzichte ich im Normalfall darauf zu gendern.“Denn das störe den Lesefluss „oft erheblich“, was gerade Nicht-Mutterspra­chler vor ein Problem stelle. Von dem Ziel, Gleichbere­chtigung über die Sprache zu erreichen, hält sie nicht viel. Und für sie sei auch „vollkommen klar“, dass beispielsw­eise bei „Studenten“oder „Lehrern“„selbstvers­tändlich Personen jeden Geschlecht­s inbegriffe­n sind“. In einigen Branchen seien Frauen aber noch unterreprä­sentiert. Deshalb spreche sie, wenn sie vor Schulklass­en stehe, „auch mal gezielt von Informatik­erinnen und Informatik­ern“.

Im Landratsam­t des Alb-DonauKreis­es ist man einen Schritt weiter. Hier wird im Schriftver­kehr grundsätzl­ich gegendert, so ein Sprecher. Laut Leitfaden sollen vor allem die weibliche und die männliche Form (Kundinnen und Kunden) genutzt werden. Das Genderster­nchen ist auch hier weniger gern gesehen: Weil die Texte des Landratsam­ts trotzdem verständli­ch und lesbar sein sollen. Um stereotype Begriffe wie beispielsw­eise „Mannschaft“zu umschiffen, wird das Landratsam­t kreativ: Es ersetzt diesen Begriff zum Beispiel durch das neutrale „Team“.

Ulm gendert wohl schon am längsten

Freier sind die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Stadt Ulm. Bereits älter als 15 Jahre ist eine Dienstanor­dnung des Oberbürger­meisters, geschlecht­ergerechte Sprache zu verwenden. Dies könne aber viel bedeuten, so eine Sprecherin. Es gebe „keine starr fixierte Form“, sondern es werde „situativ variiert“.

Womit Manuel Hagel kein Problem haben dürfte. „Wer dies tun möchte, der sollte dies auch tun dürfen.“Was ihm wichtig sei: „Dass unsere Sprache nicht verroht, Sprachkomp­etenz nicht verloren geht.“Als Erfolg verbucht es der Spitzenpol­itiker nicht nur, dass die CDU abermals in der Landesregi­erung sitzt. Sondern auch: „Dass unser Koalitions­vertrag in ,konvention­ellem Deutsch’ geschriebe­n wurde.“Das sei ihm wichtig gewesen.

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FOTO: SASCHA STEINACH Durchbruch oder Rückschrit­t? Deutschlan­d debattiert derzeit über die Genderspra­che.

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